Wie die Deutschen in den Iran kamen

Das deutsche Kaiserreich habe im Ersten Weltkrieg versucht, Muslime zum Heiligen Krieg gegen Russland, Frankreich und Großbritannien aufzuhetzen. So lautet ein gängiges Klischee, das auch die dauerhafte Beziehung der Deutschen zum Iran erklären soll. Das mag in einigen arabischen Ländern so gewesen sein. In den Iran kamen die Deutschen aber mit anderen Ideen. Ein Blick in die hundertjährige Geschichte der deutsch-iranischen Beziehungen.
Von Ali Sadrzadeh
Vielleicht sollte man nach Ohlendorf fahren. Denn vielleicht kommt man an diesem kleinen niedersächsischen Ort der Lösung des Rätsels näher, was die „rätselhafte Liebesbeziehung zwischen Deutschland und dem Iran“ ausmacht, die „jeden Krieg, jeden Umbruch, jede Revolution“ überdauere, wie es Josef Joffe, Herausgeber der Zeit, beschrieb.
Es ist eine zwiespältige Liebesbeziehung: für die einen eine gefährliche Liaison zwischen Faschismus und Islam, für andere eine ebenso komplizierte wie dauerhafte Beziehung, die weit über das Offizielle, die profane Politik hinaus geht. Was verbindet die Deutschen und die Iraner, Deutschland und den Iran? Nach einer Erklärung dafür wird seit hundert Jahren gesucht.
Ohlendorf, einst eine selbstständige Gemeinde, heute ein Stadtteil von Salzgitter, hat gleich seine ganze Hauptstraße nach einem Sohn des Ortes benannt, der wie kaum ein anderer Deutscher diese „rätselhafte Liebesbeziehung“ verkörpert. Wilhelm Waßmuß heißt der Mann, der 1880 in einer armen Bauernfamilie hier im Vorharz geboren wurde, Orientalistik studierte und 1914 als deutscher Konsul nach Buschehr am Persischen Golf kam. Bis heute bewahrt das Stadtarchiv den Nachlass dieses mittlerweile weitgehend vergessenen Bürgers der Gemeinde – dessen Rolle einst jedoch mit der eines „Lawrence von Arabien“ verglichen wurde.
Ein „deutscher Lawrence“?
Waßmuß war 34 Jahre alt, als er in den Iran kam, doch er hatte bereits eine jahrelange Odyssee durch verschiedene Länder der Region hinter sich. Seine Ankunft im Iran markiert den aktiven Eintritt Deutschlands in die iranische Politik.

Wilhelm Waßmuß (*14. Februar 1880; † 29. November 1931)
Wilhelm Waßmuß (*14. Februar 1880; † 29. November 1931)

Die Briten nannten den agilen Diplomaten einen „deutschen Lawrence“. Denn zwischen den Aktivitäten des echten „Lawrence von Arabien“ und jenen Waßmuß‘ gibt es zahlreiche Parallelen. Dennoch war und ist dieser Vergleich fatal. Denn er führte zu einem Missverständnis, das bis heute die historische Wahrnehmung der Deutschen prägt.
Kämpfte T.E. Lawrence im Dienste der Briten aufseiten der arabischen Muslime, die ein „wahres arabisches Kalifat“ errichten und das „falsche Kalifat“ der Osmanen beseitigen wollten, so muss auch „unser Lawrence“ Ähnliches getan haben, lautet dieses Missverständnis: Auch Wilhelm Waßmuß muss auf den südiranischen Schlachtfeldern mit iranischen Islamisten für ein anderes Kalifat, wahrscheinlich ein persisches, gefochten haben. So einfach schreibt und liest sich die Geschichte – bis heute.
Die Konjunktur des Kalifats
Und in unseren Tagen, da Orient und Islamismus oft gleichgesetzt werden und der islamistische Terror die Tagesordnung beherrscht, verschwindet eine schillernde Figur wie Waßmuß leicht hinter einer solchen Geschichtsrezeption. Plötzlich mutiert auch der Erste Weltkrieg – jedenfalls der Teil, der auf iranischem Territorium stattfand – zu einem heiligen Krieg, in dem Islamisten am Werk waren. Und Wilhelm Waßmuß verwandelt sich in einen deutschen Dschihadisten. Denn das Klischee, dass das deutsche Kaiserreich versucht habe, Muslime im Nahen und Mittleren Osten zu einem Heiligen Krieg gegen Russland, Frankreich und Großbritannien aufzuhetzen, begleitet uns 2018 durch das ganze Jahr* – immer dann, wenn man uns an die Schlachtfelder vor hundert Jahren erinnern will. Klischees sind eben langlebig, sie sterben schwer aus – und das Kalifat hat Konjunktur, vor allem in unseren Tagen.
Um des Endes des Ersten Weltkriegs zu gedenken, veröffentlichte die Wochenzeitung Zeit einen langen Beitrag mit dem Titel „Der deutsche Dschihad“. Er beginnt mit folgenden Sätzen: „Vor 100 Jahren projizierten sich auf das Kalifat und den Heiligen Krieg schon einmal Machtfantasien kontinentalen Ausmaßes. Doch damals waren es nicht fanatisierte Muslime, die sich einen Gottesstaat erträumten, sondern deutsche Intellektuelle und Politiker, die den Islam für ihre Zwecke einspannen wollten. Ein Kalifat mussten sie dafür nicht erst herbeiwünschen: Es existierte bereits in Gestalt des Osmanischen Reichs, das mit diesem Titel den Anspruch erhob, Schutzmacht des Islams zu sein.“
Alles andere als Islamismus
Fortsetzung auf Seite 2