Schiitischer Bruderkampf im Irak
Doch damals schien er ein völlig anderer Mensch geworden zu sein. Als ob er seinen zweiten Aufenthalt im Iran in einer Ausnüchterungszelle verbracht hätte, witzelten damals viele: Der Rausch der schiitischen Revolution schien verflogen zu sein. Moktada habe sich in der iranischen Stadt Qom seinen theologischen Studien gewidmet, heißt es in seiner offiziellen Biographie. Seine iranischen Gastgeber waren jedoch verblüfft, als er unmittelbar nach seiner Ankunft in der irakischen Heimat die sunnitische Abdul-Qader-Al-Kilani-Moschee im Zentrum Bagdads besuchte und dort gemeinsam mit dem sunnitischen Imam betete. Seine Mahdi-Armee erklärte er für aufgelöst, seine Anhänger forderte er auf, die Waffen niederzulegen, er selbst wolle sich aus der Politik zurückziehen, erklärte er feierlich.
Moktada Sadr als politischer Pensionär? Schon damals glaubte kaum jemand daran. Und tatsächlich blieb Sadr im Hintergrund wie immer politisch aktiv, auch seine Miliz blieb bestehen, sie bekam nur einen neuen Namen. Er taufte die Mahdi-Armee in Saraia-Al-Salam um. Als diese neue alte Truppe 2015 in den Straßen von Bagdad, Basra und Nadjaf Paraden abhielt, um ihre Macht zu demonstrieren, konnte man sehen, dass Moktada annähernd 40.000 gut bewaffnete und kampferfahrene Männer befehligt. Für die Versorgung und Alimentierung einer solchen Armee benötige man monatlich mindestens 20 Millionen US-Dollar, schätzen Militärexperten. Woher diese Summe kommt, bleibt eines der vielen Geheimnisse des irakischen Bürgerkrieges.
Moktada Sadr sei heute der mächtigste Politiker des Irak. Er wolle bestimmen, wer in diesem Land regiert, meldete der BBC am Tag der Parlamentsbesetzung aus Bagdad.
Nichts weniger als eine Revolution
Sadr ist nun das Symbol der schwersten politischen Krise, die der Post-Saddam-Irak je gesehen hat. Wohin diese neue Krise führt, weiß niemand. Doch Spekulationen gibt es zuhauf: Auch von einer bevorstehenden bewaffneten Konfrontation der schiitischen Gruppen ist dabei die Rede. Schiitische Milizen und Gruppen für einen blutigen Bruderkampf gibt es genug im Irak. Ein Experte von Radio Farda, dem einstigen Radio Free Europe, zählt allein siebzehn schiitische Milizen auf, die vom Iran finanziert und vom Qassem Soleimani, dem Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, gesteuert werden.
Es gibt aber noch fünf weitere schiitische Milizen – wie jene von Moktada Sadr – die alles unternehmen, um sich vom Iran zu distanzieren. Sadr selbst schweigt zum Iran und seinem politischen System beharrlich. Doch genau diese laute Stille sorgt in Teheran für Unruhe. Zumal Moktadas Anhänger sich zunehmend lauter und härter positionieren. Sein derzeitiger Fahrplan jedenfalls lässt sich in einem kurzen Satz wiedergeben. Er lautet: die Entmachtung des Iran im Irak. Alle Minister, die qua ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit an die Macht gekommen seien, sollten entlassen werden. Ein Kabinett der Technokraten solle das Land regieren. Die zahlreichen Milizen müssten aufgelöst werden.
Würde dieses phantastische Programm je Wirklichkeit werden, bedeutete es das Ende der iranischen Dominanz im Nachbarland.
Teheran wird nervös
Deshalb hört sich der Ton aus Teheran gegen Moktada sehr martialisch an. Es sei für Hashd Shaabi kein Problem, diesen Unruhestiftern eine lehrreiche Lektion zu erteilen, sagte etwa Ali Akbar Velayati, der ehemalige iranische Außenminister, zwei Tage nach der Erstürmung des Bagdader Parlaments.
Um das Ausmaß dieser Drohung einordnen zu können, zwei Erläuterungen: Hashd Schaabi ist ein Sammelbegriff für jene bewaffneten schiitischen Milizen, die derzeit gegen den IS kämpfen. Und Ali Akbar Velayati, der sechzehn Jahre lang iranischer Außenminister war, ist heute quasi Sprachrohr von Ayatollah Ali Khamenei, dem mächtigsten Mann des Iran. Und noch eine Erläuterung zu Zeit und Ort dieser Drohung: Velayati befand sich am Tage der Bagdader Parlamentsstürmung auf dem Weg nach Damaskus, um dort Bashar Al Assad zu versichern, er sei die rote Linie der iranischen Syrienpolitik. Und diese Drohung an die Adresse Moktada Sadrs sendete Velayati über libanesische Zeitungen und TV-Kanäle.
Zunächst besorgt der IS das Geschäft
Einstweilen braucht Hashd Schaabi nicht gegen Moktada Sadr tätig zu werden. Noch hält der IS alle Seiten des irakischen Bürgerkriegs in Atem. Am Mittwoch bekannte er sich zu zwei Autobomben im Bagdader Stadtteil Sadr-City, der Hochburg Moktadas. Angaben über die Opferzahlen variieren, von Hundert Toten und mehreren Hundert Verwundeten ist die Rede. Es war jedenfalls einer der verheerendsten Anschläge, die Bagdad in den letzten zehn Jahren erlebt hat.
ALI SADRZADEH
Quellen:
Der Videoclip , www.irdiplomacy.ir/fa/page/1 , www.radiofarda.com/content/f8 , otaghkhabar24.ir/news/45561 , www.ensani.ir/fa/ , www.irdiplomacy.ir/fa , news.gooya.com/politics/ , www.irdiplomacy.ir/fa , khabaronline.ir , www.politico.com/magazine , www.radiofarda.com/content , www.farsnews.com , www.irdiplomacy.ir , www.irdiplomacy.ir/fa , www.mehrnews.com , www.irdiplomacy.ir/fa , www.radiofarda.com/content , www.farsnews.com/newstext , www.radiofarda.com/content/f3