Verkäuferinnen im Teheraner Untergrund
„Von morgens bis abends arbeite ich hier. Wenn ich abends nach Hause gehe, kann ich meine Tränen nicht zurückhalten. Ich frage dann Gott: Ist das wirklich mein Schicksal? Ist das mein Leben?“ Iran Journal dokumentiert eine Reportage der Nachrichtenagentur ISNA über Straßenverkäuferinnen in der Teheraner U-Bahn.
Die folgenden vier Geschichten wurden aus zwanzig Interviews ausgesucht. Wir haben Frauen ausgewählt, denen man nicht glauben würde, dass sie ihr Geld als Verkäuferinnen in der U-Bahn verdienen, wenn man sie auf der Straße sehen würde.
25. Juli 2016: U-Bahn-Linie 2, Teheran
Es ist früh morgens. Mühsam schleppt sie ihren großen, schweren Rucksack durch die Menschenmenge. Mantel, Kopftuch und Schuhe trägt sie in Weiß. Ihr Gesicht ist von einer Maske verdeckt. Sie nimmt einige Packungen Kaugummi und Bonbons aus der Tasche und beginnt sie anzupreisen: dass man diese aus der Türkei importierten Bonbons nirgendwo sonst für 1.000 Tuman pro Stück (25 Cent) kaufen könne. Die PassantInnen laufen an ihr vorbei, niemand beachtet sie. Einige reagieren abweisend. Die U-Bahn fährt ein, sie steckt die Bonbons und Kaugummis wieder ein und setzt sich auf die Bank. Sie stützt ihren Kopf nach hinten gegen die Wand und starrt die Decke der Station an.
Soheyla Seddighi: Entschuldige, verdient man gut mit dieser Arbeit?
Die Verkäuferin: Willst du damit anfangen?
Nein, aber ich würde mich mit dem Job gern befassen.
Verdienen tut man nicht schlecht, aber nimm Dir kein Beispiel an mir. Wir investieren unsere Gesundheit. Fass meinen Rucksack an und fühle sein Gewicht. Ich leide unter massiven Rücken- und Schulterproblemen.
Wie lange machst du denn das schon?
(Sie nimmt ihre Maske ab. Ihre operierte Nase kommt zum Vorschein).
Nach zwei Jahren Pause habe ich heute wieder angefangen. Ein paar Jahre hatte ich in der U-Bahn verkauft und konnte so etwas Geld zur Seite legen. Dann gründete ich eine Lieferfirma für Lebensmittel. Da habe ich zwei Jahre gearbeitet, aber du weißt, wie schlimm im Moment der Markt ist. Jetzt bin ich wieder hier.
Das heißt, mit dem Geld, das du mit dem Verkaufen in der U-Bahn verdient und gespart hattest, konntest du deine eigene Firma gründen?
Nein, ich hatte bereits eine kleine Ersparnis.
Du bist eine schöne, schick gekleidete Frau. Wer Dich sieht, kann sich kaum vorstellen, dass du als Verkäuferin in der U-Bahn arbeitest. Warum machst Du diese Arbeit hier?
Ich achte auf mein Aussehen, damit die Leute nicht sagen, sie stinkt, ist ungepflegt oder so was. Ich mache das, weil ich Geld verdienen muss.
Wie gut kommen die Verkäuferinnen hier miteinander zurecht, die Alteingesessenen und die Anfängerinnen?
Einige alte Verkäuferinnen verhalten sich so, als ob sie die U-Bahn gekauft hätten. Sie verdienen so gut, dass sie sich Wohnung und Auto kaufen konnten. Einige haben ausgesorgt und müssen nicht mehr arbeiten. Die noch aktiven Alteingesessenen mögen die Neuen nicht.
Wie ist es mit dir? Hast du auch eine Wohnung und ein Auto?
Ich habe ein Auto. Das parke ich morgens in der Nähe der U-Bahn-Station und laufe dann zur Arbeit.
Du bist eine sehr junge Frau. Machst du dir keine Sorgen über deine Zukunft?
Ich verdiene hier zwar Geld, aber ich habe keine angesehene, ehrenvolle Arbeit. Deshalb verdecke ich soweit wie möglich mein Gesicht. Ich bin eine junge Arbeitslose. Was soll ich deiner Meinung nach machen? Denkst du, ich möchte nicht lieber zuhause sitzen wie eine respektierte Frau? Aber es ist nun mal so. Mit dem Job kann man zwar gut verdienen, aber wenn ich es nicht müsste, würde ich es nicht machen. Die Mühe lohnt sich nicht, der Müdigkeit und der Ehre wegen.
Wirst du schlecht behandelt?
Ich steige nicht in überfüllte Züge. Die Menschen sind entweder sehr nett zu einem oder sehr grob. Es gibt kein Mittelmaß. Wenn du einen guten Job finden kannst, ist es auf jeden Fall besser als hier. So, ich muss langsam los, seit heute morgen habe ich nichts verkauft.
26. Juli 2016: U-Bahn-Linie 1, Teheran
Sie sitzt in der Station auf der Bank, holt ihr Handy heraus und wählt schnell eine Nummer: „Hallo Maryam! Sieht es da gut aus? Ich konnte bislang nur 16.000 Tuman (4 Euro) verdienen. Meinst du, ich soll herüberkommen?“
Entschuldigung, was kostet dieses Armband?
12.000 Tuman (3 Euro)!
Hast du kurz Zeit?
Nur bis zum nächsten Zug. Bist du etwa Reporterin?
Ja. Wie alt bist du?
26.
Arbeitest du schon lange als Verkäuferin in der U-Bahn?
Seit einem Jahr. Von Anfang an schon habe ich Modeschmuck verkauft.
Wie bist du in dem Job gelandet?
Sei gefälligst nicht überheblich. Ich komme zwar nicht aus der Hauptstadt, war aber einst wie du. Ich habe Informationstechnologie studiert und gehöre nicht zur Unterschicht. Dass ich einmal hier landen würde, habe ich nicht mal geträumt.
Wie kam es dazu?
Als ich studierte, habe ich mich in einen Kommilitonen verliebt. Er kam aus Teheran. Nicht aus einer wohlhabenden Familie, sondern aus ärmeren Verhältnissen. Wir wollten heiraten, aber seine Familie hat sich quer gestellt. Wir haben trotzdem geheiratet und ich bin nach Teheran gezogen. Wir waren beide arbeitslos. Was sollte meine Schwiegermutter mit zwei Arbeitslosen anfangen? Sie behandelte mich sehr schlecht. Und ich konnte keinen Job finden, mit dem mein Ehemann einverstanden war. Eines Tages habe ich in der U-Bahn Verkäuferinnen gehört, die sich unterhielten. Sie waren zufrieden mit ihrem Einkommen. Ich habe eine von ihnen über diese Arbeit ausgefragt und bin dann auch in den Job eingestiegen.
Wissen dein Ehemann und deine Schwiegermutter, wo du arbeitest?
Meine Schwiegermutter nicht, aber meinem Mann habe ich die Wahrheit erzählt.
Was macht dein Ehemann?
Er arbeitet seit zwei Monaten als Servicekraft in einer Bank.
Trotzdem willst du diesen Job weiter machen?
Nur so können wir die Kaution für eine Mietwohnung zusammenkratzen. Dann müssen wir die Wohnung einrichten. Bis dahin muss ich arbeiten.
Wie viel verdienst du pro Tag?
50.000 bis 60.000 Tuman (etwa 13 bis 15 Euro).
Wissen deine Eltern über deine Situation Bescheid?