Gewalt und die Psyche der IranerInnen

Vielen Flüchtlingen aus dem Iran sei nicht bewusst, dass sie Opfer von Gewalt seien und dass zum Teil auch sie anderen gegenüber unbewusst Gewalt ausübten. Das ist eine der Erkenntnisse einer Veranstaltung in Köln, auf der sich iranische PsychologInnen und PsychotherapeutInnen aus mehreren europäischen Ländern trafen.
Am 10. und 11. Mai wurde das Kölner Flüchtlingszentrum „Fliehkraft“ nunmehr das dritte Jahr in Folge Schauplatz einer Tagung iranischstämmiger PsychologInnen und PsychotherapeutInnen. Zahlreiche ExpertInnen aus Deutschland, Schweden, Frankreich, England und Belgien referierten auf dem gut besuchten Seminar über „Gewalt und unsere Psyche“. „Wir haben uns bewusst für dieses Thema entschieden, da viele im Exil lebende IranerInnen in der Vergangenheit Gewalt an Leib und Seele erfahren haben –  Gewalt seitens der Gesellschaft, innerhalb der eigenen Familie oder auch häusliche Gewalt gegen Frauen“, sagt die Psychotherapeutin und Mitveranstalterin Nahid Fallahi. Die Veranstaltung richtete sich explizit an iranische ImmigrantInnen und Flüchtlinge.
Aufmerksamkeit für die Seele

ExpertInnen des Kölner Seminars
ExpertInnen des Kölner Seminars

Jährlich verlassen viele Menschen ihre Heimat, um in Europa Zuflucht vor Krieg und politischer Verfolgung zu finden. Letztere ist auch für eine große Zahl von IranerInnen der Grund, ins Exil zu gehen. „Diese Menschen hatten größtenteils nie die Möglichkeit, ihre Erlebnisse im Iran, aber auch während und nach ihrer Flucht zu verarbeiten. Deswegen hat vor einigen Jahren eine Gruppe iranischer PsychologInnen und PsychotherapeutInnen die Idee entwickelt, einmal im Jahr ein Seminar zu veranstalten, das sich auf unterschiedliche Weise mit der menschlichen Psyche auseinandersetzt“, so Fallahi.
Dementsprechend behandelte das erste Treffen vor zwei Jahren die Traumata und seelischen Beschwerden, die Flucht und Immigration verursachen können. Im vergangenen Jahr diskutierten die ExpertInnen mit den SeminarteilnehmerInnen über die Rolle der iranischen Kultur in Bezug auf die Integration der Flüchtlinge und ImmigrantInnen in die europäischen Gesellschaften.
Das Ziel erreicht
Dass die Seminare der vergangenen zwei Jahre bei den BesucherInnen offenbar gut angekommen sind, zeigt auch die diesjährige Resonanz: Weit über hundert Gäste folgten am Wochenende den Redebeiträgen der ExpertInnen und nahmen an zahlreichen Workshops teil. Diskutiert wurden dabei etwa verschiedene Formen von Gewalt, ihre Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft, aber auch Themen wie Gewaltprävention und gewaltfreie Kommunikation.
„Viele der BesucherInnen waren schon in den Vorjahren da“, sagt der Stockholmer Psychologe und Universitätsdozent Vahid Ravandoust. Dies zeige, dass die bisherigen Inhalte den TeilnehmerInnen geholfen hätten. Das kann auch Seminarteilnehmerin Nasrin bestätigen, die für die Tagung eigens aus Frankreich angereist ist: „Die Seminarreihe hat bewirkt, dass ich mir zum ersten Mal meiner seelischen Probleme richtig bewusst geworden bin und angefangen habe, sie zu lösen. Sie hat in mir erstmals die Motivation geweckt, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Seitdem geht es mir deutlich besser“, so Nasrin.
Frauen, die sich nicht an den Dresscode des Regimes halten, sind der staatlichen Gewalt ausgesetzt
Frauen, die sich nicht an den Dresscode des Regimes halten, sind der staatlichen Gewalt ausgesetzt

Damit sei ein Ziel der Seminarreihe erreicht worden, sagt Ravandoust. „Das Wertvolle an den Tagungen ist, dass sie neben der reinen Informationsvermittlung den Exil-IranerInnen auch die Bedeutung der Psychologie vor Augen führen. Es gibt nämlich unter ihnen heutzutage noch große Vorurteile gegenüber unserer Arbeit. Viele sind der Überzeugung, dass Psychotherapie wirkungslos sei. Wenn unsere Seminare dazu beitragen, diese Sichtweise zu ändern, können wir sehr zufrieden sein“, so der promovierte Psychologe zu TFI.
„Nicht wenige IranerInnen – sowohl im In- als auch im Ausland – sind leider immer noch der Ansicht, dass nur Verrückte und geistig verwirrte Menschen sich in die Behandlung von PsychotherapeutInnen begeben“, ergänzt die Londoner Familientherapeutin Shahrzad Pourabdollah die Ausführungen ihres Stockholmer Kollegen. Besonders unter iranischen Männern seien solche Vorurteile weit verbreitet. Diese neigten eher dazu, ihre Probleme zu verharmlosen.
Seminar auch für ExpertInnen lehrreich
Mit neuen Kenntnissen und Einsichten gingen aber nicht nur die BesucherInnen, sondern auch die geladenen PsychologInnen und PsychotherapeutInnen nachhause. „Uns ist sowohl durch Gespräche mit den BesucherInnen als auch durch die Wortbeiträge in den Workshops bewusst geworden, dass viele Menschen den Gewaltbegriff sehr eng fassen“, sagt Pourabdollah. Dies sei problematisch, weil es Betroffene an der Erkenntnis hindere, dass sie selbst Opfer von Gewalt waren. Umgekehrt würden sich Menschen nicht bewusst, dass sie selbst auf ihre Mitmenschen Gewalt in anderer als physischer Form ausüben. „Mit einem solchen Erkenntnisgewinn können wir PsychologInnen und PsychotherapeutInnen zielgerichteter mit unseren PatientInnen arbeiten“, sagt Pourabdollah. „Damit steigen auch die Chancen, dass Therapien anschlagen.“ Dies sei ein Verdienst des Kölner Seminars.
  JASHAR ERFANIAN