Solidarität der IranerInnen mit Charlie Hebdo

Der Terroranschlag in Paris hat auch unter IranerInnen eine Welle der Empörung und der Anteilnahme ausgelöst. Während die iranische Regierung und die Presse des Landes den Terror und das angegriffene Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in einem Atemzug verurteilen, beziehen die meisten iranischen Internetuser eindeutig gegen den Terroranschlag Stellung. Selbst Gläubige verteufeln das Attentat vom 7. Januar und wollen mit dem „Gott der Terroristen“ nichts zu tun haben.

„Das ist nicht mein Allah!“, schreibt der Theologe Hassan Yousefi Eshkevari in einer persönlichen Note zu dem Terroranschlag, die auf der Website Tavana veröffentlicht wurde. „Einst riefen Menschen Allah-ho Akbar (Gott ist Groß), um ihrem Protest gegen Terror und Ungerechtigkeit Ausdruck zu verleihen. Und heute?“, fragt Eshkevari. Seine Antwort: „Seit langem wird der Islam in der Weltöffentlichkeit und in den islamischen Ländern infragegestellt. Heute werden überall im Namen des Islam und angeblich zur Verteidigung des Propheten und des Korans Terror, Verbrechen und Morde begangen und Katastrophen verursacht. Wenn ich ehrlich sein soll: Heute ruft Allah-ho Akbar in mir keine religiösen und menschlichen Gefühle mehr hervor. Denn es scheint mir, dass dieser Allah, wie groß er auch sein mag, noch viel brutaler und verbrecherischer ist“, schreibt der islamische Theologe.
Nicht nur Eshkevari, unzählige iranische Internetuser äußern ihre Wut und ihre Trauer über die Ermordung der 12 Menschen, die im Namen Allahs getötet wurden. Wie der reformistische Rechtsgelehrte Eshkevari wollen die meisten von ihnen, die an Gott glauben, mit dem Allah der Terroristen in Paris nichts zu tun haben. Das seien keine Muslime, sondern Verbrecher, die den Islam zum Vorwand nähmen, schreiben viele.
“Ich bin nicht gläubig!“
Eine andere Folge des Terroranschlages in Paris ist die Bekenntnis ungewöhnlich vieler iranischer Internetuser, nicht gläubige Muslime zu sein oder gar keiner Religion anzugehören.  Wer aus einer islamischen Familie stammt, darf nach den Gesetzen der Islamischen Republik keine andere Religion annehmen. Den „Abtrünnigen“ droht sogar die Todesstrafe.

Eine Karikatur des iranischen Karikaturisten Mana Neyestani mit dem Titel "Wir sind alle Charlie"
Eine Karikatur des iranischen Karikaturisten Mana Neyestani mit dem Titel „Wir sind alle Charlie“

„Ich bin völlig sprachlos“, schreibt etwa die in Deutschland lebende Journalistin Maryam Mirza auf ihrer Facebook-Seite: „Ich würde am liebsten den zurecht beängstigten Menschen in der ganzen Welt sagen: Meine Eltern sind Muslime, sie verrichten auch täglich ihre Gebete, und trotzdem sind sie genauso wie Ihr angeekelt von solchen barbarischen Taten.“ Sie würde „ihnen am liebsten sagen: Glaubt mir, wenn ich aus irgendeinem Grund religiös werden sollte, würde ich in dieser Zeit nicht den Islam annehmen.“ Sie spüre den Wunsch, „wieder in die Leipziger St. Thomas Kirche zu gehen, um Bach, einen der Götter der Musik, zu ehren, und dann auf einen Zettel den Wunsch aufzuschreiben: Gott, befreie uns von deinen Fans!“, schreibt die Journalistin.
Bei vielen Kommentaren derjenigen iranischen Internetuser, die in Europa leben, ist die Sorge um eine Zunahme des Fremdenhasses spürbar. Sätze wie der von Ladan Hamedanian sind häufig zu lesen: „Und ich denke an PEGIDA, die am Montag noch stärker demonstrieren wird.“
Die Schüsse der Attentäter in Paris haben für eine größere Sympathie für das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ unter den iranischen Internetusern gesorgt. Viele von ihnen plädieren für die Verteidigung der Meinungsfreiheit. Nicht wenige Social-Media-User haben ihre Profilfotos mit dem Satz ersetzt: „Je suis Charlie“.
Selber schuld
Doch es gibt auch Stimmen, die zwar den Anschlag auf „Charlie Hebdo“ verurteilen, aber die Wurzel des Übels in der Arbeit des Satiremagazins sehen.
Auch die iranische Regierung hat so auf den Anschlag reagiert. Die Sprecherin des Außenministeriums, Marzieh Afkham, ließ die Weltgemeinschaft wissen, dass die Islamische Republik den Terroranschlag in Paris, aber auch zugleich „den Missbrauch der Meinungsfreiheit zur Beleidigung der monotheistischen Religionen, ihrer Symbole und Werte“  verurteile.
Auch die Freitagsprediger in Teheran und anderen Städten haben sich ähnlich geäußert. Die politischen Ansprachen bei den Freitagsgebeten spiegeln in der Regel die Meinung des Staatsoberhauptes Ayatollah Ali Khamenei über brisante Themen wider. Ayatollah Ahmad Khatami, Teherans Freitagsprediger, beschuldigte westliche Länder, Terroristen ausgebildet und mit Waffen versorgt zu haben, die nun zu einem Problem des Westens würden. „Wer Wind sät, erntet Sturm“, so Ahmad Khatami.
Meinungsfreiheit verteidigen
„Ich sterbe lieber aufrecht, als auf Knien zu leben!“, soll Stéphane Charbonnier, der ermordete Chefredakteur von Charlie Hebdo gesagt haben
„Ich sterbe lieber aufrecht, als auf Knien zu leben!“, soll Stéphane Charbonnier, der ermordete Chefredakteur von Charlie Hebdo gesagt haben

Doch die meisten InternetaktivistInnen haben die offizielle Stellungnahme der Islamischen Republik kritisiert. Manche interpretierten sie als „Schadenfreude“, für andere war sie nur „eine heuchlerische Geste“. Es gab aber auch andere Interpretationen. Sohrab Mobbasheri etwa vergleicht diese Haltung mit der von „europäischen Rassisten“, die den Terroranschlag von Norwegen auf Jugendliche vor dreieinhalb Jahren verurteilten: „Sie sagten, schießen auf Menschen ist nicht gut, aber um Derartiges zu verhindern, sollte man islamische EinwanderInnen aus Europa vertreiben“, schreibt Mobbasheri in einem Artikel für das linksgerichtete Online-Magazin Akhbar Rooz.
Nach der Welle der Kritik meldete sich der Präsident selbst zu Wort und sprach nur gegen Terror: „Wir verurteilen jeden terroristischen Akt, ob in Palästina, Irak, Syrien, Paris oder Amerika“, twitterte Hassan Rouhani am Freitagnachmittag.
„Charlie Hebdo“ in der Presse
Die iranische Presse reagierte verhalten auf den Pariser Terroranschlag. Die Ultrakonservativen, die darüber berichtet oder ihn kommentiert haben, sehen die Mohammad-Karikaturen als Agitation gegen den Islam, die im Blutbad geendet sei. Für sie liegt die Verantwortung des Terrors bei den Opfern oder bei den westlichen Regierungen, die nichts gegen die Veröffentlichung der Karikaturen unternommen haben – und zum Teil sogar den Terrorismus unterstützt haben sollen.
Selbst gemäßigtere Tageszeitungen kommen ohne Seitenhiebe nicht aus. Der Autor des Leitartikels von Shargh, Ali Bigdeli, vermutet, dass Charlie Hebdo „den Zionisten“ nahestehe. Er weist darauf hin, dass Europa vom Terrorismus mehr denn je bedroht sei und empfiehlt dem Westen, gemäßigten islamischen Ländern wie dem Iran zu vertrauen und mit ihnen „gegen die radikalen Kräfte, die den Islam für ihre Zwecke ausnutzen“, zusammenzuarbeiten.
Die Zeitung Ebtekar verurteilt den Terror und stellt zugleich die Frage, in wieweit „Karikaturen oder Texte, die den Glauben bestimmter Gruppen von Menschen verspotten“, in den Rahmen der Meinungsfreiheit passen würden.
Die Tageszeitung Etemad, die von reformorientierten Kräften herausgegeben wird, berichtete unter dem Titel „Schwarzer Mittwoch in Paris“ von „dem bewaffnetem Angriff“. Etemad weist in ihrem Bericht darauf hin, dass Charlie Hebdo nicht nur den Islam, sondern „alle religiösen und politischen Persönlichkeiten, aber auch die Polizei und die Bankiers verspottet“. Als Beispiel nennt Ebtekar einen satirischen Bericht über den Tod von Charles de Gaulle im Jahr 1970.
  FARHAD PAYAR