Augenzeugenbericht von den Teheraner Protesten am 20. Februar 2011
Zusammen mit zwei Freundinnen liefen wir gegen 15 Uhr vom Haft-Tir- zum Valiasr-Platz. Basidji-Milizen, Zivilpolizisten und Sondereinheiten belagerten die gesamte Strecke, und wurden immer zahlreicher, je näher wir uns dem Valiasr-Platz näherten.
Sie schauten uns voller Hass und Hohn in die Augen; so intensiv, als ob sie sich unsere Gesichter merken wollten. Einige standen auf ihren Motorrädern und filmten die vorbeigehende Menschenmenge.
Wir versuchten unauffällig an ihnen vorbeizugehen. Einer von ihnen sagte zu seinem Kollegen: „Schau sie dir an! Sie denken wir sind blöd und wissen nicht, dass sie zum Demonstrieren auf die Straße gekommen sind, diese Luder… man sollte sie alle umbringen.“ Unwillkürlich schaute ich ihn an. Da maulte schon der Nächste: „Beweg dich, Frau! Ich habe doch gesagt: nicht stoppen! Was gibt’s denn zu glotzen!“
In dem Augenblick fiel mein Blick auf einen Pick-Up des Sonderkommandos, der in der Straße parkte. Vier 13- oder 14jährige Jungs waren dabei, sich Knüppel und Kabel aus dem Fundus im hinteren Teil des Wagens auszusuchen. Einer von ihnen sagte lachend etwas zu den anderen und die anderen lachten mit. Ich sagte zu meiner Freundin: „Schau, so erziehen sie Mörder. Statt jetzt in der Schule zu sein, suchen sie sich Knüppel aus, um Menschen zu schlagen.“ Ein Mädchen, das neben uns ging, meinte: „Weißt du, dass sie dafür Geld bekommen? In unserem Dorf haben sie in der Schule jedem, der die Basidjis unterstützt täglich, zehntausend Toman angeboten!“
Wir erreichten den Valiasr-Platz. Er war voller Menschen, die hin und her liefen und versuchten, einander durch Blicke zu finden. Sie lächelten sich an, und fragten, wo noch mehr los war.
Es schien nicht so, als hätte jemand Angst. Die Menschen liefen durchaus ohne Furcht vor den Sicherheitskräften.
Meistens standen sie vor den Gassen, gaben sich Zeichen, zusammen zu bleiben, um eine Gruppe zu bilden: „Ruft keine Parolen, bis wir mehr geworden sind“, hieß es, sonst würden sie uns auseinander treiben.
Die Sonderkommandos befahlen, die Geschäfte um den Platz zu schließen. Sobald ein Menschenhaufen entstand, stürmte die Miliz mit Knüppeln los. Wir versuchten, trotzdem ruhig zu bleiben und nicht zu fliehen. Inzwischen war es schon 16 Uhr. Wir setzten uns an der Bushaltestelle, um zu besprechen, wo wir hingehen sollten. Da kamen einige Zivilpolizisten auf uns zu: „Steht auf und geht! Warum habt ihr euch hingesetzt? Geht nach Hause. Es ist nichts los. Sie haben euch umsonst auf die Straße getrieben.“ Ich fragte: „Was soll das? Es gibt in der Busstation Sitze, damit sich die Leute hinsetzen. Wir haben uns hingesetzt, um auf den Bus zu warten.“ Daraufhin meinte einer von ihnen: „ So so, hingesetzt?
Ich habe selbst gesehen, wie ihr den Platz zehnmal auf- und abgegangen seid. Muss man euch unbedingt die Köpfe einschlagen? Steht auf und geht. Die Demonstration ist vorbei.“
Mit Knüppeln in der Hand zwangen sie alle in der Busstation aufzustehen. Einer von ihnen rief: “ Wenn ich euch nochmal hier rumlungern sehe, dann gibt ´s was.“ Wir standen alle auf und beschlossen, zum Enghelab-Platz zu fahren. Wir nahmen ein Taxi und fuhren in Richtung 16 Azar-Straße. Als wir einstiegen, meinte der Taxifahrer: „Meine Damen, wenn am 16. Azar viel los ist, lasse ich euch raus, wo ich kann.“ Eine meiner Freundinnen fragte, ob auf dem Enghelab-Platz viel los sei. Der Fahrer: „Ja meine Dame, sie bauen nur Mist, sie haben das gesamte Volk unglücklich gemacht. Sie haben so viel Angst, dass sie alle Handbreit Sicherheitskräfte abgestellt haben; auch auf dem Enghelab-Platz. Passen Sie gut auf sich auf. Sie wissen doch, was das für Leute sind. Gott bewahre, wenn Sie ihnen in den Händen fallen…“ Als wir die 16.Azar- Straße erreichten, war so viel Stau, dass wir aus dem Taxi stiegen. Der Fahrer nahm kein Geld an und sagte: „Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“
Wir gingen in Richtung Enghelab-Platz. Es hatten sich viele Menschen versammelt, alt und jung. Sie versuchten die Menge daran zu hindern Richtung Azadi-Platz weiterzugehen. Wir mussten einen Umweg machen. Überall waren Sicherheitskräfte. Eine Frau sagte:
„Als ob die demonstrieren gehen wollten und nicht wir. Schaut mal, wie diese Ehrlosen den Kindern Knüppel statt Bücher in die Hand drücken. “
Zusammen mit den anderen gingen wir auf den Azadi-Platz zu. Beide Seiten des Bürgersteigs waren voll mit Sondereinheiten. Manche ruhten sich kurz aus und gingen nach einer Weile wieder weiter. Was vor allem auffiel, war die Präsenz älterer Menschen. Auf der Höhe der Jamalzadeh-Strasse griffen die Basidjis einen jungen Mann an und nahmen ihn fest. Sie fesselten ihm die Hände und zwangen ihn, sich auf den Boden zu setzen. Der junge Mann hatte eine grüne Jacke an und saß, die Hände gefesselt, zwischen ihnen. Ich sah, wie er seinen Kopf hob und die Menschenmasse anlächelte. Ein Basidji schrie ihn an, damit er den Kopf wieder senke. Wir waren sehr bedrückt, dass wir nichts machen konnten.
Sie nahmen einen weiteren Jungen fest und schubsten ihn unter Schlägen zu den Sonderkommandos. Eine Frau ging hin und schrie: „Bist du ein Mensch? Schämst du dich nicht? Was willst du von dem Jungen?“ Wir standen auf der anderen Seite und schauten zu, ob sie den jungen Mann wieder freilassen. Schon schrien sie uns an: „Nicht stehen bleiben! Weitergehen! Ihr wolltet einen Aufmarsch? Dann marschiert doch!“
Es gab weitere Festnahmen. Es hatte den Anschein, als würden sie willkürlich Menschen festnehmen. Manche wurden aus der Menge gezogen und mussten sich ausweisen. Jeder war darauf gefasst, festgenommen zu werden.
Auf der Höhe der Gharib-Strasse griffen uns plötzlich Sondereinheiten an und trieben die Menge in die Seitenstraße hinein. Dort hatten sich Milizen mit erhobenen Knüppeln auf beiden Seiten aufgestellt und wir mussten zwischen ihnen hindurch . Jeden Augenblick mussten wir damit rechnen, dass sie mit ihren Knüppeln auf die Köpfe einschlagen. Aber wir gingen durch und konnten wieder aufatmen.
Langsam wurde es dunkel, und es fing an zu regnen. Die Basidjis brüllten und zogen lärmend mit ihren Motorrädern durch die Straßen. Wir gingen zurück zum Valiasr-Platz, um von dort aus nach Hause zu fahren. Aber auch dort das gleiche Bild mit Milizen und Sonderkommandos, die versuchten, Menschenmengen aufzulösen. Der Regen wurde stärker. Wir waren auf dem Heimweg. Plötzlich hörte ich einen Schuss und meine Beine wurden schwach. Etwas weiter hatte meine Freundin schon ein Taxi erwischt und winkte, wir sollen uns beeilen.