Enteignung von Bahai: „staatlich organisierter Diebstahl“
Im Iran sind erneut Mitglieder der Bahai-Gemeinschaft ins Visier der Behörden geraten. In der Stadt Isfahan haben die Behörden mindestens 22 Menschen allein aufgrund ihres Glaubens enteignet. Die Vorfälle zeigen, wie das Regime eigene Gesetze missbraucht, um religiöse Minderheiten zu kriminalisieren.
Von Pooyan Mokari
In Isfahan haben die Behörden nach Angaben des Bahai-Weltzentrums allein aufgrund deren Glaubens das Eigentum von mindestens 22 Bahai konfisziert. Die Enteignungen wurden vor etwa drei Wochen bekannt. Nun bestätigte das Bahai-Weltzentrum die Meldung und erklärte, die Betroffenen seien „per SMS und außerhalb rechtlicher Rahmenbedingungen“ über die Beschlagnahmung ihres Eigentums informiert worden.
Die Enteignungen erstrecken sich auf landwirtschaftliche Flächen, Wohnhäuser, Fahrzeuge und Bankkonten. Die Behörden berufen sich dabei auf Artikel 49 der iranischen Verfassung. Dieser schreibt vor, dass der Staat Vermögen einziehen muss, das durch „Wucher, Bestechung, Diebstahl oder andere unrechtmäßige Handlungen“ erlangt worden seien. Laut Informationen des Iran Journal haben die Behörden jedoch keinerlei Beweise für derartige Sachverhalte.
Die Islamische Republik nutzte diesen Grundsatz bereits in den Jahren nach der iranischen Revolution, um Mitglieder der Bahai-Gemeinschaft systematisch zu enteignen. Mehrere Bahai in Isfahan sagten dem Iran Journal, sie seien besorgt, dass es ähnlich wie in den 1980er Jahren erneut zu massenhaften Enteignungen kommen könnte.
Die Enteignungen hat ein Sondergericht angeordnet, das dem Revolutionsgericht unterstellt und für sogenannte Sicherheitsfälle zuständig ist. Dieses Gericht wird regelmäßig zur Unterdrückung von Bürger*innen und Protestierenden genutzt.
„Enteignung per SMS“ – Behörden greifen zu altbekannten Methoden
Simin Fahandej, Sprecherin des Büros der Bahai-Gemeinde bei den Vereinten Nationen in Genf, sagte, dass das Sondergericht nach Artikel 49 des Grundgesetzes eigentlich für die „Rückgabe gestohlener Güter“ eingerichtet worden sei. Die Islamische Republik nutze es jedoch, um „das Vermögen von Bürgerinnen und Bürgern zu plündern und Familien ihrer Häuser und ihrer Lebensgrundlage zu berauben“. Sie betonte: „Was wir hier erleben, ist de facto ein staatlich organisierter Diebstahl – eine Enteignung per SMS.“
Einige der Betroffenen sitzen derzeit langjährige Freiheitsstrafen ab, andere warten auf die Revision ihrer Urteile, weitere wurden bei der Überprüfung ihrer Urteile von früheren Anschuldigungen freigesprochen. Nach Angaben von mit den Fällen vertrauten Personen verliefen die Gerichtsverfahren „geheim und ohne Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften“. Die Fälle werden nicht im offiziellen elektronischen Justizportal registriert, obwohl Vorladungen, Gerichtsmitteilungen und Urteilszustellungen dort erfolgen müssten.
Der Richter, der die Enteignungen anordnet hat, ist Morteza Barati. Er steht bereits wegen Menschenrechtsverletzungen auf der Sanktionsliste Großbritanniens. Zuvor hatte er Todesurteile gegen mehrere Protestierende der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung verhängt, darunter auch gegen den Rapper und Aktivisten Tumaj Salehi – ein Urteil, das im Berufungsverfahren aufgehoben wurde.
Razzien ohne Beschluss – neue Eskalation in Isfahan
In einer weiteren Aktion haben Sicherheitskräfte der Islamischen Republik in Isfahan die Wohnungen und Geschäftsräume von mehr als zehn Angehörigen der Bahai durchsucht und deren persönliche Gegenstände beschlagnahmt. Zahlreiche dieser Maßnahmen erfolgten ohne Vorlage eines richterlichen Beschlusses.
Am Morgen des 20. August durchsuchten die Einsatzkräfte zunächst sieben Geschäfte im Besitz von Bahai und verschafften sich anschließend Zutritt zu den Wohnungen der Inhaber. Nach Angaben einer Quelle aus dem Umfeld der betroffenen Familien legten die Beamten keine offiziellen Durchsuchungsbefehle vor. Auf die Proteste der Bewohner hätten sie lediglich geantwortet, sie handelten auf Grundlage eines „telefonischen“ oder „mobilen“ Beschlusses.
Zu den beschlagnahmten Gegenständen gehörten nach Angaben dieser Quelle Bücher, Fotos, elektronische Geräte wie Handys, Laptops und Tablets sowie Wertgegenstände, darunter Gold und Münzen. Berichten zufolge schlugen die Beamten in einem der Häuser einen jungen Bewohner schwer zusammen; in einem anderen zerstörten sie sämtliche Musikinstrumente.
Mindestens in einem Fall begleiteten Beleidigungen und Beschimpfungen die Durchsuchung, in einem weiteren verschafften sich die Einsatzkräfte gewaltsam Zutritt, indem sie die Tür aufbrachen.
Während der Razzien gaben sich die Beamten als Angehörige des Geheimdienstes der Revolutionsgarden (IRGC) aus.
Seit Beginn der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste im Iran haben die Justizbehörden die Unterdrückung von Bahai-Bürger:innen im ganzen Land verstärkt. Besonders stark betroffen ist die zentraliranische Stadt Isfahan, wo die Unterdrückung intensiver ausfällt als in vielen anderen Regionen des Landes.
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