Blind für die Probleme der Blinden
Eine halbe Million Menschen im Iran sind blind oder sehbehindert. Die iranische Gesellschaft zeigt bei ihrer Inklusion noch starke Defizite. Doch es gibt auch Fortschritte.
„Das Leben als Blinder ist in diesem Land wahrlich nicht leicht“, sagt Hassan, 27, im Gespräch mit TFI. „Was mir persönlich aber die meisten Schwierigkeiten bereitet, ist der Umstand, dass die Menschen mir wegen meiner Behinderung nichts zutrauen und mich bemitleiden“, so der Iraner. Hassan, von Geburt an blind, ist einer von knapp 500.000 IranerInnen, die entweder vollständig oder stark in ihrer Sehkraft eingeschränkt sind. Ihm mache es zu schaffen, dass die Gesellschaft die Fähigkeiten und Talente der Blinden und Sehbehinderten nicht wahrnehmen wolle, sondern sie als nutzlos abstempele, so Hassan: „Dabei strotze ich vor Motivation und Kraft. Doch ich werde leider nicht ernst genommen.“
Dass sich das eines Tages ändert, möchte der Iranische Verband der Blinden und Sehbehinderten erreichen. Der Verband gründete sich vor 20 Jahren und gilt wichtigstes Sprachrohr und größte Interessenvertretung blinder und sehbehinderter IranerInnen. Ziel der Organisation ist es, die tief verwurzelten Vorurteile gegenüber ihrem Klientel in der iranischen Gesellschaft auszuräumen.
Schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt
Besonders deutlich werden diese Vorurteile in der Arbeitswelt. Amtliche Statistiken zeigen, dass 70 Prozent der blinden oder sehbehinderten IranerInnen arbeitslos sind. Und diejenigen, die das Glück hatten, einen Arbeitsplatz zu finden, werden meist so schlecht bezahlt, dass 75 Prozent von ihnen unter der Armutsgrenze leben. „Objektiv gesehen sind Armut und Arbeitslosigkeit die Probleme, die uns Blinden am meisten Kopfschmerzen bereiten“, sagt Hassan. Er habe einen Job als Hotline-Mitarbeiter eines Autohauses. Doch gut leben könne er mit dem, was er verdiene, auch nicht, klagt der junge Iraner.
Und zusätzliche Unterstützung gibt es kaum: „Das Gesundheitsministerium hat zwar ein Hilfsbudget für Blinde und Sehbehinderte bereitgestellt“, weiß Hassan. „Das reicht jedoch nur für knapp 120.000 von uns.“ Die umgerechnet 15 Euro, die diese wenigen pro Monat erhielten, seien sogar für iranische Maßstäbe zu wenig. Abhilfe versucht der Verband der Blinden und Sehbehinderten zu schaffen: Stark von Armut bedrohte Blinde und Sehbehinderte haben die Möglichkeit, in Einrichtungen, die den deutschen Tafeln ähneln, Nahrungsmittel zu bekommen. Doch aufgrund der begrenzten finanziellen Möglichkeiten des Verbandes erhält auch dabei nicht jeder die benötigte Unterstützung.
Hindernisse im Alltag
Blinde IranerInnen klagen aber auch über das fehlende Bewusstsein für ihre alltäglichen Probleme und Bedürfnisse: etwa die Angst vor Verletzungen bei möglichen Stürzen, die viele davon abhalte, ihr Haus zu verlassen. Und der Iran sei noch weit davon entfernt, Blinden diese Angst zu nehmen, sagt der in Köln lebende blinde iranische Journalist Eskandar Abadi: „Barrierefreies Bauen für sehbehinderte und blinde Menschen hat bei iranischen StädteplanerInnen, Bauverantwortlichen und ArchitektInnen noch keinen Eingang in das Denken gefunden.“ Die Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Menschen beeinflussten die Planung und Ausführung von Bauvorhaben kaum. So fehlen Abadi zufolge etwa Bodenleitsysteme, die mit dem Blindenstock ertastet werden können und im öffentlichen Raum zur Orientierung dienen. Auch fehlten im Iran die in Deutschland verbreiteten Fußgängerampeln, die akustische Signale aussenden, so der Journalist.
Dabei hatte etwa der Teheraner Stadtrat bereits 2005 geplant, daran etwas zu ändern. Die Vorgaben für eine Stadtplanung, die auf Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Menschen eingeht, wurden aber bis heute nicht umgesetzt. Der Grund: Sie sind zu teuer.
Verbesserungen bei der Bildung
Trotz dieser Defizite, glaubt Abadi, entwickelten sich die Dinge im Iran langsam zum Besseren: „Es ist erfreulich, dass im digitalen Zeitalter immer mehr blinde und sehbehinderte IranerInnen höhere Bildung erwerben können“, so Abadi zu TFI. Früher sei dies anders gewesen. Es habe kaum Sonderschulen und an gewöhnlichen Schulen nur sehr wenige Unterrichtsmaterialien in Brailleschrift gegeben, führt der blinde Redakteur der Deutschen Welle aus. „Heute hat jeder Blinde im Iran theoretisch die Möglichkeit, durch Hörbücher oder spezielle Computersoftware an Wissen zu gelangen.“ Insgesamt ginge es „langsam bergauf“, so Abadi, obwohl noch viel zu verbessern sei: „Die größte Hörbibliothek mit persischer Literatur gibt es in Berlin. Warum nicht in Teheran, Isfahan oder Schiraz?“
Jashar Erfanian und Nahid Fallahi