Kompromisse finden oder scheitern

Im Samuel Becketts Theaterstück “Warten auf Godot“ verbringen zwei Landstreicher ihre Zeit damit, auf einen Menschen zu warten, von dem sie nicht wissen, ob es ihn überhaupt gibt. Bei den seit mehr als einem Jahr andauernden Atomverhandlungen zwischen dem Iran und dem Westen soll Godot aber endlich erscheinen und die ersehnte Botschaft bringen, dass nun alles gut wird. Ein Gastbeitrag von Mehran Barati.

Die Bedingungen für Godots Kommen sind günstiger denn je, sollte Frankreich es nicht durch uneinlösbare Konditionen hinauszögern. Diese positive Voraussage ist darin begründet, dass die USA ihre Positionen wesentlich in Richtung der iranischen Forderungen verändert haben. Sollten die Verhandlungen jetzt scheitern, liegt es sicher nicht mehr an mangelnder Kompromissbereitschaft der Amerikaner.
Die Entschärfung von deren Positionen ist gut belegbar:
– Von der Forderung Null-Urananreicherung und Abbau aller Zentrifugen sind die USA abgerückt und gestehen dem Iran zunächst den Betrieb von 1.500, dann 4.500 und schließlich 6.500 oder sogar mehr Zentrifugen zu.
– Der Schwerwasserreaktor in der Stadt Arak sollte ganz verschwinden. Jetzt wird die Anlage nach technischen Veränderungen für minimale Plutoniumproduktion in Betrieb bleiben.
– Die unterirdische Atomanlage in Fordu sollte geschlossen werden. Jetzt geht es hier um die Zulassung von unwesentlichen Aktivitäten. Die Iraner leisten hierbei noch großen Widerstand.
– Vor der endgültigen Einigung sollte die internationale Atomagentur der Vereinten Nationen die Unbedenklichkeit der “möglichen militärischen Dimensionen” des iranischen Atomprogramms bescheinigen. Jetzt soll diese Frage als Teil der in der Zukunft zu lösenden Probleme behandelt werden.
– Die schrittweise Aufhebung der gegen den Iran beschlossenen Embargos sollte für eine unbestimmte Zeit mit Verifikation (cross-checked) der vom Iran übernommenen Verpflichtungen gekoppelt sein. Die unbestimmte Zeit wurde im Laufe der Verhandlungen auf 20, 15 und jetzt 10 Jahren zurückgesetzt.
Die Frage der Verifikationsdauer
Bei der Fortsetzung der Verhandlungen der ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates und Deutschlands (Gruppe 5+1) mit dem Iran wird der wichtigste Tagesordnungspunkt der Zeitplan für die Aufhebung oder Aussetzung der Sanktionen gegen den Iran und die Zukunft der unterirdischen Atomanlage in Fordu sein.

Tagesordnungspunkt der neuen Verhandlungsrunde in der Schweiz wird der Zeitplan für die Aufhebung oder Aussetzung der Sanktionen gegen den Iran und die Zukunft der unterirdischen Atomanlage in Fordu sein
Tagesordnungspunkt der neuen Verhandlungsrunde in der Schweiz wird der Zeitplan für die Aufhebung oder Aussetzung der Sanktionen gegen den Iran und die Zukunft der unterirdischen Atomanlage in Fordu sein

In Fordu sind gegenwärtige 3.000 Zentrifugen der verbesserten 1. Generation aufgestellt. Während die iranische Seite mindestens 1.000 dieser Zentrifugen in Betrieb halten möchte, beharren die Amerikaner auf eine völlig andere Zwecksetzung für diese Anlage: Forschung und Entwicklung ohne Anreicherung von spaltbarem Material.
Die Argumentation der Iraner für den weiteren Betrieb der Anlage klingt plausibel: Wenn sich beide Seiten auf eine Gesamtkapazität der Urananreicherung und Qualität der genutzten Zentrifugen geeinigt haben, dann soll es den Iranern überlassen sein, wo und in welcher Anlage sie das Uran anreichern. Und solange die Drohung Israels fortbesteht, die Hauptanlage in Natanz zu bombardieren, betrachtet der Iran die unterirdische Anlage in Ford als “passive Verteidigung” der Anlage in Natanz. Sollte die Anreicherung in Fordu ganz aufgegeben werden, gleiche dies einer Aufforderung an Israel, Natanz doch zu bombardieren. Der Iran würde als Beweis seiner Redlichkeit durch die Realisierung des Zusatzprotokolls zum Atomsperrvertrag maximale Transparenz gewährleisten. Bezogen auf das Ende des Embargoregimes und die Verifikation der übernommenen Verpflichtungen erklären die Iraner die geforderte gleichzeitige Aussetzung aller Embargos zu ihrer “roten Linie”.
Obamas Außenpolitiker und Sicherheitsberater favorisieren jedoch eine neue Formel: Periodische Aussetzung der Embargos in kurzen Zeitabständen, also Aussetzung der Embargos jeweils für einige Monate, vorbehaltlich der positiven Überprüfung der geleisteten Verpflichtungen. Eine wesentliche Schwierigkeit dabei ist herauszufinden, welcher Teil der Embargos welchen Schritten der Iraner entsprechen könnte und welche permanenten Zugeständnisse die Iraner für temporäre Beschränkungen in Kauf nehmen sollten.
Wie dem auch sei, die iranische Seite müsste eigentlich wissen, dass die Forderung nach einer sofortigen Aufhebung aller Embargos, unabhängig von ihrer praktischen Undurchführbarkeit, zum endgültigen Scheitern der Verhandlungen führen würde. Es gibt sicher weitere Optionen, die in der letzten Minute auf den Tisch kommen werden.
Weltsicherheitsrat als Ausweg?
Die Regierung Rouhanis geht davon aus, dass selbst bei einem erfolgreichen Abschluss der jetzigen Verhandlungen in Lausanne US-Präsident Barack Obama in der verbliebenen Zeit seiner Präsidentschaft kaum in der Lage sein würde, einen längerfristig verpflichtenden und durchführbaren Zeitplan für die Aussetzung der amerikanischen Embargos gegen den Iran zu beschließen. Aus diesem Grund hat der iranische Außenminister Javad Zarif sein Ansinnen zum Ausdruck gebracht, die Aussetzung oder Aufhebung aller Embargos gegen den Iran vom Weltsicherheitsrat beschließen zu lassen. Denn auch wenn die USA oder Frankreich bei Abstimmung im Weltsicherheitsrat sich der Stimme enthalten sollten, wären bei Ja-Stimmen der übrigen Mitglieder des Rates seine Beschlüsse auch für die künftige Regierung der USA bindend. Selbst Kongress und Senat könnten nicht dagegen vorgehen.
In der unterirdischen Urananreicherungsanlage in Fordu sind etwa 3.000 Zentrifugen neuerer Generation installiert
In der unterirdischen Urananreicherungsanlage in Fordu sind etwa 3.000 Zentrifugen neuerer Generation installiert

Die Iraner sind in der Transparenzfrage bereit, noch weitergehenden Forderungen des Westen zuzustimmen, wenn das politische System der USA sich zu der längerfristigen Aussetzung der Embargos verpflichten könnte. Die Rolle Frankreichs bleibt im Endspiel des Atompokers noch ungeklärt. Denn für eine eventuelle Beschlussvorlage für den UN-Sicherheitsrat oder die Zustimmung zum Verhandlungsergebnis außerhalb der Modalitäten des Sicherheitsrates wäre eine abgestimmte Position der westlichen Länder eine Grundvoraussetzung. Bis jetzt scheint Frankreich die Hardlinerrolle übernehmen zu wollen, um einerseits die politischen Interessen der israelischen Regierung zu vertreten und andererseits die arabischen Staaten am persischen Golf zu besänftigen. Im Unterschied zu Obamas Regierung verfolgt Frankreich bei seiner härteren Position der Islamischen Republik gegenüber möglicherweise auch sicherheitspolitische und ökonomische Interessen in der Nahost-Region.
Das neue Atomjahr des Ayatollah
“Revolutionsführer” Ayatollah Ali Khamenei hat in seiner persischen Neujahrsansprache am 21. März dem Außenminister mit auf den Weg gegeben, die USA würden den Verhandlungstisch nicht verlassen. Dazu wären das geopolitische Risiko und der politische Preis, insbesondere was die kommenden Präsidentschaftswahlen der USA betrifft, zu hoch. Man solle also am Verhandlungstisch standhaft bleiben. Das werde eher zum Erfolg beitragen.
Verhandlung bedeute, für beide Seiten akzeptable Lösungen zu finden. Wenn eine Seite keine Abstriche bei ihren Forderungen akzeptiere, würde das einem Diktat gleichkommen. Die Iraner würden für keine der anstehenden Fragen rein amerikanische Lösungen akzeptieren. Außerdem sollten die USA nicht versuchen, die geopolitischen und regionalen Fragen mit den Atomverhandlungen zu verbinden. Wie auch immer die Atomverhandlungen endeten, werde der Iran seinen Weg gehen. In dieser Frage seien mit den USA weder Verhandlungen noch Übereinstimmung möglich. In der Frage der Embargos gebe es keinen Grund für ihre Fortsetzung. Mit der Unterschrift Irans unter die Einigung und mit der Erfüllung seiner Verpflichtungen müssten die Embargos sofort aufgehoben werden. Würde das nicht passieren, hätte der Iran kein Druckmittel in der Hand. Die vom Iran übernommenen Verpflichtungen könnten technisch für alle Zeiten gelten. Wenn die USA die Embargos für wiederholbar halten, müsste in einem solchen Fall dasselbe Recht den Iranern zugestanden werden, die übernommenen Verpflichtungen rückgängig zu machen.
Khamanei sprach zwar bestimmt und deutlich, der Inhalt seiner Rede klingt jedoch nach der Vorhersage seiner Zustimmung zum möglichen Endstand der Verhandlungen.
In der geopolitischen und regionalen Frage existiert bereits jenseits der Propagandareden eine Kooperation zwischen den USA und dem Iran. Schon seit geraumer Zeit wird der logistische Bedarf amerikanischer Truppen in Afghanistan über den iranischen Hafen Bandar Abbas am indischen Ozean abgewickelt. Die von amerikanischen Schiffen gebrachten Dinge werden von hier mit Lastwagen nach Afghanistan gebracht. Im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien und Irak kooperieren die Amerikaner mit den Außentruppen der iranischen Revolutionsgarde (Ghods Army). Amerikanische Generäle reden offen darüber. „Revolutionsführer“ Khamanei will es nicht gehört haben.
MEHRAN BARATI*
* Dr. Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran. Er ist regelmäßiger unabhängiger Analyst auf BBC Persian und VOA (Voice of America) Persian und gilt als Experte für internationale Beziehungen.
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