Wie die Deutschen in den Iran kamen

Der Erste Weltkrieg hatte den Iran in eine Katastrophe gestürzt. Der Zentralstaat war gescheitert, Millionen Menschen verhungerten. Überall im Land gab es Unruhen; hinzu kam, dass Großbritannien den Süden besetzt hielt und versuchte, sich der dortigen Ölquellen zu bemächtigen. Der Iran war dabei, von der Landkarte zu verschwinden. Die britische Imperialmacht und das zaristische Russland waren die Hauptverantwortlichen für diese Katastrophe, so sah es jedenfalls die iranische Elite. Antibritische und antirussische Stimmung herrschte im ganzen Land. Und genau das war das unschätzbare Kapital, auf dem die Deutschen ihre Politik im Iran aufbauten.
Kaveh“, ein Schmid gegen die Tyrannei
Wilhelm Waßmuß hatte sich im Süden des Iran schon zwei Jahre lang ein Katz- und Mausspiel mit den britischen Besatzungstruppen geliefert, als im Auswärtigen Amt in Berlin eine Gruppe Exiliraner eintraf. Friedrich Rosen, der bekannteste Orientalist der Zeit und ein Kenner der iranischen Literatur, hatte diese Iraner ausgesucht und zusammengebracht. Sie sollten eine literarisch anspruchsvolle antibritische Kampfzeitschrift herausgeben. Rosen, der wichtigste Diplomat Kaiser Wilhelms II, soll dafür den Namen Kaveh vorgeschlagen haben. Kaveh ist eine Gestalt aus der iranischen Mythologie, ein Schmid, der gegen die Tyrannei kämpft – und siegt.
Kaveh wurde zu einer wirkmächtigen Publikation, die die iranische Geschichte nachhaltig verändern sollte. Das deutsche Außenministerium finanzierte, organisierte und verbreitete sechs Jahre lang, von 1916 bis 1922, dieses einmalige Kampfblatt. Es sollte die beste politische und literarische Zeitschrift werden, die in persischer Sprache bis dahin je erschienen war.
Die Redaktionsmitglieder waren die bekanntesten und fähigsten Intellektuellen, die der Iran damals aufbieten konnte. Chefredakteur war Hassan Taqizadeh, eine der schillerndsten Figuren der jüngsten iranischen Geschichte. Er wurde später Abgeordneter, Minister, Diplomat und Botschafter, aber auch anerkannter Wissenschaftler, Publizist und Universitätsprofessor. Und Taqizadeh versammelte in seiner Berliner Redaktion Männer um sich, die alle später die iranische Politik und Geisteswelt bleibend prägen sollten: etwa Mohammad Ali Djamalzadeh, der Vater des modernen iranischen Romans, oder Mohammad Ghazvini, Begründer der modernen Literaturforschung an der später gegründeten Teheraner Universität.

Reza Schah veranlasste ein Kopftuchverbot
Reza Schah versuchte, den Iran mit mit eiserner Hand zu modernisieren und veranlasste in diesem Zusammenhang ein Kopftuchverbot für Frauen

 
Mit spitzen Federn nahmen die Autoren die Rückständigkeit des Landes und die iranischen Mullahs aufs Korn. Taqizadeh wusste dabei sehr gut, wovon er sprach: Er, der bis zum zwanzigsten Lebensjahr selbst Mullah war, kannte sich im Islam bestens aus. Über die Zeitschrift sprach im Iran damals jeder, der lesen und schreiben konnte. Kaveh war niveauvoll und verständlich zugleich. Und wurde später selbst zum Forschungsgegenstand: Dutzende Literatur- und Geschichtsstudenten und jeder, der über die deutsche Iranpolitik forschte, schrieben über diese Zeitschrift ihre Doktorarbeiten. Und man schreibt und forscht immer noch über Kaveh.
Mit diesem Produkt einer Berliner Druckerei, das der deutsche Staat finanzierte, identifizierte sich damals fast jeder, der den Zerfall des Iran verhindern wollte. Die Hinwendung zu Deutschland war dabei inklusive.
Der Offizier der Kaukasier-Truppe
Kaveh spiegelte eine patriotische Stimmung wider, die bald Wirkung zeigen sollte. Als in Berlin der fünfte Jahrgang der Zeitschrift gefeiert wurde, marschierte ein Offizier der iranischen Kaukasier-Brigade mit seiner Truppe in Teheran ein und forderte die dahinsiechende Monarchie heraus. Er hieß Reza Khan, wurde nach seinem Einmarsch erst Verteidigungsminister, dann Ministerpräsident und drei Jahre später als Reza Schah Pahlevi neuer König des Iran. Die Berliner Redaktion um Taqizadeh hatte ihr politisches Ziel erreicht. Fast alle Redaktionsmitglieder kehrten damals in den Iran zurück.
Vorbild Atatürk
Fortsetzung auf Seite 4