Die Flucht der Spitzensportler
Die Flucht iranischer Leistungssportler ins Ausland beschäftigt iranische Internetportale. Was sind die Gründe für dieses Phänomen?
Kurz nach ihrer Gründung im Jahr 1979 setzte die Islamische Republik Iran drastische Veränderungen im Sport durch. Sportarten wie Tennis, Fechten oder Boxen, die den Ayatollahs „unislamisch“ oder „westlich“ vorkamen, wurden verboten, von anderen Disziplinen wie Schwimmen oder Fußball wurden Frauen ausgeschlossen. Wer weiter professionell Sport treiben wollte, musste fliehen. So suchte etwa der iranische Tennisstar Mansur Bahrami in Frankreich Asyl, die Schwimmerin und Asienmeisterin Tonia Vali-Oghli ging nach Deutschland. Andere SportlerInnen folgten. Sie kehrten dem Iran den Rücken und arbeiteten im Ausland an ihrer Karriere weiter – eine Flucht, die bis heute nicht endete.
Ein „deutsches“ Beispiel
Etwa der Judoka Vahid Sarlak, Gewinner von 18 Medaillen – fünf goldenen, sechs Silber- und sieben Bronzemedaillen: Er reiste 2010 zu einem Wettkampf nach Deutschland, verabschiedete sich dort von der iranischen Nationalmannschaft und bat um politisches Asyl. Für Sarlak sind der Ehrgeiz der Sportler, die strenge Kontrolle der iranischen Sittenwächter und die Ignoranz der Politiker gegenüber den Sportlern Gründe ihrer Fluchten. Im Gespräch mit der persischen Redaktion der Deutschen Welle (DW) beklagt er, dass kaum jemand der Verantwortlichen Notiz davon nimmt, warum SpitzensportlerInnen ins Ausland flüchten. „Wäre ich im Iran geblieben, hätte ich am Ende Zigarettenverkäufer oder Taxifahrer werden müssen“, so Sarlak.
Seit drei Saisons trainiert Vahid Sarlak nun in Mönchengladbach und macht Erfahrungen in der Bundesliga; neuerdings ist er sogar selbst Trainer seiner Mannschaft. Über Angst und Kontrolle im iranischen Sportbetrieb sagt er: „Sogar die Gewichtheber, die bei den olympischen Spielen in London 2012 Medaillen gewannen, wurden wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber Sportverantwortlichen aus der iranischen Nationalmannschaft ausgeschlossen.“ Der Iran wird bei den Gewichtheber-Weltmeisterschaften im Oktober in Polen deshalb wahrscheinlich mit einer jungen, unerfahrenen Mannschaft antreten.
Politische Einschränkungen
Mangelnde Mittel und Möglichkeiten auf allen Ebenen, besonders beim Kinder- und Jugendsport, werden bereits seit Jahren von SportlerInnen und Medien beklagt. Sie werden von vielen als Gründe für die Flucht von SportlerInnen ins Ausland genannt. Dazu kommt die politische Einschränkung bei internationalen Wettbewerben, besonders wenn israelische Sportler dabei sind: Die iranische Regierung verbietet Wettkämpfe gegen SportlerInnen aus Israel. Diese Einmischung der Politik in den Sport erlebte Sarlak 2005 bei der Judo-WM in Kairo. Um einen Kampf gegen einen israelischen Sportler zu vermeiden, musste er die Vorrunde gegen den aserbaidschanischen Gegner verlieren und damit auf die Goldmedaille verzichten.
Angst vor dem Erfolg
Der ehemalige Ringer der iranischen Nationalmannschaft Behfam Sharghi erinnert sich an die Anfänge der Islamischen Republik: „Für die Regierenden waren die Ideologie und die Frömmigkeit der Spieler wichtiger als ihre sportliche Fähigkeiten. Sie sahen die Sportler als Instrument und zwangen sie zum öffentlichen Beten und zum Küssen der Hände von Geistlichen.“
Als sich der Iran 1997 für die Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich qualifizierte, feierte die Nation: Überall auf den Straßen wurde getanzt. Die islamischen Moralhüter hatten plötzlich keine Kontrolle mehr über die hauptsächlich junge begeisterte Masse. Seitdem behindere das Regime internationale Erfolge iranischer SportlerInnen, glauben viele von ihnen. Es sei den Machthabern nicht genehm, wenn Sportler internationale Erfolge hätten: „Die Qualifizierung der iranischen Fußballnationalmannschaft für die WM 2014 in Brasilien, die Medaillengewinne der iranischen Gewichtheber und Ringer bei Olympia 2012, der Asienmeistertitel der iranischen Basketballmannschaft und ihre Qualifizierung für die WM in Spanien 2014 – all das bereitet den Machthabern im Iran die Sorge, Sportler könnten beliebter werden als die politische Führung“, sagt der ehemalige Ringer Sharghi.
FT