Warten auf Papier

Wie sieht es nach den neuerlichen US-Sanktionen gegen den Iran mit der Buch- und Druckindustrie in der Islamischen Republik aus? Ein Essay des in Teheran lebenden Schriftstellers und Übersetzers deutscher Literatur, Mamoud Hosseini Zad*.

„Deine Turandot ist fertig, wir warten auf Papier!“, schrieb mir mein Verleger im Juni per SMS. Sollte heißen: Meine Übersetzung von Bert Brechts „Turandot“ war fertig lektoriert und lag nun beim Drucker, aber es gab kein Papier!
Dass die iranische Buch- und Druckindustrie seit der islamischen Revolution 1979 an Papiermangel leidet, war und ist kein Geheimnis. Fast jeder im Iran, der mit diesem Bereich zu tun hat, kennt den Grund: Im Iran gibt es mehrere Papierhersteller, doch die meisten von ihnen bringen vor allem Pack- und Geschenkpapier auf den Markt. Nur drei stellten Druck- und Zeitungspapier her, stellten ihre Produktion aber vor kurzem ein. Also importiert der Iran Papier in großen Mengen.
Doch der Verkauf der Importe geschieht nicht fair: Der Wechselkurs der iranischen Währung befindet sich seit einiger Zeit im freien Fall. Die damit steigende Differenz zwischen dem staatlich festgelegten Devisenkurs und dem des – illegalen – freien Marktes ermöglicht es den Importeuren, meist der Staat selbst oder ihm verbundene Personen, Papier zu den staatlich festgelegten vergünstigen Devisenkursen einzuführen und es dann zum freien Wechselkurs auf dem illegalen Markt weiterzuverkaufen.
Dieser Zustand legte in den vergangenen Jahren auch die Buch- und Druckindustrie lahm. Bücher und Zeitschriften wurden zunehmend teurer, die Anzahl der Käufer sank.
Dazu kam 2017 ein Gesetz zum Schutz der vom Aussterben bedrohten iranischen Wälder. Alle Verträge über Waldnutzung zu gewerblichen und Handelszwecken wurden annulliert. Seither muss auch Holz importiert werden.
Das war nach dem so genannten Atomdeal, als die iranische Regierung sich wirtschaftlich bessere Zeiten erhoffte. Mit Donald Trump hatte man aber nicht gerechnet.
Unter ihrem neuen Präsidenten stiegen die USA aus dem Atomabkommen zwischen dem Iran und den fünf Weltmächten aus. Trump reaktivierte alte Sanktionen und droht mit noch heftigeren neuen. Die ratlose iranische Regierung und die ohnehin schwache und korrupte Wirtschaft des Landes reagierten mit Anhebung des offiziellen Dollarpreises. Der Umtauschwert explodierte. Der Wechselkurs auf dem freien Markt, im Juni 2018 noch bei etwa 4.500 Tuman pro Dollar, kletterte in wenigen Tagen auf 10.000, dann auf 12.000. und 15.000 Tuman und mehr. Das Gerücht, der Dollar werde bald die 20.000-Tuman-Schwelle erreichen, erscheint nicht unrealistisch.
Vor dem US-Ausstieg aus dem Atomabkommen hatten die iranische Regierung und iranische Händler die Möglichkeit, Waren über Umwege wie die arabischen Emirate, die Türkei oder Süd- und Nord-Korea zu importieren. Aber nun ist die Angst vor Trump zu groß.

Zurück zu „meinem Turandot“

Als ich kurz nach der SMS meines Verlegers wieder in Teheran war, informierte ich mich bei meinen anderen Verlegern. Ich arbeite mit drei Verlagshäusern zusammen, die zu den führenden Verlegern im Iran zählen.
Meine Frage lautete: Ist die neue Situation eine Gefahr für unseren Buchmarkt, und letztlich für die Literatur?

Brechts Turandot in Persisch, übersetzt von Mahmoud Hosseini Zad
Brechts Turandot in Persisch, übersetzt von Mahmoud Hosseini Zad

Die Antwort war ein eindeutiges Ja – und mehr:
– Papier ist viel teurer geworden und die Befürchtung, dass man keins mehr auf internationalen illegalen Märkten bekommt, ist groß. Also horten die Importeure lieber, als zu verkaufen.
– Im Juli 2018 zahlten die Verleger für Papier 40 Prozent mehr als im Mai, und jetzt noch mehr als im Juli. Bücher werden noch teurer und die Käufer noch weniger.
– Die Auflagen literarischer Werke sinken immer weiter. Vor einigen Jahren lag die Erstauflage für Romane bekannter Autoren bei etwa 2.000 bis 5.000. Die Zahl reduzierte sich allmählich auf 1.000 bis 1.200, bei weniger bekannten Autoren sogar auf 300 bis 500 – bei einer Bevölkerungszahl von 80 Millionen!
– Die Verleger sind ratlos, viele haben ihre Produktion vorläufig eingestellt.
– Zur Zeit liegt der Fertigpreis für eine Buchseite bei 100 bis 120 Tuman. Der Ladenpreis für ein 200 Seiten starkes Buch beträgt etwa 22.000 Tuman – teuer genug für durchschnittliche iranische VerbraucherInnen, die ohnehin eine niedrige Kaufkraft haben.
– Neben Papier ist auch alles andere, das wir für unsere Arbeit brauchen, nun teurer: Rechner, Tinte, Toner, Zink, Wasch-und Putzmittel für Maschinen.
– Zellophan brauchen wir für die Buchumschläge. Für eine Rolle, die noch im Mai 2018 57.000 Tuman kostete, zahlen wir heute 80.000 Tuman.
– Noch ein Problem, das besonders Verlage betrifft, die Bücher in kleineren Formaten herausbringen: Importiert werden ausschließlich Papiere in den Formaten 90 x 60 cm und 100 x 70 cm. „Und niemand fragt, warum nur diese Formate?“, beschwert sich eine meiner VerlegerInnen, die Bücher nur im Format 19 x 12 cm herausbringt. So entsteht eine enorme Menge von Restpapier ohne weitere Verwendung
Das Fazit der Aussagen meiner zwei Verleger und der Verlegerin lautet also: „Mit dem Buch und dem Buchmarkt im Iran sieht es sehr düster aus!“

„Turandot“ hat es geschafft

Mein „Turandot“ wartete etwa vier Wochen lang auf Papier und landete endlich in den Buchläden, Mitte August 2018 in einer Auflage von 1.100 Exemplaren.
Im April 2018 zitierten Medien beängstigende Äußerungen von Abolfazl Roghani, dem Präsidenten des Iranischen Verbands der Papier- und Kartonhersteller: Da der Bedarf an Zeitungs- und Druckpapier im Iran zu 100 Prozent durch Import gedeckt werde und da die zuständigen Organe die iranische Papierindustrie nicht unterstützten, hätten „alle Papierhersteller ihre Arbeit eingestellt“, berichtete etwa die Nachrichtenagentur Mehr.
Am 12. August, als mein Turandot schon auf dem Weg in die Buchhandlungen war, kam eine erschreckende Meldung, die zugleich ein Beweis für die staatlich gelenkte wirtschaftliche Korruption in diesem Sektor ist – in diesem Fall „Subventionen“ genannt.
Die Nachrichtenagentur Eghtesadonline.com berichtete unter Bezug auf Ensaf News über die unaufhaltsame Krise der Zeitschriftenindustrie. In der Meldung heißt es:
„Die Zeitungspapierkrise vertieft sich und es gibt keine klaren Zahlen darüber, welche Zeitungen wie viel staatliche Subventionen bekommen und mit Werbeaufträgen viel Geld kassieren.“
Die auflagenstärkste Zeitung Hamschahri, Organ der Teheraner Stadtverwaltung, einst mit einer täglichen Auflagenzahl von 500.000, bringt nun nur noch 180.000 Exemplare auf den Markt. Auf dem zweiten Platz der auflagenstarken Zeitungen steht Jam e Jam, das Organ der staatlichen iranischen Rundfunkanstalt, mit etwa 80.000 Exemplaren. Es gibt aber sogar Zeitungen, die nur 700 Stück und noch weniger am Tag herausbringen. Der Bericht nennt die zwei Zeitungen Bahar und Tamashagaran mit einer täglichen Auflage von 20 bis 30 Stück.
Meine nächste Übersetzung, einen Roman, werde ich meinem Verlag im Oktober vorlegen. Angesichts der täglichen Vertiefung der wirtschaftlichen Krise des Iran und der Krise der Papierindustrie kann ich mir kaum vorstellen, dass mich das Glück noch einmal segnet!

  MAHMOUD HOSSEINI ZAD
Mahmoud Hosseini ZadZur Person: Mahmoud Hosseini Zad ist der renommierteste Übersetzer zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur ins Persische. Der Träger der Goethe Medaille hat auch einen Roman und mehrere Kurzgeschrieben geschrieben und an mehreren iranischen Hochschulen deutsche Literatur unterrichtet.
 
© Iran Journal

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