Die Last der Lastenträger von Teheran
Der Basar der iranischen Hauptstadt Teheran gilt seit jeher als eines der wichtigsten Wirtschaftszentren des Landes. Ruht die Arbeit der Lastenträger dort, ist die Wirtschaft in Gefahr, heißt es. Das Leben der Träger ist hart, der Verdienst gering.
Den Teheraner Basar (*) erreicht man am Besten über die Straße des 15. Kohordad, die nach dem Todestag von Ayatollah Khomeini, dem Gründer der islamischen Republik Iran, benannt wurde. In dem Labyrinth enger überdachter Gassen bewegen sich so viele Menschen, dass man nur schwer erraten kann, wo man sich gerade befindet. Steigt man die Treppen der ehemaligen Schah-Moschee – heute heißt sie offiziell Imam-Khomeini-Moschee – hinab, erreicht man einen Platz, in dessen Mitte sich ein großer Brunnen befindet.
Um diesen Platz herum liegen die Geschäfte der Tresorhändler, eins neben dem anderen. Ihre Läden sind schmal und besonders lang. Am Rande des Brunnens sitzen die Tresorträger, auch bekannt als die Lastenträger der Schah-Moschee. Als sie hören, dass sie interviewt werden sollen, lachen sie erst schüchtern und wollen sich drücken. Aber nach einer Weile beginnen die Männer zu plaudern. Und bald darauf schütten sie ihr Herz aus, als ob sie bei den verantwortlichen Politikern vorsprächen. Sie klagen über ihre Probleme.
Der älteste Lastenträger in der Runde ist der 75-jährige Jafar. Seit 54 Jahren kommt er an jedem Arbeitstag mit seiner selbstgemachten Trage hierher. Die Konstruktion aus gepolstertem Stoff wird zur Schonung des Rückens wie ein Rucksack übergezogen. Darauf geladen wird dann die Last. Je nach Größe des Tresors, den er transportieren muss, und nach Länge der Strecke verdiene er „zwischen zehntausend und hunderttausend Tuman (2,50 -25,00 Euro)“, erzählt Jafar. Manchmal gebe es auch Trinkgeld. Mit seinem Verdienst hat er sechs Kinder aufgezogen, ihnen Schule, Studium und Hochzeit finanziert. Drei seiner Kinder führten bereits einen eigenen Haushalt und hätten selbst Familie, erzählt der alte Mann.
Der erst zwölf Jahre alte Zaer nutzt eine Lastenkarre zum Transport. Seit sechs Monaten arbeitet er auf dem Basar. Da seine Eltern die Schulkosten nicht bezahlen konnten, ist er aus der Großstadt Maschad im Nordosten nach Teheran gekommen. Er verdiene nicht schlecht, erzählt der Junge: „Manchmal schicke ich sogar meinen Eltern etwas Geld. Mein Vater ist krank. Meine Brüder arbeiten alle. Ich habe mir diesen Job ausgesucht. Am Anfang dachten die anderen Lastenträger, ich schaffe es nicht. Mir war aber klar: Ich muss es schaffen. Ich hatte keine andere Möglichkeit.“ Über seine Einnahmen sagt der Zwölfjährige: „Weil ich jünger bin, verlange ich weniger. Für lange Strecken bekomme ich 8.000 Tuman (etwa 2,00 Euro), für kurze 5.000 Tuman (etwa 1,30 Euro). Manchmal bekomme ich Trinkgeld dazu.“
Der 32-jährige Gholam kommt aus der Stadt Ilam im Südwesten des Irans. Der Junggeselle arbeitet seit vier Jahren im Basar. Sein Plan war, etwas Geld zu sparen, um dann in seiner Heimatstadt zu heiraten: „Wo ich herkomme, heiratet man eigentlich viel früher“, erzählt Gholam. Doch noch hat er nichts gespart, im Gegenteil: „Meine finanzielle Lage wird immer schlechter. Da es in meiner Heimatstadt keine Arbeit gibt, bleibe ich erst einmal hier.“
Auch der 41-jährige Rahim, geboren in Kermanshah und seit einigen Jahren in Teheran, ist unzufrieden mit dem Verdienst: „Vor fünf Jahren konnte ich immerhin meinen Lebensunterhalt verdienen. Aber nun übernehmen immer mehr Pickups die Transportaufträge. Hätte ich in meiner Heimatstadt ein bisschen Geld verdienen können, wäre ich niemals nach Teheran gekommen.“
Krankenversicherung
Der 50-jährige Reza ist einer der Tresorhändler aus der Ladenreihe an der Schah-Moschee. Über die Lastenträger sagt er: „Sie arbeiten selbständig und auf eigene Verantwortung, wir Händler zahlen für sie keine Krankenversicherungsbeiträge. Ihr Lohn hängt von den Kunden und den Händlern ab: Je nach deren Finanzlage werden die Lastenträger bezahlt. Zurzeit bekommen sie weniger Aufträge. Die Pickup-Fahrer verlangen die Hälfte dessen, was die Träger kosten.“
Ein Stück weiter, hinter der Gasse der Juweliere, sitzen vier Lastenträger im Schatten, zwei junge, zwei ältere, und warten auf Kundschaft. Im Basar heißt es: Wenn die Lastenträger ohne Arbeit herumsitzen, ist das ein Zeichen für den Stillstand des Handels. Der 25-jährige Karim aus Kurdistan ist seit vier Jahren in diesem Beruf. Er sitzt mit zusammengezogenen Augenbrauen da und ärgert sich über den Stillstand: „Wenn ich in meiner Heimatstadt täglich zehn- bis fünfzehntausend Tuman hätte verdienen können, wäre ich niemals nach Teheran gekommen.“ Sein Einkommen reiche gerade für Miete und Essen aus.
Dem 65-jährigen Mohammad fehlt am dringlichsten eine Krankenversicherung. Seine Hände und Schultern zittern. Nach 34 Jahren Arbeit als Träger hat sich Mohammad wegen seiner Körperschwäche eine Karre besorgt. Alle seine Vorfahren hätten in diesem Beruf gearbeitet, sagt Mohammad: „Ich habe auch damit begonnen – ohne daran zu denken, dass es einmal so schlecht gehen wird.“ Mit bitterem Lächeln fügt er hinzu: „Mein Sohn studiert im zweiten Jahr an der Universität. Wahrscheinlich muss auch er nach seinem Studium als Träger arbeiten.“
Vor allem über die Stadtverwaltung klagen die Lastenträger: Sie versuche immer wieder, für jede Trage und Karre Steuer zu erheben. Für die Träger ist das inakzeptabel. Ihre ohnehin zu niedrigen Einnahmen wollen sie nicht mit den Behörden teilen. Ihre Forderung an die Regierung lautet deshalb: „Wenn die Träger als Gegenleistung Kranken- und Rentenversicherung erhielten, wären wir bereit, Steuern zu zahlen.“ Skeptisch fragt einer aus der Runde: „Glaubst du, dass sich etwas ändern wird, wenn du über unsere Probleme schreibst?“ „Schreiben Sie, vielleicht verbessert sich unsere Lage“, sagt ein anderer hoffnungsvoll.
Soheil Saraian
Aus dem Persischen: Said Shabahang
Quelle: Tageszeitung Etemad
(*) Der Basar von Teheran gilt seit jeher als wichtiges Wirtschaftszentrum des Landes. Mit knapp zehn Kilometern Länge und über 10.000 Läden ist er der größte überdachte Basar der Welt. Hier wird eine große Auswahl an Waren angeboten, von kostbaren Teppichen über Silber- und Kupferarbeiten, Tüchern und Stoffen bis zu Lebensmitteln und exotischen Gewürzen. Unterschiedliche Handwerke sind jeweils in bestimmten Gassen untergebracht. Dort kann man den Handwerkern bei ihrer Arbeit zusehen. Reisende aus Westeuropa beschrieben schon 1660 die Existenz des Basars von Teheran. In seiner heutigen Struktur stammt er jedoch aus der Zeit der Kadscharen-Dynastie, die zwischen 1797-1834 herrschte.