Wut, Feuer und Aktivismus – eine Umweltkatastrophe im Schatten der Diktatur

Im iranischen Kurdistan sterben immer wieder junge Menschen bei dem Versuch, Waldbrände zu löschen – ohne Ausbildung, ohne Ausrüstung, ohne staatliche Hilfe. Was wie eine Naturkatastrophe erscheint, ist auch Ausdruck systematischen Versagens – und politischer Ausgrenzung.

Von Diako Alavi

Chiako Yousefinezhad war 23 Jahre alt, als er, wie viele aus seiner Generation, seine Liebe in den sozialen Netzwerken zeigte. Im April veröffentlichte er ein Foto seiner traditionellen Verlobungsfeier auf Instagram. Darunter schrieb er: „Ich habe dich gewählt – und werde dich immer wählen. Jetzt und für immer, ununterbrochen, ohne Zögern. Bei jedem Herzschlag werde ich dich erneut wählen.“

Nur wenige Wochen später, an seinem 24. Geburtstag, starb der junge Mann gemeinsam mit zwei weiteren Freiwilligen bei dem Versuch, einen verheerenden Waldbrand in der iranischen Region Abidar bei Sanandaj zu löschen. Chiako Yousefinezhad, Khabat Amini und Hamid Moradi waren nicht die ersten Opfer solcher Löschversuche. Bereits 2018 starb der Umweltaktivist Sharif Bajour bei Löscharbeiten in den Wäldern von Mariwan – ohne staatliche Ausrüstung, ohne Schutz, ohne Unterstützung.

Die Beerdigungen der drei jungen Männer wurden zu wütenden Trauerzügen. Tausende versammelten sich in Sanandaj, auch in Mariwan und Saqqez fanden Gedenkveranstaltungen statt. Demonstrationen mit politischen Parolen – trotz Drohungen durch den Sicherheitsapparat.Und immer wieder wurden dabei dieselben Fragen gestellt: Warum ist es in Iran – insbesondere in Kurdistan – die Aufgabe von Bürger*innen, gegen die Waldbrände zu kämpfen? Warum fehlt es an staatlicher Prävention, Ausrüstung und Koordination – obwohl sich solche Katastrophen seit Jahren wiederholen?

 

 
 
 
 
 
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Tod in der Natur: Feuer, Freiwillige und das Versagen des Staates

Bürgerliches Engagement mangels staatlicher Hilfe ist in Kurdistan keine neue Erscheinung. Nach dem schweren Erdbeben in Sarpol-e Zahab in der Provinz Kermanschah 2017 organisierten sich Tausende Freiwillige in Hilfskonvois. Auch während der Coronapandemie bildeten sich in kurdischen Städten und Dörfern spontane Netzwerke zur Verteilung von Masken, Desinfektionsmitteln und Hilfe für ältere Menschen.

Waldbrände sind ein professionelles Einsatzfeld – sie erfordern ausgebildete Kräfte, spezialisierte Ausrüstung und ein funktionierendes Krisenmanagement. Doch in Iran, vor allem in Randregionen wie Kurdistan, werden die Feuer meist von ungeschützten Freiwilligen bekämpft. Allein in den vergangenen 15 Jahren starben laut Menschenrechtsorganisationen mindestens 20 Freiwillige bei Löscharbeiten in den Wäldern des Zagros-Gebirges. Dabei zählt die Region mit ihren Eichenwäldern und dem einzigartigen Mikroklima zu den ökologischen Schlüsselzonen Irans – und gleichzeitig zu den verletzlichsten, angesichts von Klimakrise, Urbanisierung, militärischer Nutzung und staatlicher Untätigkeit.

Die Abidar-Berge, Teil des Zagros-Gebirges, liegen direkt vor den Toren von Sanandaj. Mit ihrer dichten Eichenvegetation, Heilpflanzenvielfalt und Tierwelt zählen sie zu den wichtigsten Ökosystemen im semi-ariden Westen Irans. Abidar ist Naherholungsgebiet, Wasserquelle und Klimaregulator – und ein bedrohtes Naturerbe. Der fortschreitende Städtebau, unsachgemäße Bauprojekte, Klimawandel und staatliches Desinteresse setzen dem Gebiet seit Jahren zu.

Statt die Feuer zu bekämpfen, schweigen viele Behörden. Staatliche Institutionen wie das Forstamt, die Armee oder Sicherheitsdienste erscheinen entweder gar nicht oder zu spät, schlecht vorbereitet, ohne Koordination. In diesem Vakuum sind es Umweltgruppen, Bergsteiger*innen und Anwohner*innen, die ihr Leben riskieren.

Die Brandkatastrophe von Abidar im Juli 2025, bei der rund 150 Hektar Vegetation zerstört wurden, war kein Einzelfall – aber eine besonders erschütternde. Drei junge Männer gingen in die Flammen, um ihre Heimat zu retten. Sie kamen nicht zurück.

Das dysfunktionale Krisenmanagement

Laut Artikel 14 des iranischen Krisenmanagementgesetzes liegt die Koordination bei Naturkatastrophen, also zwischen Landwirtschaftsministerium, Gemeinden, Rotem Halbmond, Militär und Forstbehörden, beim Innenministerium und dem Krisenstab. Doch in den kurdischen Provinzen scheitert dieses System regelmäßig.

Laut Augenzeugenberichten beschränkte sich das staatliche Eingreifen im Fall Abidar auf den Abtransport der Verletzten. Selbst dabei fehlten professionelle Fahrzeuge und medizinische Teams. Die eigentlichen Löscharbeiten übernahmen Umweltgruppen und Anwohner*innen.

Diese strukturelle Vernachlässigung zeigt sich auf mehreren Ebenen: Es fehlt an Feuerwehrstützpunkten, Hubschraubern für Löscheinsätze, Krisenplänen und schlicht an Budget. Offiziellen Zahlen zufolge erhielt die Provinz Kurdistan im Juni 2025 nur einen Bruchteil des landesweiten Investitionsbudgets – und selbst dieser Anteil wurde teilweise nicht ausgezahlt. Gleichzeitig erschwert die Einflussnahme von Geheimdiensten und Sicherheitsorganen die Arbeit der Zivilgesellschaft. In Städten wie Mariwan, Baneh oder Sardasht stehen selbst Umweltgruppen unter Beobachtung. Ihre Einsätze werden als „Störung der öffentlichen Ordnung“ oder „Aufruhr gegen das System“ diffamiert.

Auch nach dem Tod der freiwilligen Löschhelfer gab es weder Rücktritte noch Entschuldigungen oder gar eine unabhängige Untersuchung. Die Zivilgesellschaft bleibt auf sich gestellt – und bezahlt mit Menschenleben.

Wenn Umweltpolitik zur Sicherheitspolitik wird

Der Tod der drei Freiwilligen in Sanandaj wurde von der Islamischen Republik lediglich als „tragischer Naturunfall“ bezeichnet. Doch viele sehen in der Katastrophe eine direkte Folge staatlicher Gleichgültigkeit.

Der Umweltaktivist Aram Fathi, der mit den Familien der Verstorbenen in Kontakt steht, sagte gegenüber Iran Journal: „Es ist nicht Aufgabe der Zivilgesellschaft, ohne Ausrüstung und Schutz selbst in den Einsatz zu gehen. Ihre Rolle ist es, den Staat zu mahnen und zum Handeln zu bewegen.“

Fathi berichtet, dass Hubschrauber zwar zur Evakuierung Verwundeter eingesetzt wurden, aber nicht zur Brandbekämpfung. Außerdem seien Protestierende vor dem Krankenhaus in Sanandaj von Sicherheitskräften bedrängt, ihre Handys konfisziert und mehrere Aktivist*innen vorgeladen worden.

Zu den Toten sagte er: „Hamid Moradi war Mitbegründer der Umweltgruppe ‚Shaneye Nozhin‘ und Anwalt. Chiako Yousefinezhad war Mitglied der Nationalmannschaft für Kampfsport und international ausgezeichnet – er wurde an seinem 24. Geburtstag beerdigt. Und Khabat Amini war ein einfacher 38-jähriger Beamter des öffentlichen Dienstes.“ Mehrere Verletzte würden noch immer im Krankenhaus behandelt, einige schwebten in Lebensgefahr.

Fathi erinnerte auch an frühere Opfer wie Sharif Bajour und Omid Hosseinzadeh, beide Mitglieder der seit 1999 aktiven Umweltgruppe „Sabze Chia“, die 2017 bei einem ähnlichen Einsatz starben. „Diese Todesfälle sind kein Zufall, sondern Teil eines wiederkehrenden Musters.“ Er spricht von einer wütenden Gesellschaft: „Die Ausrufung von öffentlicher Trauer durch den Gouverneur der Provinz war eine Reaktion auf diese Wut – ein Versuch, Proteste zu verhindern.“ Bei den Beerdigungen wurden Parolen der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung gerufen – ein Zeichen dafür, wie eng die Umweltkatastrophe mit der Protestkultur in Kurdistan verwoben ist.

 

Zivilgesellschaft unter Druck

In Kurdistan übernimmt, wie in vielen marginalisierten Regionen Irans, die Zivilgesellschaft nicht nur Rettungseinsätze, sondern auch das kollektive Erinnern und die Forderung nach Gerechtigkeit. Digitale Kampagnen, Medienberichte und der Ruf nach Transparenz sind Teile dieses Widerstands gegen das Vergessen.

Die Familien von Chiako, Khabat und Hamid fordern – trotz Sicherheitsdrucks – Aufklärung, Rechenschaft und Reformen.

Für viele ist klar: Umweltaktivismus in Kurdistan bedeutet nicht nur, der Abwesenheit des Staates zu begegnen – sondern auch seiner repressiven Präsenz. Wer seine Kinder in den Kampf gegen das Feuer schickt und sie verliert, will wenigstens Antworten und Respekt. Bleiben diese aus, verliert der Staat seine letzte Glaubwürdigkeit – eine Entwicklung, die sich in Iran und besonders in Kurdistan längst beobachten lässt.

Foto: Courtesy