Irans Frauenbewegung auf neuen Wegen

2012 kämpften iranische Frauenrechtlerinnen vor allem gegen das im Gesetz verankerte Recht der Männer auf Polygamie und für die Gleichberechtigung der Frauen beim Erb-, Scheidungs- und Sorgerecht. Sogar vom Gefängnis aus machten sie die internationale Gemeinschaft auf ihre Situation aufmerksam. Über die Lage der Frauenbewegung in der Islamischen Republik und ihre Aussichten im Jahr 2013 sprach TfI mit der iranischen Publizistin und Frauenaktivistin Soudeh Rad.
TfI: Frau Rad, wie war die Situation der Frauen im Iran im Jahr 2012?
Soudeh Rad: Schlecht. Das gesamte Rechtssystem der islamischen Republik  Iran basiert auf Gesetzen, die Frauen benachteiligen. Und durch die negativen Entwicklungen im Land hat sich die Situation der Frauen im vergangenen Jahr weiter verschlechtert. Daran ist zum einen die Regierung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad schuld, zum anderen aber auch das Parlament, dessen Mehrheit konservative Abgeordnete stellen.
Können Sie uns einige Beispiele für die negative Entwicklung geben?

Die in Paris lebende iranische Frauenrechtlerin Soudeh Rad
Die in Paris lebende iranische Frauenrechtlerin Soudeh Rad

2012 ist der Druck auf die Frauen im Iran massiv gestiegen. Das zeigt etwa die Debatte um das Recht lediger Frauen, einen Reisepass zu bekommen. Das Parlament hat einen Gesetzentwurf vorgeschlagen, demzufolge unverheiratete Frauen unter 40 Jahren nicht mehr eigenständig einen Reisepass beantragen dürfen. Sie sollen dafür künftig das Einverständnis ihres Vaters oder eines gesetzlichen Vormunds nachweisen. Die Begründung: Eine Frau könne allein nicht auf sich aufpassen – dazu bräuchte sie einen Mann. Das sorgt für viele Diskussionen, noch ist unklar, was aus dem Gesetzentwurf wird. Auch an den Hochschulen werden Frauen stärker als bisher benachteiligt. Rund 20 Universitäten schlossen Frauen 2012 von bestimmten Studienfächern aus, überwiegend von technischen Fächern. Zudem wurde die ohnehin strenge Kleiderordnung für Frauen härter durchgesetzt. Im vergangenen Jahr kam es zu stärkeren Kontrollen von Frauen in der Öffentlichkeit durch die Sittenpolizei. Und sogar die Frauenrechtlerinnen im Gefängnis mussten strengere Maßnahmen hinnehmen. Ihre Hafturlaubsanträge zum iranischen Neujahrfest Norouz am 21. März wurden abgelehnt. Man verweigerte ihnen, das Fest mit ihren Familien und Kindern zu verbringen.
 
Was sind die Gründe für den zunehmenden Druck?
Damit sollen die Aktivitäten von Frauenrechtlerinnen unterbunden werden. Die meisten Aktivistinnen sitzen entweder hinter Gittern oder sind ins Ausland geflüchtet. Vor allem nach den umstrittenen
Nasrin Sotoudeh war 49 Tage im Hungerstreik
Nasrin Sotoudeh war 49 Tage im Hungerstreik

Präsidentschaftswahlen 2009 haben viele Frauenaktivistinnen das Land verlassen müssen. Und die, die noch im Iran sind, sind aufgrund der Repressalien nicht mehr so gut miteinander vernetzt wie noch vor einigen Jahren. Mit anderen Worten: Es gibt auf der politischen Ebene keinen Druck gegen die Konservativen mehr. Trotz allem gelang es bei der Reisepass-Debatte einigen Frauenrechtlerinnen dennoch, sich mit Abgeordneten zu treffen und ihre Kritik zu äußern.Ein weiterer Grund ist, dass die internationale Gemeinschaft ihren Fokus auf den Atomstreit mit dem Iran gelegt hat. Die Menschenrechtssituation im Land gerät aus dem Blick. Das trägt mit dazu bei, dass die Machthaber in Teheran ihren Druck nicht nur auf die Frauen, sondern auch auf Minderheiten, Gewerkschaften, Studenten und die Opposition weiter erhöhen.
 
Wie viele Frauenrechtlerinnen sind derzeit im Gefängnis?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, denn wegen der insgesamt kritischen Menschenrechtssituation im Iran setzen sich die meisten Aktivistinnen auch für Menschenrechte ein. Eine Trennung lässt sich daher schwer machen. Die inhaftierten Frauen sind auch Menschenrechtsaktivistinnen.
Wo steht unter diesen Umständen die iranische Frauenbewegung heute?
Derzeit ist eine neue Entwicklung zu beobachten. Die Frauenrechtlerinnen, die im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis sitzen, kämpfen dort auf ihre Art weiter. Das beste Beispiel dafür ist der zwölftägige Hungerstreik von neun inhaftierten Frauenaktivistinnen. Sie hatten ihn im September 2012 aus Protest gegen Schläge, Misshandlungen und Beleidigungen durch die Gefängniswärterinnen begonnen und lösten damit zum ersten Mal eine Debatte über Gewalt gegen Frauen im Gefängnis in der iranischen Öffentlichkeit aus. Ein weiteres Beispiel ist der 49 Tage dauernde Hungerstreik der Rechtsanwältin Nasrin Sotudeh, die damit gegen das Reiseverbot für ihre Tochter und die schlechte Behandlung ihres Ehemannes durch iranische Verantwortliche protestierte. Am Ende erreichte sie, dass das Ausreiseverbot für ihre 12-jährige Tochter aufgehoben wurde.
Was tun die Frauenrechtlerinnen, die im Exil sind?
Erste Demonstration der Frauen in Teheran gegen die Zwangsverschleierung
Erste Demonstration der Frauen in Teheran gegen die Zwangsverschleierung

Auch sie haben sich etabliert und sind etwa in der virtuellen Welt aktiv. Es gibt eine Online-Sendung für Frauen namens „Zanan TV“ (Frauen-TV), die täglich drei Stunden Programm mit dem Fokus auf Frauenthemen aus Washington sendet. Die Webseite „Bridgesforwomen“ versucht, eine Brücke zwischen Frauen in der Region zu schaffen. Neben den zahlreichen Artikeln, die dort erscheinen, sollen die Frauen sich über die Webseite intensiver austauschen können. Es wurden auch einige Bücher in englischer Sprache veröffentlicht, unter anderem über Tabuthemen wie Gewalt gegen Frauen im Gefängnis. Die iranische Frauenbewegung ist also keineswegs gestorben. Sie entwickelt aufgrund der Repressalien im Iran eine neue Form.
Welche positive Rolle kann der Westen dabei spielen?
Wir fordern seit Jahren, dass der Westen sich bei seinen Verhandlungen mit dem Iran nicht nur auf das Atomprogramm konzentrieren soll. Die Frage der Menschenrechtssituation in dem Land darf nicht unterbewertet werden. Internationaler Druck könnte hier einiges bewegen. Außerdem könnten Frauenaktivistinnen weltweit generell mehr Interesse für den Iran zeigen. Wir müssen nicht immer erst dann reagieren, wenn es brennt. Man kann die Lage der Frauen überall, wo sie kritisch ist, mitverfolgen. Positiv wäre auch mehr Austausch zwischen den Frauen im Nahen Osten. Wir können viel voneinander lernen. Kurz nach dem arabischen Frühling waren iranische Frauen die ersten, die aufgrund ihrer eigenen Erfahrung Frauen in Tunesien und Ägypten vor den Gefahren einer Machtübernahme der Islamisten gewarnt haben.
Wie bewerten Sie die Aussichten im Jahr 2013?
Im Juni 2013 finden im Iran Präsidentschaftswahlen statt. Dieses Jahr kann also ein sehr politisches werden. Ich hoffe, dass die iranischen Frauenaktivistinnen die Situation nutzen und aus ihrer Erfahrung mit den Präsidentschaftswahlen 2009 das Beste machen. Auch wenn sie damals politisch gesehen eine Niederlage erlitten, waren sie sehr aktiv und haben tolle Aufklärungsarbeit unter der Bevölkerung geleistet. Außerdem haben sie inzwischen auf internationaler Ebene viel Erfahrung dazu gewonnen. Sie könnten eine neue Front bilden und klare Forderungen aufstellen. So hätten sie die Chance, stärker aufzutreten.
Interview: Forough Hossein Pour
Eine Auswahl der Webseiten, die über iranische Frauenbewegung informieren:
www.campaignforequality.info/english

www.1oo1nights.org/index.php?page=_&Language=en
www.feministschool.com/english
lang.zanantv.org/en