„Das achte S“ – KünstlerInnen für Obdachlose

Während das iranische Regime soziale Probleme unter den Teppich zu kehren versucht, macht eine Künstlerinitiative auf die Obdachlosen im Iran aufmerksam. Die Kampagne „Das achte S: Sarpanah“ hat mittlerweile AnhängerInnen aus unterschiedlichsten Metiers gewonnen. Auch PolitikerInnen werden angesprochen.
Die international bekannte Filmemacherin Rakhshan Bani-E’temad und der nationale iranische Filmstar Reza Kianian legten im März, kurz vor dem iranischen Neujahr, den Grundstein. Sie gaben damals bekannt, die Auszeichnungen versteigern zu wollen, die sie für ihre Arbeit erhalten hatten. Das Geld soll in den Bau neuer Einrichtungen für Obdachlose investiert werden.
Ihre Aktion nannten sie „Sine Hashtom Sarpanah“ (auf deutsch etwa: O wie Obdach). Zum iranischen Neujahrsfest wird traditionell ein Tisch mit sieben Elementen gedeckt, deren Namen alle mit „S“ anfangen. Jedes Element symbolisiert einen Wunsch für das bevorstehende Jahr. Abgeleitet von dieser Tradition haben die Künstler ihre Aktion mit dem Namen „Sarpanah“ (Obdach) zum achten Element des diesjährigen Neujahrstischs gemacht.
Obwohl die großen Verkaufsaktionen noch nicht stattgefunden haben, haben sich der Aktion viele weitere KünstlerInnen angeschlossen. Auch Fußballer und Schriftsteller sind dabei.
Mehrheitlich drogenabhänig

Viele drogensüchtige Frauen werden von ihren Familien verstoßen
Viele drogensüchtige Frauen werden von ihren Familien verstoßen

Die Initiative konzentriert ihre Hilfe auf die Obdachlosen in der iranischen Hauptstadt Teheran, deren Anzahl laut offiziellen Angaben bei 15.000 liegt. Laut Teherans Vizeoberbürgermeister für soziale Wohlfahrt, Reza Dschahangiri Far, sind Teherans Obdachlose durchschnittlich 35 bis 40 Jahre alt und zu achtzig Prozent drogenabhängig. Neben der Drogensucht seien Armut und familiäre Probleme die wichtigsten Auslöser für ein Leben auf der Straße, so Dschahangiri Far.
Die Teheraner Stadtverwaltung hat in den vergangenen Jahren einige soziale Einrichtungen eröffnet, die Obdachlosen Unterstützung bieten. Die Angebote dieser Einrichtungen beschränken sich jedoch auf Essen, Übernachtung und Hygiene. Eine längerfristige, vor allem psychische und medizinische Betreuung bleibt meistens auf der Strecke.
Die „Strßenfrauen“
Als besonders verletzlich werden weibliche Obdachlose eingestuft. Die Gründer der Initiative „Sarpanah“ haben deshalb Ende des vergangenen Monats die iranische Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten, Shahindokht Molaverdi, besucht, um Unterstützung zu erhalten. Sie schätzt die Lage der aus der Haft entlassenen Frauen als besonders problematisch ein. Diese Frauen würden oft von ihren Familien verstoßen und landeten auf der Straße, so Molaverdi. Ein Teil werde dann erneut straffällig, nur um im Gefängnis wieder ein Dach über dem Kopf zu haben, so die Vizepräsidentin. Sie merkte an, dass auch Frauen, die wegen häuslicher Gewalt auf der Straße leben, keine Unterstützung geboten werde.
Die im Volksmund pauschal als „Straßenfrauen“ bezeichneten weiblichen Obdachlosen werden aufgrund kultureller und traditioneller Einstellungen noch benachteiligter behandelt. Eine ärztliche Untersuchung auf Jungfräulichkeit soll in der Vergangenheit viele Mädchen davon abgeschreckt haben, sich an die Einrichtungen zu wenden. Der Terminus „Straßenfrau“ wird hauptsächlich für Prostituierte benutzt.
Auch das islamische Regime verschweigt gern die sozialen Schwierigkeiten von Frauen, weil es seit Anbeginn seiner Herrschaft ein komplett anderes Bild von der Lage der Bevölkerung und insbesondere der Frauen propagiert.
Der damalige iranische Polizeichef General Esmail Ahmadi Moghadam räumte jedoch im vergangenen Herbst ein: „Die Polizei könnte alle obdachlosen Frauen innerhalb einer Woche von der Straße holen. Es gibt jedoch weder geeignetes Obdach noch Ausbildungsmöglichkeiten für sie.“
Mehr HIV-Infizierte
Eine soziale Einrichtung für Obdachlose in Teheran - Foto: fararu.com
Eine soziale Einrichtung für Obdachlose in Teheran – Foto: fararu.com

Über die Anzahl HIV-Infizierter im Iran werden unterschiedliche Angaben gemacht. Laut dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung wurden bis zum Herbst 2014 landesweit über 29.000 HIV-Infizierte registriert. Die tatsächliche Zahl schätzt das Ministerium auf etwa 85.000 Fälle, darunter mehr als ein Viertel Frauen. Da das gemeinsame Benutzen von Spritzen sowie ungeschützter Geschlechtsverkehr die häufigsten AIDS-Übertragungswege im Iran sind, gehen die Sachverständigen davon aus, dass die Infektionsrate auch unter Obdachlosen hoch ist.
Die Initiative „Das Achte S“ hofft, die Gesellschaft für diese Problematik sensibilisieren zu können. Ein Treffen mit Vizepräsident Eshagh Dschahangiri könnte die InitiatorInnen ihrem Ziel einen großen Schritt näher bringen, hoffen sie. Vizepräsidentin Molaverdi hat versprochen, das Treffen zu organisieren.
Die Aktion könnte bei Erfolg Nachahmer finden, falls die Sicherheitsbehörden sie nicht für eine Gefahr halten. Denn jede nicht staatlich organisierte Initiative, die nicht vom Regime selbst kontrolliert wird und große Aufmerksamkeit bekommt oder das Potenzial haben könnte, wichtig zu werden, wird von den Machthabern nicht gern gesehen. Im Sommer 2012 wurden 26 Freiwillige in der nordwestiranischen Provinz Aserbaidschan festgenommen. Den jungen Helfern, die Betroffenen des Erdbebens in der Provinz helfen wollten, wurde „Sabotage“ vorgeworfen. Und auch die komplizierte Bürokratie im Iran könnte den Weg des „Achten S“ zum Erfolg in die Länge ziehen.
  IMAN ASLANI