Von der Wirksamkeit der US-Sanktionen gegen Iran

Diese von der „Islamischen Republik“ als „Wirtschaftsterrorismus“ bezeichneten „Sanktionen“ werden auch unter Iranern sehr kontrovers diskutiert. Abgesehen von den als „Verräter“ stigmatisierten Befürwortern der Sanktionen, die auf eine Schwächung des Regimes und dessen beschleunigten Sturz hoffen, leugnen Teile der Oppositionellen deren Wirksamkeit. Als Beweis weisen sie auf die Erfahrungen mit den Sanktionen gegen Saddam Hussein hin. Die Befürworter führen Südafrika als Beweis der Wirksamkeit der Sanktionen an, die zur Aufhebung der Apartheid geführt haben. Beide vernachlässigen aber dabei die spezifischen Figurationen der jeweiligen Etablierten-Außenseiter-Konstellationen dieser zwei Staatsgesellschaften, die zu zwei grundverschiedenen Ergebnissen geführt haben. Diese figurationsspezifischen Unterschiede der Etablierten-Außenseiter-Beziehungen zeichnen sich aus durch ihre jeweiligen, sich eigendynamisch verändernden, gegenseitigen Angewiesenheiten und Abhängigkeiten der Menschen entlang der Hauptspannungsachsen der Gesellschaft sowie den Organisationsgrad der Opposition der Außenseiter und deren Wille zum Wandel. Letztendlich waren die Machtbilanz der involvierten sozialen Gruppen, ihr effektiver Organisationsgrad und ihr Wille zu Macht entscheidend für den unterschiedlichen Ausgang der verhängten Sanktionen.
Der andersartige Ausgang der Sanktionen gegen die Apartheid ergab sich aus der bestehenden Machtbalance, die sich in der Tat durch die wirtschaftlichen Sanktionen zugunsten der Apartheidgegner verschob; sie führte dort zu einer institutionellen Korrektur, weil schließlich auch die weiße Minderheit aus Eigeninteresse die Einsicht in ihre Notwendigkeit bekam. Die Sanktionen hatten nur eine unterstützende Funktion für die Opposition. Die Apartheidgegner bestanden in Südafrika aus der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft, die als Außenseiter weitgehend im ANC effektiv organisiert waren oder ihm loyal folgten. Gerade dieser Organisationsgrad der Einheit der Außenseiter fehlte im Irak, welches das wesentliche Merkmal der diktatorischen Einparteienstaaten ist; wo also alle demokratische Institutionen unterdrückt sind und eine Obrigkeitsmentalität der Individuen permanent reproduziert wird. Diese Figurationsmerkmale teilt die theokratische Herrschaft im Iran mit der nationalistisch legitimierten „Allein-Herrschaft“ Saddams durch die Bath-Partei. Darin sieht man auch die Funktionsgleichheit des Islamismus und des Nationalismus. Beide sind unterschiedliche Manifestationen des gruppencharismatischen Selbstbildes der staatlich organisierten Menschen unter einer „Alleinherrschaft“, die ihren Selbstwert unterschiedlich stolz demonstrativ hervorheben. Diese ideologischen Unterschiede der Zutaten des Schemas des Selbstwertes verdecken aber ihre gemeinsame selbstwertrelevante Funktion, die jederzeit – als demonstrative Hervorhebung der stolz als eigen definierte Werte – herrschaftsstabilisierend gegen „Fremde“ oder „Imperialismus“ mobilisierbar ist.

Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei (li.) zu den Lehrern und Arbeitern: "Reiht Euch ein in die Kriegsformationen!“
Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei (li.) zu den Lehrern und Arbeitern: „Reiht Euch ein in die Kriegsformationen!“

 
Der Führer und die Masse

Die Theokratie im Iran entstand durch eine massenhafte revolutionäre Erhebung der chiliastisch geprägten Menschen, die „den Islam“ als ihren als eigen definierten Wert demonstrativ hervorhoben und sich über Khomeini miteinander als islamistische Masse identifizierten. Unter dessen Führung eroberten sie die Macht, die sie freiwillig ihrem charismatischen Revolutionsführer aushändigten. Symbolisch vollzog sich dieser Akt, indem sie der Aufforderung der Kerngruppe der Macht nach der Revolution Folge leisteten und ihre eroberten Waffen den Moscheen übergaben. Durch diese Selbstentwaffnung entmachteten sie sich als minder organisierte Individuen, die jahrzehntelang für die Stabilisierung und Erhaltung der klerikalen Herrschaft mobilisiert werden konnten. Die sukzessive Eliminierung der dürftig organisierten Konkurrenten als „Liberale“, „Konterrevolutionäre“ oder „Kollaborateure“ mit dem allgegenwärtigen „Feind“ hinterließ eine genauso zersplitterte und dürftig organisierte systemimmanente „reformistische“ Opposition, die sich gegenüber den sich zunehmend stramm organisierenden orthodoxen Islamisten kaum behaupten konnten. Ihr Lebensrecht verdienen sie nur als „Retter in der Not“ für die etablierte Herrschaft, wenn sie zur eigenen Legitimation scheindemokratische Wahlen abhalten müssen. Ihre Funktion besteht in der Mobilisierung der Hoffnung der Wahlbürger, die sie seit vier Jahrzehnten immer wieder zur „Wahl“ der institutionell und reell machtlosen Amtsträger aufrufen.
Deswegen verfügen weder „ihre“ parlamentarische Vertreter noch „ihr“ gewählter Präsident über die Richtlinienkompetenz oder Entscheidungsbefugnisse, die ihnen ermöglichen würde, in einer existentiellen Krise der „Islamischen Republik“ mit der Hegemonialmacht USA die sonst üblichen Verhandlungen in einem Wirtschaftskrieg zu führen. Dies vor allem, wenn bestimmte strittige Themen vom „Führer“ zur „Ehrensache“ erklärt werden. Dazu gehört der unverhandelbare „revolutionäre Charakter“ des Regimes, dessen Mission in der Aktivierung der Aufbruchsbereitschaft zur Herstellung paradiesischer Glückzustände auf Erde besteht.
Die nicht islamistische iranische Opposition besteht gegenwärtig aus weitgehend unorganisierten Individuen, die einem unbarmherzig brutalen Regime gegenüberstehen, das nicht nur alle Machtquellen und Herrschaftsinstitutionen monopolisiert hat. Es wird sogar getragen von einer effektiv organisierten und jederzeit mobilisierbaren Masse der privilegierten Islamisten, selbst wenn sie nicht mehr als 5 Prozent der Gesellschaft ausmachen sollten. Hinzu kommen opportunistische Trittbrettfahrer, die durch ihre „praktische Loyalität zur Theokratie“ dem Regime demonstrative Legitimation liefern, vor allem bei den Scheinwahlen. Ihnen gegenüber steht eine systemimmanente Opposition, die hauptsächlich als Steigbügelhalter der klerikalen Herrschaft entstand, nun jedoch aus mangelnder Loyalität in Ungnade gefallen ist. Sie teilt mit den „Fundamentalisten“ immer noch das von Khomeini verkündete Kredo der „Systemerhaltung als absolute Priorität“ der handlungssteuernden politischen Strategie um jeden Preis.
Sie konkurrieren mit den Fundamentalisten nur um die Machtchancen, weil sie glauben, mit der reformierten Herrschaftspraxis das „System“ effektiver schützen und erhalten zu können. Ihre soziale Basis rekrutierte sich weitgehend aus der Mittelschicht, die eine Liberalisierung des Alltagslebens anstrebte. Ihnen geht es daher nicht um die Überwindung der klerikalen Herrschaft, sondern um deren „demokratisierte“ Erhaltung. Damit soll vor allem die soziale Mobilität der systemtreuen Staatsbürger gesichert werden.

Das Versagen der Reformisten
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