Einschulung in einstürzende Altbauten

Für Millionen SchülerInnen im Iran begann vergangene Woche das neue Schuljahr. Sie lernen in einem völlig maroden Bildungssystem. Das zuständige Ministerium ist chronisch unterfinanziert. Einsturzgefährdete Schulen, lebensgefährliche Heizöfen und drogensüchtige SchülerInnen sind die eine Seite der Medaille, veraltete Lernmethoden und Lernstoffe die andere. 
Das Schuljahr fängt im Iran offiziell am 22. September an. In diesem Jahr besuchen laut Bildungsministerium etwa 13 Millionen Kinder und Jugendliche die Schulen, allein 1,1 Millionen in der Hauptstadt Teheran.
Ein Großteil von ihnen lernt in maroden Räumlichkeiten. Dabei hält die Hauptstadt den Rekord an sanierungsbedürftigen Schulgebäuden. Laut dem Teheraner Generaldirektor für Bildung, Esfandiar Charband, müssten 30 Prozent der Schulgebäude in der Hauptstadt abgerissen und neu gebaut werden. Dies umfasse 10.000 Klassenzimmer. Einige Schulen weisen demnach nicht einmal den Mindeststandard an Sicherheit auf. Insgesamt bedürften 17.000 Klassenräume in der Hauptstadt der Grundsanierung und Absicherung, und zwar dringend, so Charband: Sie würden bei einem Erdbeben der Stärke 4 bis 5 einstürzen: „Diese Anzahl von Klassenzimmern abzureißen und neu zu bauen würde bei der gegenwärtigen Budgetierung 32 Jahre dauern.“
Lernen in Zelten
In den Provinzen geht es noch armseliger zu. Viele Schulen wurden aus einfachsten Baumaterialien provisorisch errichtet und bieten den SchülerInnen keinerlei Schutz. Laut offiziellen Angaben ist ein Drittel der Klassenzimmer in iranischen Schulen einsturzgefährdet. Zelte als Klassenzimmer sind keine Seltenheit und in einigen abgelegenen Provinzen sogar Luxus. In der südwestiranischen Provinz Chusestan gibt es Container als Klassenzimmer, in der Südostprovinz Sistan und Belutschistan an der pakistanischen Grenze – einer der am stärksten benachteiligten Regionen des Landes – dienen selbsterrichtete Hütten oder verlassene, zweckentfremdete Gebäude als Unterrichtsräume.
Der Abgeordnete Mohammad-Mehdi Zahedi, Mitglied der parlamentarischen Kommission für Bildung und Forschung, schätzt die Zahl einsturzgefährdeter Klassenzimmer landesweit auf etwa 120.000. Dazu kommen Hunderte gemieteter Schulgebäude, die bald gekauft oder geräumt werden müssen.
Marode Technik

Nicht selten gehen die Ölöfen in den Schulen in Flammen auf
Nicht selten gehen die Ölöfen in den Schulen in Flammen auf

Sicherheitsrisiken lauern allerdings nicht nur in Wänden und Dächern. Marode Heiztechnik ist vor allem in kalten Regionen ein ernstes Problem. Nicht selten gehen die Ölöfen, die in vielen Schulen stehen, in Flammen auf. Im Herbst 2012 verbrannten dabei 29 von 37 Grundschülerinnen im Dorf Shinabad in der Nordwestprovinz West-Aserbaidschan. Die „Mädchen von Shinabad“, die immer noch mit den Folgen schwerer Verbrennungen zu kämpfen haben und immer wieder – mit staatlicher Unterstützung – operiert werden müssen, wurden zum Symbol für die desolaten iranischen Schulen.
Gehälter als Budgetfresser
105.000 Schulen, fast 13 Millionen SchülerInnen und eine Million Lehrkräfte betreut das Bildungsministerium. Nach offiziellen Angaben gibt es jährlich 99 Prozent seines Budgets für Gehälter aus – und das, obwohl laut der Regierungsorganisation für Management und Planung die Zahl der SchülerInnen in den vergangenen 25 Jahren von 18 auf 13 Millionen gesunken ist. Mit dem verbleibenden Prozent muss alles andere finanziert werden. Bildungsqualität und pädagogische Betreuung bleiben dabei oft auf der Strecke. Seit Jahren wird von einer besorgniserregenden Zunahme des Drogenkonsums an Schulen berichtet. Viele SchülerInnen und LehrerInnen sollen unter Depressionen leiden.
Die Hälfte der neuen Schulgebäude werde von Spendern gebaut, so der Parlamentsabgeordnete Rassoul Khezri. Um laufende Kosten zu decken, würden Eltern zur Kasse gebeten, obwohl die Grundausbildung an staatlichen Schulen nach dem Grundgesetz kostenfrei sein soll. Das Bildungsministerium soll wie viele andere staatliche Organe von Korruption befallen sein. In den vergangenen Wochen wurde über eine Unterschlagung von umgerechnet 2 Milliarden Euro bei der Sozialkasse der LehrerInnen gemunkelt.
Antwort auf gewerkschaftliche Fragen
Fortsetzung auf Seite 2