Einblick in ein widersprüchliches Land

Der Film „Raving Iran“ erzählt die Geschichte der iranischen DJ-Combo „Blade & Beard“. Anoosh und Arash produzieren House-Musik und organisieren freizügige Partys in Teheran oder an abgelegenen Orten im Iran. René Wildangel hat den Film gesehen.

Dass es im Iran jenseits der strengen Gesetze der Islamischen Republik eine riesige Underground-Szene gibt, ist längst kein Geheimnis mehr. Besonders in Teheran existiert eine regelrechte Parallelwelt, in der nicht nur die von Staats wegen verachtete „westliche“ Kultur konsumiert wird, sondern auch kreative Freiräume jeglicher Art geschaffen werden.
Zum Teil durchaus vom Staat toleriert, denn die konservative Führung der Islamischen Republik weiß, dass ein großer Teil der Bevölkerung die offiziell proklamierte „reine Lehre“ strikt islamischer Werte nicht teilt. Dennoch gibt es Grenzen, und wer zu weit geht, begibt sich in Gefahr. So wie auch „Blade & Beard“ mit ihren offenherzigen Partys. Wenn sie auffliegen, drohen Teilnehmern und Organisatoren harte Strafen. Auch die DJs saßen schon im Gefängnis. Musik machen im Iran, das kann nicht nur im Film schnell wie ein schweres Verbrechen geahndet werden.
Wenn die DJs eine Party in der Wüste organisieren, gleicht der logistische Aufwand einer Himalaya-Expedition. Alles muss haarklein geplant werden und so aussehen, als führen hier lediglich ein paar Jugendliche auf einen Ausflug. Bei Kontrollen darf nichts verdächtig wirken, die Frauen haben neben ihren kurzen Partyklamotten auch stets den Tschador griffbereit. Der Ort muss möglichst abgelegen sein, damit die Partys keine Aufmerksamkeit erregen.
Im Iran ist es in der Öffentlichkeit verboten, „westliche“ Musik zu spielen (wird aber weitgehend tollerriert – Anm. d. Redaktion), Sängerinnen sind Tabu. Einstige weibliche Größen der iranischen Popmusik wie Googoosh treten heute statt in Teheran in den Exilhochburgen wie Los Angeles auf.
Geplante Provokation
Auftritte im Iran sind für missliebige Künstler und Künstlerinnen ebenso Tabu wie die Veröffentlichung von Alben. Dennoch versuchen „Blade & Beard“ ihr Glück mit ihrer Musik; bzw. man könnte vielleicht auch sagen, sie versuchen es, um Material für den Film zu sammeln. Denn der „Dokumentarfilm“ (so die offizielle Bezeichnung) der Schweizer Regisseurin Susanne Regina Meures ist eine weitgehend geplante Provokation: Anoosh und Arash haben zugestimmt, sich über eineinhalb Jahre mit versteckter Kamera begleiten zu lassen.

Im Susanne Regina Meures Film verschwimmt die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktivem
Im Susanne Regina Meures Film verschwimmt die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktivem

Dabei setzt das Filmteam sich selbst und seine Protagonisten einem nicht unerheblichen Risiko aus. Was wäre passiert, wenn sie erwischt worden wäre? „Das Problem im Iran ist die Willkür. Deswegen lässt sich das Ausmaß möglicher Bestrafungen nicht abschätzen. Es wäre aber mit Sicherheit nicht lustig geworden“, sagt die Regisseurin. Obwohl der Verlauf der Geschichte offensichtlich inszeniert ist, nimmt das dem Film aber wenig von seiner Glaubwürdigkeit.
Und er ermöglicht seltene Einblicke in Institutionen wie den „Ershad“ – das Ministerium für Kultur und islamische Führung, wo jeder vorstellig werden muss, der eine Band registrieren will oder eine Genehmigung für Auftritte sowie Veröffentlichungen bekommen möchte. Hier gelten strenge Sittenvorschriften.
Die Registrierung von „unislamischen“ Bands wie „Blade & Beard“ ist nicht vorgesehen. Trotzdem versuchen sie es und präsentieren der zuständigen Mitarbeiterin, ganz in den schwarzen Tschador gehüllt, ihr Albumcover. Die reagiert gar nicht unfreundlich, aber skeptisch und zunehmend ungläubig. „Bärte und Rasiermesser? Wollt ihr Euch über die Bärtigen lustig machen? Das könnten die Euch persönlich nehmen“, sagt sie gut gelaunt, und stellt dann klar: „Also: Da darf nichts Westliches drauf sein. Kein Englisch.“
Ob es denn in Ordnung sei dass die Band eine weibliche Leadsängerin habe? Die „Ershad“-Angestellte blickt die beiden ungläubig an. „Geht das denn gar nicht? Ach so, und unsere Sängerin hat ein Piercing“, fragt Annosh. „Seid ihr verrückt geworden?“, meint sie, aber sie sagt auch: „Ganz Iran wünscht sich weibliche Sängerinnen.“ Was sicher stimmt.
Mit einer offiziellen Genehmigung für das Album und die Band wird es also nichts. So muss das Duo sein Albumcover ohne Genehmigung vervielfältigen lassen und die Musik illegal unter das Volk bringen.
Die meisten Druckereien und Copyshops in Teheran winken ab: Zu gefährlich. Der Laden könnte geschlossen werden, wenn ein illegales Albumcover gedruckt wird. Zwar finden sie schließlich doch eine Druckerei, aber kaum einen Musikladen, der sich traut das Album zu verkaufen – unter dem Ladentisch, natürlich. „Ich musste meinen Laden gerade schon für einen Monat schließen“, sagt ein Besitzer, „obwohl ich eine Genehmigung hatte.“ „Was für eine Musikrichtung war es denn?“, fragen Anoosh und Arash. „Ganz normaler Metal“ lautet die Antwort. Aber auch die Heavy Metal-Szene in Iran lebt gefährlich.

„Die Islamische Republik will belogen werden“
In anderen Läden geht es pragmatischer zu. Dem Duo wird empfohlen, zwei Cover zu drucken, ein harmloses für die Auslage und eins, das dann mit dem Album an Interessenten verkauft wird. „Die Islamische Republik funktioniert so“, meint er „die will belogen werden“. Ein hippes Café in Teheran stimmt zu, die CD ab und zu spielen. Aber auch hier ist man vorsichtig, wegen ständiger Polizeikontrollen. „Ist es nicht besser geworden unter Präsident Rohani?“ „Nein, dasselbe Scheißsystem wie vorher“, meinen die Betreiber.
Nach einer langen Partynacht, in der die Musik bei einer Razzia mal wieder nicht schnell genug abgedreht wird, nimmt die Polizei Anoosh fest. Er landet im Gefängnis und berichtet hinterher, dass er dort mit 70 Schwerverbrechern in der Zelle saß. Am liebsten würde das Duo den Iran verlassen und den absurden staatlichen Kontrollwahn hinter sich lassen.
Trotz Zensur des Postweges schicken sie ein paar Exemplare ihres Albums zu internationalen Festivals, bei denen sie gern auflegen würden. Sie treffen einen Schleuser um sich zu erkundigen, wie sie illegal den Iran verlassen können. Der bietet Hilfe an, aber zu einem hohen Preis. Für 100.000 Tuman kann er alles besorgen, einen falschen Pass, Visa, Krankenversicherung, Arbeitsnachweise, Kontoauszüge.
Fremd an einem unbekannten Ort
Plötzlich kommt eine vielversprechende Antwort. Das Lethargy-Festival in Zürich meldet sich mit einer Einladung. Dass die beiden in die Schweiz eingeladenwerden, dürfte angesichts der Begleitung und Hilfe der Schweizer Regisseurin kein Zufall sein. Anoosh und Arash sind begeistert, voller Hoffnung. Als auch der letzte Schritt absolviert ist und sich das Schweizer Visum im Pass befindet, stellen sich ganz grundsätzliche Fragen. Ist das die Chance den Iran zu verlassen, für immer? Und wollen sie das wirklich?
Ihre Reise in die Schweiz – für gerade einmal fünf Tage haben sie das Visum bekommen – verläuft traumhaft: Endlich tanzen Menschen völlig sorgenfrei zu ihren Tracks in der Zürcher „Roten Fabrik“. Lokale Radiostationen bringen Interviews, sie genießen das Festival. Und fühlen sich dennoch fremd an einem unbekannten Ort. Das Heimweh ist enorm. Bis zur letzten Szene zögern sie: Bleiben oder gehen? Erst im Taxi zum Flughafen fällt die Entscheidung.
Ihre Geschichte steht sinnbildlich für die zahlreichen iranischen Künstler und Intellektuellen, die für ihre grundlegenden Rechte, auf freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit große Opfer bringen. Sie alle wollen am liebsten eines: Im Iran bleiben, sich dort verwirklichen. Das ist für die meisten aber nicht möglich oder lebensgefährlich.
Susanne Regina Meures gelingt ein berührender Film, der Klischees vermeidet. Dass die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktivem verschwimmt, tut ihm filmerisch gut. Er bietet Einblick in ein widersprüchliches Land, dessen Gesellschaft ganz und gar nicht den platten Klischees vom Mullah-Staat entspricht, aber seine überwiegend junge Bevölkerung noch immer auf unerträgliche Weise gängelt und ins Exil drängt.
  RENÉ WILDNAGEL
© Qantara.de 
Deutschlandpremiere: 26. September 2016, 20:00 Uhr, in der Schaubühne Berlin