Der aussichtslose Kampf gegen die Flucht der Intelligenz
In punkto Braindrain steht der Iran auf der Weltrangliste ganz oben. Immer mehr gut ausgebildete JungakademikerInnen mit ausgezeichneten Abschlüssen verlassen das Land: Für die Regierung und die Wissenschaft im Iran ein ernstzunehmender Verlust.
Je besser ihre Ausbildung, desto größer die internationale Mobilität junger Menschen. Damit steht der Iran nicht allein da. Was aber dem Regime Sorge bereitet: Das Auswandern der Intelligenz hält seit Gründung der islamischen Republik ungebrochen an. Trotz Gegenmaßnahmen gelingt es der Regierung nicht, daran etwas zu ändern.
Laut einer Statistik des internationalen Währungsfonds kostet den Iran die Flucht der Akademiker jährlich etwa 50 Milliarden US-Dollar. Dieser Tatsache ist sich das islamische Regime bewusst, häufig wird sie von Politikern kritisiert. Zuletzt klagte am 17. Dezember der stellvertretende Industrieminister Waliollah Afkhami, der Iran gelte im Mittleren Osten zwar als das Land mit den meisten Forschungsprojekten. 37.000 wissenschaftliche Publikationen seien 2012 im Iran veröffentlicht worden, 6.000 mehr als etwa im Nachbarland Türkei. „Aber es gelingt uns nicht, die Forschungsergebnisse in Wirtschaft und Industrie umzusetzen“, so der Minister.
22 pro Stunde
Zuvor hatte auch Ghasem Ahmadi Lashaki, Mitglied des iranischen Parlamentsausschusses für Bildung und Forschung, die Flucht der Talente ins Ausland kritisiert. Er macht die zuständigen Behörden dafür verantwortlich: „Genies, die etwa bei Intelligenzwettbewerben herausragen, werden ignoriert.“ Der Parlamentarier bezeichnete die Intelligenzflucht als ernstzunehmende Beeinträchtigung für den akademischen Stand des Landes und beklagte: „In den letzten 15 Jahren sind im Durchschnitt die zehn Besten bei den jährlichen landesweiten Aufnahmeprüfungen für die Universitäten ausgewandert: Tendenz steigend.“
Dies deute auf die Gleichgültigkeit der Verantwortlichen gegenüber ihrer eigentlichen Aufgabe hin, „die Intelligenz des Landes wirtschaftlich und wissenschaftlich zu fördern“, so der Parlamentarier weiter.
Laut einer Statistik der Regierung Ahmadinedschad vom Mai 2013 sind 72 Prozent der SpitzenschülerInnen, die etwa bei internationalen Wettbewerben auf den Bestenlisten standen, zum Studieren ins Ausland ausgewandert – die meisten in die USA. Keiner will nach dem Studium in den Iran zurückkehren. 15 von 18 iranischen Uni-Absolventen, die im Ausland einen höheren akademischen Grad erwerben, bleiben einer anderen Studie zufolge dort.
Jährlich verlassen unterschiedlichen Quellen zufolge zudem einhundert- bis zweihunderttausend AkademikerInnen den Iran. Das entspricht 22 Personen pro Stunde. Die meisten wandern in die USA und nach Kanada aus, wo sie Anschluss an Wirtschaft und Forschung finden.
Abschreckende Propagandafilme
2010 legten einige Parlamentarier einen Gesetzesentwurf vor, mit dem die klugen Köpfe des Iran in Wirtschaft und Forschung einbezogen werden sollten. Das „Gesetz zur Unterstützung von Forschungs- und Wirtschaftsinstitutionen und zur wirtschaftlichen Umsetzung von Erfindungen und Innovationen“ wurde vom iranischen Parlament zwar verabschiedet und vom Wächterrat abgesegnet. Doch es blieb ohne nennenswerten Erfolg.
Hin und wieder gab es zwar Fälle, wo die Regierung jungen Akademikern ermöglichte, ihre Forschungsvorhaben oder technischen Innovationen umzusetzen. Maßnahmen wie die Kreditvergabe an Nachwuchswissenschaftler sollten sie davon überzeugen, im Iran zu bleiben. Daneben versucht das islamische Regime aber vor allem, die Auswanderung der Akademiker mit abschreckender Propaganda über die schlechte Lebenssituation ausgewanderter Wissenschaftler aufzuhalten. Dazu gehört die Ausstrahlung von Dokumentarfilmen, die vom „bemitleidenswerten Leben“ der Wissenschaftler im Ausland handeln.
Doch Experten weisen darauf hin, dass, solange es im Iran Behördenwillkür, soziale Ungerechtigkeit, schlechte Bezahlung, unverhältnismäßig hohe Lebenskosten, Korruption, Vetternwirtschaft und fehlende soziale und politische Freiheiten gibt, die junge Intelligenz das Leben im westlichen Ausland bevorzugen wird.
FP
Aus dem Persischen: Said Shabahang