„Die Religion soll die Frauen in Ruhe lassen“
Diejenigen Frauen, die Bilder oder Videos geschickt haben, haben dafür zu Hause, auf der Arbeit oder in der Gesellschaft gekämpft. Ich kann mich an eine Frau erinnern, deren Ehemann das Löschen ihrer Bilder von unserer Facebook-Seite gefordert hat. Die Bilder würden sie in Gefahr bringen, sagte er. Ich habe die Bilder im Sinne der Harmoniebewahrung innerhalb der Familie gelöscht. Nach etwa zwei Wochen bekam ich von der besagten Frau wieder Nachrichten. Auch ich würde es nicht ernst meinen und wäre nicht die Stimme der Frauen, sondern die der Ehemänner, schrieb sie mir. Diese Frau hat mir damit die größte Lektion meines Lebens erteilt. „Ich war dabei, meine Rechte innerhalb meiner Familie einzufordern“, schrieb sie weiter. „Es geht nicht nur darum, mein Recht vom Regime zu bekommen. Ich wollte mir meine Rechte in meinem Haus erkämpfen. Du hast es aber nicht zugelassen und wurdest die Stimme meines Ehemannes.“ Ich habe mich nicht nur bei ihr entschuldigt, sondern ihr gesagt, dass ich von ihr etwas gelernt habe. Sie schickte mir ein noch gewagteres Bild, diesmal komplett von ihrem Gesicht. Und ich habe das Bild veröffentlicht. Nach einem Monat bekam ich von ihr ein Video mit einer männlichen Stimme im Hintergrund, die sagte: „Eins, zwei, drei … und los!“. Ich fragte sie, wer er sei? Sie schrieb mir mit einem lachenden Smiley zurück: „Ich siegte in meinen eigenen vier Wänden. Jetzt habe ich meinen Ehemann an meiner Seite.“
Haben sich diese Frauen auch an der Aktion „Mädchen der Revolutionsstraße“* beteiligt?
Ja. Eine Frau, die bereits an der Kampagne „Meine heimliche Freiheit“ teilgenommen hatte, hat mir ein Video geschickt. Als die Kampagne „Mädchen der Revolutionsstraße“ losging, fühlte sie sich als Siegerin. Ein wichtiger Erfolgsfaktor jeder Kampagne ist, dass jede/r Teilnehmer/in sich selbst als Initiator/in der Kampagne ansieht. „Meine heimliche Freiheit“ und „Weiße Mittwochs“ haben zum Glück Tausende Initiatorinnen und Anführerinnen.
Eine Teilnehmerin der Kampagne „Weiße Mittwochs“ hat vorgeschlagen, mit der Idee von Vida Movahed – die erste Frau, die ihr Kopftuch auf der Teheraner Revolutionsstraße abnahm und sich fotografieren ließ – weiterzumachen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass dieser Vorschlag so eine breite Akzeptanz findet. Sie ist die Anführerin dieser Kampagne und war von Anfang an bei „Meine heimliche Freiheit“ und „Weiße Mittwochs“ dabei.
Du hast den einen Fall mit dem Ehemann erzählt. Wie haben die Männer bei Kampagnen gegen die Zwangsverschleierung reagiert? Welche Rolle haben sie dabei gespielt?
Am Anfang haben die Männer spöttisch gefragt: „Na und jetzt? Ist das wirklich euer ganzes Problem?“ Selbst die Männer, die nicht dagegen waren, haben gesagt: „Es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt.“ Ich sagte daraufhin, dass wir selber den Zeitpunkt bestimmen können. Wir können die Umstände ändern. Viele Männer kamen nach und nach dazu. Als Außenminister Zarif in Frankreich sagte, dass der Schleierzwang ein Teil unserer Kultur sei, setzte ich ihm mit Photoshop ein Kopftuch auf. Dieses Bild wurde in vielen wichtigen internationalen Medien veröffentlicht. Ich hätte gerne gewusst, wie sich Herr Zarif beim Anblick des Bildes fühlte. Das ist das Gefühl der iranischen Frauen seit vierzig Jahren.
Daraufhin habe ich von einem Iraner ein Bild bekommen. Er hat sich mit Kopftuch fotografiert und schrieb dazu, dass er sich dabei schlecht gefühlt habe. Er bat mich, das Bild zu veröffentlichen und prophezeite, dass noch Millionen dazu kommen würden. Nach der Veröffentlichung des Bildes wurde ich mit weiteren Bildern überflutet. Viele Männer standen mit Kopftuch neben ihren Frauen, die kein Kopftuch an hatten.
Auch verschleierte Frauen könnten bei den Protesten gegen die Zwangsverschleierung helfen. Wie findest Du ihre Rolle? Welche Resonanz haben Deine Kampagnen unter diesen Frauen hervorgerufen?
Als ich in einem Videoclip eine verschleierte Frau sah, die die Frauen ohne Kopftuch als „schamlos“ bezeichnete, wusste ich, dass nicht alle verschleierte Frauen so denken. Also habe ich sie aufgerufen, dies zu zeigen. Daraufhin habe ich viele Videos bekommen. In einem Video beispielsweise sind etwa zehn verschleierte Frauen zu sehen, die auf die Straße gehen und sagen, dass sie freiwillig Schleier tragen, aber an der Seite der Frauen stehen, die dies nicht akzeptieren wollen.
Diejenigen, die eine Kampagne initiieren oder anführen, sagen meistens, dass der Erfolg jeder Kampagne mit ihrer Sichtbarkeit in einer direkten Verbindung steht. Wie findest Du die Aussage?
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