Eine Lawine der Kritik gegen den Außenminister

Noch vor wenigen Wochen war Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif nach der letzten Runde der Atomverhandlungen der gefeierte Held des Iran. Nun muss er einen Shitstorm iranischer InternetnutzerInnen ertragen. Der Grund: ein Fernsehinterview, in dem er die Existenz politischer Gefangener im Iran verneint. Auch ein heißes Web-Thema: Die Wahl Ali Karimis zum beliebtesten iranischen Fußballer der vergangenen 20 Jahre. 
Vergangenen Dienstag bestritt der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif in einem Gespräch mit dem US-Fernsehsender PBS, dass im Iran Menschen aufgrund ihrer politischen Meinung inhaftiert würden. Nur Menschen, die Verbrechen begingen oder gegen Gesetze des Landes verstießen, würden strafrechtlich verfolgt. Haftstrafen hätten nichts mit den politischen Ansichten der Inhaftierten oder der Tatsache zu tun, dass jemand JournalistIn sei, so der iranische Chef-Diplomat.
„Zarif ist ein Lügner“
Die iranische Internet-Community reagierte überwiegend mit Bestürzung auf diese Äußerungen Zarifs. „Was für ein Lügner“, schimpft Samaneh unter einem Beitrag des Nachrichtenportals IranPressNews. „Wenn das Regime nichts zu verbergen hat, warum darf dann der UN-Sonderbeauftragte Ahmad Shaheed nicht in den Iran einreisen?“, fragt die Iranerin. Nader schreibt: „Man kann sich nur über die Worte Zarifs wundern. Jährlich werden im Iran Hunderte Menschen hingerichtet und noch mehr wegen ihrer Überzeugungen eingekerkert. Das ist ein Fakt, dessen Leugnung an die Ahmadinedschad-Ära erinnert.“ Irans Ex-Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte sich während seiner Amtszeit mehrfach ähnlich geäußert.
Für Facebook-User Ebrahim sind Zarifs Aussagen ein Indiz für dessen allgemeine Unglaubwürdigkeit: „Wenn er so gut offensichtliche Lügen von sich geben kann, dann kommen mir ernsthafte Zweifel, dass er die Wahrheit sagt, wenn er behauptet, der Iran wolle keine Atomwaffen bauen“, so der Web-User auf der Facebook-Präsenz von BBC Farsi.
Auch auf dem Webportal Balatarin wird der Außenminister der Lüge bezichtigt: „Er schaut in die Kamera und lügt Millionen von Menschen ohne eine Miene zu verziehen dreist ins Gesicht. Dieses Regime bringt nur Lügner hervor. Seit Anbeginn der Revolution werden wir täglich belogen“, wütet Farid. Zustimmung erhält er von Fariba: „Das iranische Volk hat Besseres verdient als diese Ganoven.“ Auch die Reformkräfte im Iran hätten ihre WählerInnen immer wieder hinters Licht geführt. Sie hoffe, dass das Wahlvolk künftig keinem der Politiker mehr Vertrauen schenke, die im Rahmen des politischen Systems der Islamischen Republik agierten.

Ein User der Facebook-Seite der DW: "Zarif hat recht: Niemand st wegen seiner Meinung verhaftet worden, sondern wegen der Meinung der Regierenden"
Ein User der Facebook-Seite der DW: „Zarif hat recht: Niemand st wegen seiner Meinung verhaftet worden, sondern wegen der Meinung der Regierenden“

Was die Redakteure des Webportals IranWire von den Äußerungen Zarifs halten, zeigen sie in einem Video auf ihrer Facebookseite. Dort wird ein Ausschnitt aus der „Muppet Show“ gezeigt, in dem Kermit der Frosch eine andere Figur aus der beliebten Kindersendung interviewt, und mit der Stimme Javad Zarifs hinterlegt. Dem Befragten wächst am Ende eine Pinocchio-Nase.
Nur Spott hat auch Twitter-User Behaak für Zarif übrig. Er schreibt: „Herr Außenminister, wären Sie bitte so nett und würden mir sagen, wo dieser Iran liegt, in dem niemand wegen seiner Überzeugungen inhaftiert wird? Ich möchte dort Asyl beantragen.“
Wenig Verständnis für Zarif

Nur wenige IranerInnen zeigen angesichts der Äußerungen Zarifs Milde. Einer von ihnen ist der Balatarin-User Green Patriot: „Wenn Zarif Schwachsinn redet, dann ist es unsere Pflicht, ihn zu kritisieren. Aber müssen wir ihn denn gleich beleidigen und als Lügner beschimpfen?“, fragt er. Für „konstruktive Kritik“ spricht sich auch die Twitterin Persian Banoo aus: „Für seine Verdienste bei den Atomverhandlungen mit dem Westen möchte ich ihm danken. Aber wenn er die Unwahrheit sagt, nehme ich mir ebenso das Recht, ihn dafür zu sachlich kritisieren“, schreibt sie.
„Zarif kann doch nicht gar nicht anders, als zu sagen, was er gesagt hat. Würde er im amerikanischen Fernsehen zugeben, dass der Iran Menschen aus politischen Gründen inhaftiert, würden die Hardliner ihm an den Kragen gehen“, schreibt Mohammad auf der BBC-Facebookseite. Ähnlich äußert sich der Twitter-Nutzer InLoveWithIran. Er schreibt: „Natürlich sind Zarifs Behauptungen Unsinn. Aber kein iranischer Politiker könnte öffentlich etwas anderes sagen.“ So sieht das auch Ramin: „Die wahren Machthaber im Iran sind die Konservativen. Von diesen hätte er sich mächtig Ärger eingehandelt, wenn er politische Verfolgung öffentlich eingeräumt hätte“, schreibt der Iraner auf der Facebook-Präsenz von Deutsche Welle Farsi (DW). „Wenn er schon zu der Geige [der Konservativen] tanzt, dann soll er aber doch wenigstens auf den Hüftschwung verzichten“, antwortet ihm der User Kaweh.
Der beliebteste Fußballer des Iran
Nach einer Umfrage der meistgesehenen iranischen TV-Fußballsendung Navad (deutsch: Neunzig) ist der ehemalige Mittelfeldspieler von FC Bayern München und Schalke 04 Ali Karimi der beliebteste iranische Fußballer der letzten 20 Jahre. Mit 52 Prozent der Stimmen konnte er sich gegenüber den beiden Stürmern Farhad Majidi und Khodadad Azizi durchsetzen, die 33 bzw. 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten.
Bewunderung für Ali Karimi
„Persepolis Teheran und Esteghlal Teheran sind die beiden beliebtesten Vereine des Landes. Wen wundert es, dass die zwei Ikonen dieser beiden Teams das Voting für sich entschieden haben?“ kommentiert Ali einen Nachrichtenbeitrag des Fußballportals Tarafdari. „Ich bin Esteghlal-Fan“, schreibt ein anderer User, „dennoch habe ich für Karimi gestimmt.“
Ali Karimi
Ali Karimi

Persepolis-Anhänger Bamdad schreibt auf der Fanseite des Vereins Arteshe Sorkh: „Viele meiner Freunde sind glühende Esteghlalis, die aber für Karimi gestimmt haben. Umgekehrt kenne ich keine Persepolis-Fans, die für Majidi gestimmt haben.“ Das Votingverhalten der Fußballfans zeige eindeutig, wie populär Karimi fanlagerübergreifend sei, so der Iraner.
„Karimi ist nicht nur für die Persepolisis ein Idol, sondern für alle Iraner“, schreibt ein anonymer User des Nachrichtenportals Mashregh News. Dass das nicht nur mit seinen fußballerischen Leistungen zu tun hat, wird in den Kommentarbeiträgen vieler Web-UserInnen deutlich: „Es freut mich sehr, dass er die Abstimmung gewonnen hat. Er ist charakterlich integer und ein Mann der Ehre“, so Jalal auf Mashregh News. Das Voting habe gezeigt, dass man dafür belohnt werde, wenn man ein gutes Herz besitze und anderen Menschen helfe, schreibt ein anonymer Besucher der Nachrichtenseite Khabar Farsi in Anspielung auf Karimis karitatives Engagement. Auch seine politische Positionierung wird von vielen positiv bewertet. „Ali Karimi gehörte zu den wenigen Fußballern, die sich öffentlich zur oppositionellen Grünen Bewegung bekannt haben. Dafür wird er immer einen Platz in unseren Herzen haben“, kommentiert beispielsweise Homa einen Nachrichtenbeitrag der Facebook-Seite von Deutsche Welle Farsi.
„Seltsames Voting“
Für Verwunderung sorgte vielfach allerdings, dass zur Wahl nicht die iranischen Fußball-Ikonen Ali Daei, Karim Bagheri und Ahmad Reza Abedzadeh standen. „Dass Azizi zur Wahl stand, kann ich verstehen. Immerhin hat er uns 1997 zur WM nach Frankreich geschossen. Aber was hat denn Majidi für den iranischen Fußball getan? Warum waren Daei, Bagheri und Abedzadeh keine Anrufoptionen?“, fragt Jamal auf dem Fußballportal Tarafdari. Das Auswahlkonzept der Sendung Navad sei „ziemlich kurios“ und das Voting selbst „seltsam“, schreibt ein anderer Besucher der Seite. „Stünden andere Fußballer zur Wahl, dann hätte Karimi möglicherweise nicht gewonnen“, glaubt Behzad. Ali Reza schreibt auf Arteshe Sorkh: „Daei hat zweimal an einer WM teilgenommen und war zweimal Welttorjäger. Wie kann Farhad Majidi zur Wahl stehen und ein Ali Daei nicht?“, fragt er. „Navad wollte den beliebtesten Fußballer des Iran ermitteln. Zur Wahl standen nicht die besten Fußballer“, antwortet ihm ein anderer User der Persepolis-Fanseite.
JASHAR ERFANIAN
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