Aufholbedarf trotz steigender Touristenzahlen

Neue Statistiken der Welttourismusorganisation zeigen einen erneuten Anstieg der Touristenzahlen im Iran. Dennoch tut sich der Iran nach wie vor schwer, mit anderen  Tourismuszielen in der Region zu konkurrieren.
Lange Zeit hat sich die Islamische Republik gegen den internationalen Tourismus abgeschottet. War der Iran vor der Revolution noch darum bemüht, ausländische TouristInnen ins Land zu locken, änderte sich dies ab 1979 schlagartig. Der achtjährige Krieg mit dem Nachbarland Irak machte das Land als Reiseziel gänzlich unattraktiv. Zudem befürchteten die neuen islamisch-konservativen Machthaber, dass die Anwesenheit westlicher TouristInnen zu einem Sittenverfall führen könnte. Doch im heutigen Iran sind mittlerweile auch die konservativsten Politiker von den Vorzügen eines boomenden Tourismus überzeugt. Und seit dem Amtsantritt von Präsident Hassan Rouhani im August 2013 setzt sich Teheran deutlich stärker als die Vorgängerregierungen für die Tourismusbranche ein.

Die altiranische Residenzstadt Persepolis, eine begehrtes Reiseziel für ausländische und inländische Touristen
Die altiranische Residenzstadt Persepolis, eine begehrtes Reiseziel für ausländische und inländische Touristen

Zwar steht der Gottesstaat nach aktuellen Angaben der Welttourismusorganisation auf der internationalen Tourismus-Rangliste nur auf dem 98. Platz. Doch ist eine positive Entwicklung der Touristenzahlen zu verzeichnen: Haben 2012 noch knapp 3,8 Millionen ausländische TouristInnen den Iran besucht, waren es 2013 schon 4,5 Millionen. Und in den ersten sechs Monaten des Jahres 2014 ist bereits ein Zuwachs von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen.
Wie viele TouristInnen das Land bis Jahresende noch bereisen werden, ist unklar, zumal sich die Erteilung von Visa für den Iran schwierig gestalten kann. Der nun schon seit über zehn Jahren angekündigte Plan, elektronische Visa einzuführen, ist auch unter der Rouhani-Regierung bislang nicht umgesetzt worden. Massoud Soltanifar, Leiter der Iranischen Organisation für Kulturerbe und Tourismus (ICHHTO) gibt dennoch gegenüber staatlichen Medien ein ambitioniertes Ziel vor: „Bis Jahresende möchten wir etwa 20 Millionen TouristInnen im Iran empfangen.“ Dies sei allerdings wegen fehlender Investitionsmittel „problematisch“, so Soltanifar.
„Iran muss sein Potential ausschöpfen“
Der Konflikt um sein Atomprogramm, den der Iran seit Jahren mit dem Westen austrägt, hat ebenso wie sein insgesamt schlechtes Image in der Weltöffentlichkeit dazu beigetragen, dass viele Menschen, die sich für die Kultur des Vorderen Orients interessieren, den Gottesstaat als Reiseziel ausklammern und dessen Nachbarländer vorziehen. Dass die Islamische Republik aber das Potential hat, Millionen von BesucherInnen ins Land zu locken, davon ist der iranische Soziologe Alireza Moayed fest überzeugt: „Unser Land bietet Jahrtausende alte Kulturschätze und wundervolle Landschaften. Der Iran braucht sich vor anderen Ländern nicht zu verstecken.“ Das Problem sei jedoch das Ausschöpfen des Potentials des Landes, so Moayed gegenüber TFI: „Die Verantwortlichen haben es bisher versäumt, Voraussetzungen zu schaffen, die den Iran zu einem Touristenland machen könnten.“ In schlechtem Zustand seien vor allem die Hotels: „Die meisten unserer Hotels entsprechen nicht den internationalen Standards, weil der Service einfach zu schlecht ist“, so Moayed. Auch an Luxushotels würde es mangeln, sagt der Soziologe: „Die Fünf-Sterne-Hotels in der Hauptstadt, die diesen Namen wirklich verdienen, kann man an einer Hand abzählen.“ Selbst die Touristenführer verdienten aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse diese Bezeichnung oft nicht.
Naghshe-Jahan-Platz (heute: Imam-Platz) in Isfahan, erbaut zwischen 1590 und 1595
Naghshe-Jahan-Platz (heute: Imam-Platz) in Isfahan, erbaut zwischen 1590 und 1595

Solche Mängel tragen Experten zufolge dazu bei, dass Tourismus im Iran noch keine große Einnahmequelle darstellt. Fünf Milliarden Dollar hat der Iran Soltanifar zufolge im vergangenen Jahr durch den Tourismus eingenommen. Doch es hätten weit mehr sein können, glauben Experten wie Ebrahim Pourfaraj, Leiter des Bundes Iranischer Reiseführer: „Im Iran ist es ausländischen TouristInnen nicht möglich, mit ihren Kreditkarten zu bezahlen. Wenn unser Bezahlsystem internationalen Standards entspräche, würden unsere Gäste doppelt so viel Geld in die iranischen Kassen spülen. Aber so wie es derzeit ist, schaden wir uns selbst, denn jeder Tourist nimmt im Schnitt lediglich zwischen 1.000 und 1.500 Dollar mit.“
Iran hinkt Nachbarstaaten hinterher
„Die Türkei und die arabischen Fürstentümer am Persischen Golf sind uns da in vielerlei Hinsicht weit voraus“, sagt der Tourismusexperte Reza Azadian im Gespräch mit TFI. Ausländische Reisegäste bevorzugten Länder, in denen sie sich sicher fühlten und Komfort sowie viele Freizeitmöglichkeiten geboten bekämen, so Azadian: „Wenn sie etwa an der türkischen Riviera oder in Dubai Urlaub machen, können sie jede erdenkliche Annehmlichkeit genießen, die Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels zu bieten haben. Außerdem muss man sich hinsichtlich der Kleiderwahl keine Sorgen machen, weil es dort die strengen Bekleidungsvorschriften, wie sie im Iran herrschen, nicht gibt.“ Auch Irans beliebtestes Feriengebiet, die relativ westlich geprägte Insel Kisch, könne nicht mit der Konkurrenz in den Nachbarländern mithalten. „Kisch ist unser Vorzeige-Ferienstandort. Aber an Dubai kommt die Insel nicht heran. Um ernsthaft an Dubais Status für westliche TouristInnen rütteln zu können, müsste dort viel mehr investiert werden“, so Azadian. Und es müssten dort die religiösen Sittenregeln stärker gelockert werden, damit die Insel überhaupt als Reiseziel für ausländische TouristInnen in Frage käme.
POOYA AZADI
Übersetzt und überarbeitet von Jashar Erfanian