Identitäten in der iranischen Diaspora

„Identität und Exil – Die iranische Diaspora zwischen Gemeinschaft und Differenz“ lautet der Titel eines Buches, das die Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Verein Transparency for Iran herausgebracht hat. Vierzehn AutorInnen beleuchten darin aus philosophischer, kulturanthropologischer und sozialwissenschaftlicher Sicht sowie auch aus praktischen Erfahrungen, was IranerInnen fern des „Heimatlandes“ eint und trennt.
Liest man die Einleitung zu dem Sammelband „Identität und Exil“, bekommt man das Gefühl, dass die Herausgeber sich einer Aufgabe stellen, die so heikel ist, als wolle man einen vielköpfigen Stier bei den Hörnern packen, um ihn zu analysieren. Der Iran ist ein Vielvölkerstaat mit einer von Krisen geschüttelten jüngeren Geschichte und vielen religiösen Minderheiten. Entsprechend heterogen ist die Diaspora der über fünf Millionen Exil-IranerInnen, die über die ganze Welt verstreut leben. Angesichts dieser ethnischen, religiösen, sozialen und politischen Diversität erscheint es nahezu unmöglich, dass sich unter ihnen eine gemeinsame Identität herausbilden könnte. Genau darüber vermittelt der Sammelband „Identität und Exil“ ein differenziertes Bild.
Der wohlhabende Iraner
„Glaubt man der populären Darstellung, ist diese Gruppe gut ausgebildet, beruflich erfolgreich, in ihren jeweiligen Heimatländern etabliert, und im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen recht wohlhabend. Es gibt eine Vielzahl individueller Erfolgsgeschichten. Darüber hinaus gibt es bei Iranerinnen und Iranern eine stark ausgeprägte kulturelle Identität, die auch noch nach Jahrzehnten im Ausland gepflegt und praktiziert wird.“ So beschreibt Resa Mohabbat-Kar, der verantwortliche Redakteur des Werkes, die gängige Beschreibung der iranischen Communities.
Der Haken

Titelseite des Buches
Titelseite des Buches

Eigentlich, so sollte man infolgedessen annehmen, sollte es für eine so hervorragend gebildete und wohlsituierte Exilgemeinschaft ein Leichtes sein, solidarische Strukturen zu schaffen und/oder politisch schlagkräftige Kollektive zu bilden. Doch weit gefehlt.
Insbesondere in dem Kapitel über „Weibliche Identitäten in der Diaspora“ von Judith Albrecht scheinen die Hindernisse auf. Bei den Frauen als „Ikonen der Revolution“ lässt sich die Verdichtung und Komplexität der Probleme der ExilantInnen erkennen: unterschiedliche politische Lager, Misstrauen, Verdrängung von Traumata, westliche und orientalische Rollenstereotype, religiöse Weltanschauungen und nicht zuletzt Generationskonflikte.
Doch auch in vielen anderen Beiträgen wie etwa in Cameron Mcauliffes Text über „Bahai-Glaube, Abtrünnigkeit und Mobilität“ oder Donya Alinejads und Halleh Ghorashis „Von der Komplexität, ein guter Amerikaner zu sein“, werden die Problemfelder deutlich.
Das Leitmotiv
„Meine Aufgabe war, gemeinsam mit Transparency for Iran und der Heinrich-Böll-Stiftung einen Zugang zum Thema zu finden, der es uns und den Lesern ermöglicht, so viele Ausprägungen und Dimensionen wie möglich zu thematisieren“, so Resa Mohabbat-Kar.
IranerInnen im Ausland bilden hauptsächlich auf den Demonstrationen gegen die Islamische Republik eine zweckgebundene Einheit
IranerInnen im Ausland bilden hauptsächlich auf den Demonstrationen gegen die Islamische Republik eine zweckgebundene Einheit

Hierfür beschäftigte er sich mit der sozialwissenschaftlichen Literatur, die die iranische Diaspora untersucht. Er fand heraus, dass das Thema „Identität“ sich wie ein roter Faden durch die meisten Arbeiten zieht. „Für eine Zustandsbeschreibung der iranischen Diaspora erscheint die Untersuchung von Identitätskonstruktionen und vor allem Identitätskonflikten am sinnvollsten“, resümiert Mohabbat-Kar – und stellte dafür ein 14-köpfiges AutorInnen-Team zusammen, das Texte speziell für diesen Band geschrieben oder vorliegende wissenschaftliche Arbeiten umgearbeitet hat. Bemerkenswert ist, dass neun der 14 AutorInnen weiblich sind und sich schon seit längerem mit dem Thema der iranischen Identität in der Diaspora auseinandersetzen.
Der Ausblick
Offenbar gibt es sowohl seitens der IranerInnen und ihrer Organisationen sowie auch nicht-iranischer Organisationen wie der Heinrich-Böll-Stiftung ein Bedürfnis, sich über Identitätsentwicklungen und Migrationserfahrungen auszutauschen. Es geht den Herausgebern dabei vor allem darum, die mannigfaltigen Identitätskonstruktionen der iranischen Diaspora in eine öffentliche Debatte zu bringen. Die Impulse, die „Identität und Exil“ setzt, sollen künftig in die Arbeit von iranischen Kulturvereinen einfließen und für verbindende politische Interessenvertretungen genutzt werden können.
  YASMIN KHALIFA
Der Sammelband ist kostenlos bei der Heinrich-Böll-Stiftung zu erwerben.
Der Link zur PDF-Datei „Identität und Exil – Die iranische Diaspora zwischen Gemeinschaft und Differenz