Gewalt im Evin-Gefängnis wird zum Staatsthema
Die Zustände im Evin-Gefängnis glichen denen in Abu Ghuraib, es gebe zahlreiche Verletzte im Trakt 350, wo die politischen Gefangenen einsitzen, Inhaftierte seien im Hungerstreik. So lauten derzeit die Schlagzeilen der meisten persischsprachigen Nachrichtenportale im Ausland. Nach langem Zögern reagieren die Regierung und die Justiz auf den Vorfall. Zur aktuellen Situation.
Brutal und blutig soll es am Donnerstag vergangener Woche im Trakt 350 des Teheraner Evin-Gefängnisses zugegangen sein – dort, wo die meisten politischen Gefangenen im Iran inhaftiert sind, auch der Rechtsanwalt und Träger des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises Abdolfatah Soltani. Sicherheitskräfte hatten den Trakt gestürmt, nachdem Insassen dort gegen Kontrollen und Durchsuchungen protestiert hatten.
Der Anruf aus dem Londoner Büro von Amnesty International erschütterte Soltanis Tochter Maede Soltani, die seit fünf Jahren in Nürnberg lebt. Trakt 350 des Evin-Gefängnisses in Teheran sei gestürmt worden, sagte die Stimme am Telefon, und fragte: „Haben Sie etwas von Ihrem Vater gehört?“ Erst nach mehreren qualvollen Stunden habe sie endlich ihre Mutter Masumeh Dehghan in Teheran erreichen können, berichtet die 33-Jährige im Gespräch mit TFI. „Sie klang sehr besorgt, denn selbst 24 Stunden nach dem Vorfall hatte sie keine Information über den Zustand meines Vaters.“ Erst am Samstag konnte Dehghan dann für knapp zwei Minuten die Stimme ihres Mannes hören.
Schwarzer Donnerstag
Inzwischen wird dieser Tag von iranischen Oppositionellen als „schwarzer Donnerstag“ bezeichnet. Mehr als dreißig Insassen sollen bei der vierstündigen Aktion der Spezialkräfte verletzt worden und vier wegen schwerer Blutungen und Knochenbrüchen ins Krankenhaus gekommen sein. Einigen, wie Soltanis Vater, wurden vor den Augen der anderen Häftlinge die Haare abrasiert, dann wurden sie in Einzelhaft verlegt. „Zum Glück ist meinem Vater körperlich nichts zugestoßen“, sagt die Industrie-Designerin. Als sie das Foto mit dem rasierten Kopf des Vaters gesehen habe, habe sie weinen müssen. „So können sie unseren Vater nicht erniedrigen“, schrieb ihr Bruder aus Teheran, und an den Vater gerichtet: „Nicht deine Haare sind ihnen ein Dorn im Auge, sondern Deine Meinung und Dein Herz.“
Die Verantwortlichen für die Angriffe auf die Gefangenen müssten zur Rede gestellt werden, sagt die seit 2011 in Norwegen lebende iranische Rechtsanwältin Mahnaz Parakand. Selbst wenn ein Inhaftierter sich ordnungswidrig verhalten haben sollte, müsse dies zuerst der Gefängnisleitung gemeldet werden. Anschließend sei der Ordnungsrat des Gefängnisses verpflichtet, den Fall zu prüfen. Erst am Ende dieses Verfahren könne dieser dann eine entsprechende Strafe verhängen, so Parakand gegenüber TFI.
Ungewöhnliche Routinekontrolle
Im Falle des „schwarzen Donnerstags“ scheint eine Kontrollbesichtigung des Trakts aus dem Ruder gelaufen zu sein. Die Zellen des Trakts 350 würden routinemäßig alle vier Wochen von Verantwortlichen kontrolliert, erläutert Maede Soltani: „Sie durchsuchen die Matratzen, kontrollieren private Notizhefte und durchwühlen die Kleidung der Häftlinge.“ Diesmal sollen rund einhundert Spezialeinsatzkräfte, überwiegend in Zivilkleidung und zum Teil mit Sonnenbrillen, den Trakt betreten haben. Das klinge, als stecke das Informationsministerium dahinter, sagt Soltani. Sie hätten bei der Kontrolle sogar Kühlschränke auseinander geschraubt und Taschentuchboxen aufgerissen. Die Sicherheitskräfte hätten Insassen mit Schlagstöcken angegriffen, als diese sich weigerten, ihren Trakt zu verlassen, sagt Soltani. Die Spezialeinheit hätte sie aufgefordert, während der Durchsuchung in den Gefängnishof zu gehen.
Die politischen Häftlinge hätten dabei nur von ihnen zustehenden Rechten Gebrauch gemacht, bestätigt die Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Parakand. Nach iranischen Gefängnisregeln darf niemand in Abwesenheit der Häftlinge deren private Gegenstände durchsuchen, denn der betroffene Insasse muss am Ende ein Durchsuchungsprotokoll unterschreiben. Ohne ein solches Protokoll sei jede Anschuldigung, etwa die des Aufbewahrens von illegalen Dingen, nicht rechtskräftig.
Kontakt zum Ausland
Nach tagelangem Schweigen zu den Vorfällen im Evin-Gefängnis demonstrierte das iranische Staatsfernsehen am Dienstag einige Mobiletelefone und selbstgebastelte Radiogeräte, die auch ausländische Signale empfangen können. Sie sollen den politischen Gefangenen im Trakt 350 gehört haben. Die Spezialeinheit sei beauftragt gewesen, nach Kommunikationsmitteln zu suchen, sagte dazu der Leiter der iranischen Gefängnisse, Gholamhossein Esmaeili, „da bei einigen Insassen der Verdacht bestand, sie hätten Kontakt zu persischsprachigen Sendern im Ausland, etwa BBC Persian und Voice of America“. Der Iran bezeichnet diese Sender als „antirevolutionäre Programme“, die mit oppositionellen Gruppen zusammenarbeiten, um einen Regimewechsel im Iran zu fördern.
Doch Häftlinge im Iran hätten ein Recht auf Informationsmittel wie Zeitungen, Radios und Bücher, sagt die Anwältin Parakand. Auch stünde nirgendwo geschrieben, das der Besitz von Mobiltelefonen oder Laptops für Inhaftierte verboten sei. Beispiel dafür seien die anderen Gefängnistrakte, in denen gewöhnliche Gefangene untergebracht seien. „Dort gibt es welche, die mit ihren Handys ihre Familie und Freunde anrufen dürfen. Warum sollen politische Gefangene anders behandelt werden?“, fragt Parakand.
Regierung reagiert spät
Zwölf der politischen Häftlinge im Evin-Gefängnis begannen am Montag einen Hungerstreik. Am Dienstag schlossen sich ihnen mehrere Mitgefangene an. Sie verlangen in einer schriftlichen Erklärung nach einer schnellen Aufklärung der Vorfälle, „bevor die Spuren der körperlichen Gewalt verschwinden“. Überwachungskameras in ihrem Gefängnistrakt hätten die Vorfälle aufgezeichnet, so die Gefangenen: Mit diesem Filmmaterial könnten die Vorfälle untersucht und aufgeklärt werden.
Noch am selben Tag gab Irans Regierungssprecher Mohammad Bagher Nobakht bekannt, auf Anweisung von Präsident Hassan Rouhani sei eine Untersuchungskommission zur Aufklärung der Vorfälle im Evin-Gefängnis gegründet worden. Auch mehrere Parlamentarier werden sich mit den Vorfällen befassen. Die Familien der politischen Häftlinge hatten tagelang vor dem Präsidialamt und dem Parlament protestiert und die Verantwortlichen aufgefordert, die Hintermänner zu stellen.
Der Leiter der iranischen Gefängnisse, Gholamhossein Esmaeili, wurde unterdessen versetzt. Am Mittwoch erklärte ihn Irans Justizchef Sadegh Larijani zum neuen Justizchef der Provinz Teheran.
FOROUGH HOSSEIN POUR