Der öffentliche Tod

Im Iran kann die Todesstrafe vor Publikum vollstreckt werden. Obwohl die meisten IranerInnen öffentliche Hinrichtungen ablehnen, werden diese von vielen Menschen besucht. Über die Ursachen und Folgen dieses unmenschlichen Schauspiels.
„Es sind nicht wenige, die Hinrichtungen beiwohnen. Frauen, Männer, Kinder, Arme und Reiche: Bei öffentlichen Hinrichtungen im Iran sieht man Schaulustige aus allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten“, sagt der in Brüssel lebende iranische Psychologe Reza Kazemzadeh im Gespräch mit TFI. Es seien vor allem Menschen, die in ihrem Privat- oder Arbeitsleben gescheitert seien und öffentliche Exekutionen als Ventil ihrer eigenen aufgestauten Wut bräuchten. Das habe etwas „sehr Sadistisches“, so Kazemzadeh.
Neben denen, die vom Regime für das Zuschauen bei den öffentlichen Exekutionen bezahlt würden und dort mit ihrem bestellten Jubel für die ‚richtige’ Atmosphäre und den Anschein von Legitimität sorgen sollen, gingen viele ZuschauerInnen auch aus „purer Neugierde“ zu Hinrichtungen, sagt der Psychologe. „Obwohl sich die Menschen vor ihm fürchten, übt der Tod Faszination aus. Das ist nicht nur im Iran so. Die Distanz zum Erlebten entsteht, wenn sich die Besucher einreden, dass ihnen ein solches Schicksal nicht widerfahren könne.“
Viele Exekutionen

Reza Kazemzadeh: Die öffentliche Zurschaustellung des Todes hat zur Verrohung der Gesellschaft beigetragen!
Reza Kazemzadeh: Die öffentliche Zurschaustellung des Todes hat zur Verrohung der Gesellschaft beigetragen!

Zum dritten Jahr in Folge war der Iran 2013 nach China das Land mit den meisten Hinrichtungen weltweit. Laut Amnesty International wurden in der Islamischen Republik im vergangenen Jahr 369 Menschen exekutiert, 55 mehr als im Jahr zuvor. Allerdings, so die Menschenrechtsorganisation, gebe es glaubwürdige Hinweise, dass mindestens 335 weitere Menschen exekutiert wurden. Und dieser Trend setzt sich 2014 fort: Allein in den ersten sieben Wochen des Jahres sind nach Angaben der Vereinten Nationen im Iran bis zu 95 Menschen exekutiert worden, viele davon vor Publikum. Denn die Todesstrafe ist im Iran nicht nur erlaubt. Sie kann auch öffentlich vollstreckt werden – laut Artikel 195 des iranischen Strafgesetzbuches etwa dann, wenn ein autorisierter religiöser Rechtsgelehrter dies anordnet.
57 bestätigte öffentliche Exekutionen soll es 2013 gegeben haben. „Zumeist haben diese in größeren Städten stattgefunden, denn vor allem dort leben die Gegner des Regimes, denen mit den Hinrichtungen das Fürchten gelehrt werden soll“, sagt Kazemzadeh. Offiziell würden die Exekutionen vor Publikum dazu dienen, die Menschen von Mord, Vergewaltigung oder Drogenmissbrauch abzuschrecken.
Verrohung der Gesellschaft
ZuschauerInnen einer öffentlichen Hinrichtung in Shahre Kord
ZuschauerInnen einer öffentlichen Hinrichtung in Shahre Kord

„Das ist allerdings purer Unsinn“, meint der Psychologe. Seit der Einführung öffentlicher Exekutionen und Auspeitschungen nach der Revolution von 1979 gebe es keine Indizien dafür, dass das Regime in Teheran damit die iranische Bevölkerung von Straftaten abhalten konnte. „Vielmehr hat die öffentliche Zurschaustellung des Todes zur Verrohung der Gesellschaft beigetragen. Die IranerInnen haben sich an Gewalt gewöhnt“, sagt Kazemzadeh. „Viele scheuen nicht davor zurück, selber Gewalt zur Durchsetzung persönlicher Ziele anzuwenden.“ Dies spiele den Herrschenden im Iran in die Karten: Denn der Anblick davon, wie ein Mensch durch die Hände anderer Menschen sterbe, trage dazu bei, dass die Zuschauenden emotional abstumpfen. „Dadurch halten sich Wut und Empörung über das viele Unrecht, das vom iranischen Regime begangen wird, in Grenzen.“ Das sei „gut für das System der Islamischen Republik“, sagt Kazemzadeh: „Aber schlecht für die Menschen.“
 
 Nahid Fallahi / Jashar Erfanian