Mit Facebook gegen die Autoindustrie

Eine Kampagne gegen die Anschaffung neuer Autos bietet der Autoindustrie im Iran die Stirn. Ihre Waffen: soziale Netzwerke und mobile Messaging-Dienste, ihr Motto: „Kein Neuwagen“. Die Kampagne sorgt in der Regierung für Unannehmlichkeiten.
Ein Teil der iranischen Netz-Community legt sich mit der mächtigen staatlichen Autoindustrie an. Mit einer Online-Kampagne unter dem Motto „Kein Neuwagen“ wird seit Wochen für den Boykott iranischer Autos geworben. Ziel ist, die beiden Großhersteller Iran Khodro und Saipa in die Knie zu zwingen. Die Kampagne ist nicht nur in den so genannten mobilen Messaging-Diensten wie Telegram, Imo und Co. aktiv, sondern hat eine eigene Facebookseite mit über 9.000 Followern. Auch auf Instagram wird fleißig gepostet. Die Initiatoren finden die im Iran hergestellten Autos qualitativ schlecht und zudem zu teuer. Sie haben hohe Verbrauchs- und schlechte Umweltwerte. Mangelhafter Kundenservice und geringe Sicherheitsausstattung der Autos gehören auch zu den Kritikpunkten.
Im Iran kommen jährlich bis zu 27.000 Menschen bei Autounfällen ums Leben. Die Zahl der Verletzten beläuft sich auf 250.000. Hauptgründe sind die unsicheren Autos, die normwidrig gebauten Straßen und menschliches Versagen. Die Kampagne „Kein Neuwagen“ nimmt gerne den Kleinwagen Kia Pride als Beispiel, dessen Produktion in Europa und im Herkunftsland Südkorea schon vor 15 Jahren eingestellt wurde. Das Auto wird im Iran immer noch hergestellt, kostet neu umgerechnet 5.400 Euro und gilt als besonders unsicher. Die Medien veröffentlichen immer wieder Bilder von schweren Autounfällen mit demolierten Prides.
Minister gießt Öl ins Feuer
Ein weiterer Kritikpunkt ist die „Arroganz der Autoindustrie“. Sie solle endlich für hochwertigere Produkte sorgen, statt ihre Kunden zu beleidigen. Als der iranische Minister für Industrie, Bergbau und Handel, Mohammadreza Nematzadeh, Ende August auf die Kampagne „Keinen Neuwagen“ angesprochen wurde, bezeichnete er sie als „Sünde und Verrat an nationalen Interessen“ und deren Anhänger als „konterrevolutionär“.

Eine Karikatur für die Kampagne: "Wenn Mercedes auf den Markt kommt, wird Pride unbeliebt"
Eine Karikatur für die Kampagne: „Wenn Mercedes auf den Markt kommt, wird Pride unbeliebt“

Diese Haltung sorgte in sozialen Medien für Wut. Die Reaktionen waren so heftig, dass Präsident Hassan Rouhani Medienberichten zufolge seinen Industrieminister zurechtweisen musste. „Wir müssen Kritiker mit Respekt behandeln“, soll der Präsident gesagt haben.
Daraufhin beteuerte Nematzadeh, er hätte die Boykottierenden nicht beleidigen wollen. Er halte aber den Boykott der Landesindustrie für falsch. „Stattdessen sollten Kampagnen für die Verbesserung der Qualität, besseren Kundenservice, niedrigere Preise, den Kauf inländischer Produkte und Unterstützung der nationalen Industrie gestartet werden“, so der Minister.
Was macht die Debatte wieder so aktuell?
Die Diskussion über die Qualität iranischer Autos ist keine neue. Seit Jahren beschweren sich nicht nur Kunden über das „unfaire“ Preis-Leistungs-Verhältnis. Auch eine parlamentarische Untersuchungskommission prüfte den Sachverhalt. Diese hätte „Probleme mit tiefgreifenden Wurzeln“ festgestellt, so Parlamentschef Ali Laridschani im März.
Die iranische Autoindustrie ist staatlich. Der größte Autohersteller des Landes, Iran Khodro, wurde 1962 noch vor der islamischen Revolution gegründet. Trotz einer mittlerweile fünfzigjährigen Geschichte stellen die Autobauer immer noch keine eigenen Modelle her. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit ausländischen Herstellern fand bislang kaum statt. Stattdessen kauft man ausländische Modelle zum Nachbau. Die werden zunächst aus importieren Einzelstücken zusammengebaut. Nach einigen Jahren solcher reinen Montage werden dann einige Einzelteile von iranischen Zulieferern produziert. Dies geht meist auf Kosten der Qualität. Die Hauptteile werden aufgrund der Produktionskomplexität weiterhin importiert. Iranische Autos werden in wenige Länder, etwa Syrien und den Irak, exportiert. Chinesische Autos, die ebenfalls eine niedrige Qualität aufweisen, sind die einzige Alternative auf dem iranischen Markt.
Das Atomabkommen weckt im Iran die Hoffnung auf die Aufhebung der internationalen Sanktionen und eine spürbare Verbesserung der Wirtschaftslage. Die Weltmarktführer der Autobranche aus den USA, Asien und Europa sollen bereits Interesse am iranischen Markt geäußert haben. Als die deutsche Industriedelegation um Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Juli den Iran besuchte, berichteten Medien von dem großen Interesse der deutschen Autobauer am Iran. Vor diesem Hintergrund erwartet die Kampagne „Kein Neuwagen“, dass in Kürze bessere Autos zu bezahlbaren Preiens angeboten werden. Sie geht davon aus, dass ein konsequenter Boykott iranischer Neuwagen in sechs Monaten zu diesem Ergebnis führen wird.
Wie realistisch ist das Ziel des Boykotts?
Solche Bilder von "Pride" gehen häufig im Internet herum
Solche Bilder von „Pride“ gehen häufig im Internet herum

Der Import von Personenkraftfahrzeugen mit einem Motorhubraum von maximal 2.500 Kubikzentimetern ist jedem Iraner gestattet. Die Einfuhrkosten, unter anderem ein Zoll von 40 bis 55 Prozent des Herstellerpreises, katapultieren die Preise jedoch so hoch, dass sich nur die Wenigsten einen ausländischen Neuwagen leisten können. In solch einem konkurrenzfreien Klima fühle sich die iranische Autoindustrie nicht verpflichtet, Qualität zu verbessern oder Preise zu senken, meinen Beobachter. Um die Konkurrenz auszubauen, stellte die Regierung Rouhani zwar die Gründung eines weiteren Großherstellers in Aussicht, der mit weltbekannten Marken zusammenarbeiten sollte. Dies kann jedoch erst nach der Aufhebung der Sanktionen umgesetzt werden.
Die iranische Autoindustrie weist die Kritik zurück. Die hohen Preise resultierten aus teuren Bankkrediten und dem niedrigen Wert der Landeswährung, die den Import von Rohstoffen teuer mache. An der Qualität arbeite man ständig. Widerstand gegen die iranische Autoindustrie existiere bereits seit einiger Zeit, weiß der Generalsekretär des Verbandes der iranischen Autohersteller, Ahmad Nematbakhsh. Er erwartet in den nächsten Monaten keine kostengünstigen Markenautos auf iranischen Straßen. Nematbakhsh sagte vor einem Monat in einer Fernsehsendung, dass es im Falle einer Zusammenarbeit mit großen Herstellern mindestens zwei Jahre dauern werde, bis die ersten Fahrzeuge vom Band rollen würden. Der bekannte iranische Ökonom Saeed Leylaz hält auch eine kurzfristige Preissenkung für unrealistisch. In der aktuellen Wirtschaftslage wäre die Produktion von Autos im Iran kaum wirtschaftlich, sonst wären die Chinesen schon längst da, zitierte ihn die Internetseite „Eghtesad News“ vergangene Woche.
Trotz solcher Stellungnahmen hält sich die Kampagne. Die TeilnehmerInnen ermutigen sich gegenseitig mit Bildern, die die überfüllten Lagerplätze der Autohersteller zeigen sollen. Der Industrieminister nennt die Bilder dagegen „völlig normal“, da zwischen Produktion und Zulassung mindestens zwei Wochen vergingen. Laut dem Generalsekretär des Verbandes der iranischen Autohersteller zeigen die Verkaufszahlen keinen Einbruch. Und der Leiter der parlamentarischen Kommission zur Untersuchung der Autoindustrie, Ali Alilou, ist sogar der Meinung, dass sich eine „Import-Mafia“ aus China in die Kampagne eingeschleust hat und diese für eigene Interessen ausnutzt. Was davon sich als Wahrheit erweist, wird die Zeit zeigen.
  IMAN ASALANI