Im Iran wird noch vor dem Spiel gelacht!

Der deutsche Fußballtrainer Michael Henke ist seit dem Sommer Berater des iranischen Fußballerstligisten Esteghlal.  Zuvor arbeitete der 54jährige lange Zeit bei Bayern München, Borussia Dortmund und dem 1. FC Köln. TFI traf den erfolgreichen Trainer zum Interview.
TFI: Herr Henke, Sie leben nun seit mehr als sieben Wochen in Teheran. Wie fühlen Sie sich dort?
Michael Henke: Sehr gut! Für mich war das ein großer Schritt, ein Abenteuer beinahe. Aber ich wurde in diesen ersten Wochen sehr angenehm überrascht.
Was war Ihr Grund, in den Iran zu gehen?
Ich wäre wohl nicht in den Iran gegangen, wenn ich ein Cheftrainer-Angebot in irgendeiner Bundesliga gehabt hätte. Aber ich bin nicht der Typ, der zuhause sitzen und warten kann. Ich will immer arbeiten, etwas zu tun haben. Und seit einem halben Jahr hat jemand sehr intensiv daran gearbeitet, mich nach Teheran zu bringen. Letztlich habe ich Ja gesagt, weil ich seit 30 Jahren im deutschen Profifußball tätig bin, aber noch nie im Ausland gearbeitet habe. Dabei habe ich bei meinen Auslandsreisen mit deutschen Vereinen, gerade auch in arabische Länder, oft gedacht: Mensch, das wäre auch mal etwas für dich, mal etwas anderes kennenzulernen. Und jetzt war der Zeitpunkt, an dem ich dachte, wenn nicht jetzt, dann  mache ich das wahrscheinlich nie mehr.
Was ist Ihre Aufgabe bei Esteghlal?
Man wollte mein Knowhow. Ich habe einen sehr engen Draht zum Präsidenten des Vereins, der mich als eine Art Supervisor und als Berater in allen sportlichen Fragen geholt hat. Parallel dazu bin ich komplett von A-Z für das Training zuständig. Ich plane und führe es mit den Co-Trainern durch. Der eigentliche Cheftrainer ist nur für die Aufstellung und die Einstellung der Mannschaft zuständig. Da tauschen wir uns natürlich aus, aber er kennt die Liga, die Mannschaft besser, er ist bereits seit letztem Jahr dort. Das funktioniert eigentlich ganz gut.
Böse Zungen behaupten, dass Ausländer vor allem als Prestigeobjekte und zur Imageverbesserung in den Iran geholt werden – um zu zeigen: Wir haben hier sogar einen Deutschen. Denn gute Trainer gibt es ja auch im Iran. Wie sehen Sie das?

Micheal Henke (2. v. links): "Mir werden alle Türen aufgemacht, ich kann alles machen. Und nur das interessiert mich."
Micheal Henke (2. v. links): "Mir werden alle Türen aufgemacht, ich kann alles machen. Und nur das interessiert mich."

Es gibt im Iran sehr gute Fußballer, die durchaus hohes Niveau haben. Aber alles drum herum, die taktische Schulung, organisatorische Dinge, ist nicht sehr gut entwickelt. Da gibt es Defizite, die verhindern, dass der iranische Fußball weiter nach oben kommt – oder wieder da anknüpft, wo er 2006 war, als er eine sehr gute Nationalmannschaft hatte. Ich glaube, da ist es logisch, dass man Hilfe aus dem Ausland holt. Und so erlebe ich das auch. Mir werden alle Türen aufgemacht, ich kann alles machen. Und nur das interessiert mich.
Welche Unterschiede stellen Sie beim Training zwischen Esteghlal und Ihren früheren Vereinen Dortmund oder Bayern fest?
Da sind natürlich schon Unterschiede. Die Trainingsbedingungen im Iran sind eigentlich okay, aber nicht zu vergleichen mit denen von Vereinen wie Bayern München, Dortmund oder Köln. Da mangelt es an ein paar Dingen: Das Equipment ist nicht so, wie ich das gewohnt bin aus meiner bisherigen Arbeit. Derzeit bin ich dabei, das zu entwickeln. Zum Beispiel Steckmännchen anzuschaffen oder kleine Tore mit Netzen drin – Dinge, die man jeden Tag beim Training braucht. Außerdem fehlt meiner Mannschaft ein eigener Kraftraum. Und die Spieler sind nicht so pünktlich wie das in Deutschland der Fall ist. Aber auch daran arbeiten wir. Ich habe ihnen erklärt, dass man spätestens eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn in der Kabine sein muss und nicht erst fünf Minuten vorher ankommen kann. Aber auf den ersten Blick sieht das Training hier genauso aus wie in der Bundesliga.
Was ist denn das größte Problem des Fußballs im Iran?
Die Mentalität ist hier sehr von Spaß geprägt. Das merkt man in der Spielvorbereitung. Klar gehört auch der Spaß zum Fußball, aber hier ist es immer laut, im Bus wird gelacht, werden Späßchen gemacht, noch kurz vor dem Spiel in der Kabine wird gelacht. Ich will diese Mentalität ja nicht grundsätzlich ändern, aber wenn ich das mit Bayern München vergleiche, da hört man im Bus auf der Fahrt zum Spiel nichts mehr, weil alle sich konzentrieren. Da haben die Spieler vielleicht ihren Walkman im Ohr und hören Musik. In diese Richtung muss man hier arbeiten, wenn man etwas erreichen, etwas verändern will. Man muss diese Spielfreude, die sehr wichtig ist, in Effektivität umwandeln. Und die Taktik schulen: Hier will immer jeder den Ball haben. Das ist an sich gut, aber oft wird dann erst im letzten Moment geguckt, wohin abgespielt werden kann. Auch das versuche ich zu ändern, ohne dass ich das Dribbling verbieten will. Aber Dribbling zum richtigen Zeit: zum Beispiel im Strafraum, wenn ich einen Gegenspieler habe und dann dribbeln und zum Tor schießen kann. Das ist so ein Grundübel, begründet durch die Mentalität. Aber warum soll man die Mentalität nicht verändern können?
Wie verhalten sich Fußballspieler im Iran gegenüber den Trainern? Was haben Sie da festgestellt?
Wie in Deutschland auch grundsätzlich mit Respekt. Aber es gibt vielleicht einen kleinen Unterschied: Die Spieler im Iran sind relativ mächtig. Sie sind verwöhnt, sie sind Stars, und fühlen sich auch als solche. Mir gegenüber sind sie sehr respektvoll, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass ich aus dem Ausland komme, und auch noch aus Deutschland. Hier wird dem deutschen Fußball insgesamt große Achtung entgegengebracht.  Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass die Spieler sehr mächtig sind.
Was meinen Sie damit?
Hier gibt es einen relativ dünnen Kader. Die Leistungsträger sind nicht problemlos zu ersetzen. Die Maxime, die bei uns in der Bundesliga gilt, jede Position doppelt zu besetzen, die funktioniert im Iran nicht. Dementsprechend weiß ein Spieler: Ich spiele auf jeden Fall! Und je nach Charakter des Spielers kann natürlich sein, dass das als Machtposition ausgenutzt wird, indem Einfluss auf die Trainingsgestaltung, auf die Häufigkeit von Training und so weiter genommen wird. Da muss man ein bisschen aufpassen.
Das heißt, der Konkurrenzkampf unter den Spielern ist nicht so groß wie in Deutschland?
Genau. Ich kenne natürlich nur das Innenleben meines Vereins, Esteghlal. Aber vom Hörensagen und Beobachten habe ich den Eindruck, dass es in anderen Vereinen ähnlich ist.
Wie sind die Unterschiede zwischen Zuschauern im Stadion in Iran und Deutschland?
Die Fans sind wirklich Klasse. Wir hatten einmal 70.000 Zuschauer im großen Azadi-Stadion. Da war eine Superstimmung.
Die Fans sind wirklich Klasse. Wir hatten einmal 70.000 Zuschauer im großen Azadi-Stadion. Da war eine Superstimmung.

Da gibt es keine großen Unterschiede. Die sind in beiden Ländern sehr enthusiastisch. Schade ist, dass die iranischen Stadien noch aus alter Zeit stammen. Sie sind alle 30, 40 Jahre alt und haben eine Leichtathletiklaufbahn um das Spielfeld herum. Die Stadien sind zwar modern eingerichtet, die Räume sind groß und sauber. Und auch die Plätze sind sehr gut, da bin ich angenehm überrascht. Nur ist die Lücke zwischen Rasen und Publikum wegen der Laufbahnen zu groß. Es wäre besser, wenn die Fans direkt am Zaun stehen und für Stimmung sorgen könnten. Die Fans sind wirklich Klasse. Wir hatten einmal 70.000 Zuschauer im großen Azadi-Stadion. Da war eine Superstimmung.
Welchen Stellenwert hat der iranische Fußball in der Gesellschaft?
Einen sehr großen. Wahnsinn: Jeder spricht über Fußball, jeder kennt sich aus. Jeder spricht dich an. Heute war ich in Frankfurt im iranischen Konsulat. Selbst da werde ich erkannt und angesprochen. Das ist eigentlich wie in Deutschland. Der Fußball hat im Iran einen sehr großen Stellenwert.
Und welche Rolle spielen Politik oder Religion im iranischen Fußball?
Ich vermute, keine, denn mir ist noch nichts dergleichen begegnet. Ich habe ganz normale Arbeitsbedingungen wie in Deutschland auch und merke nichts von irgendwelchen Einflussnahmen. Alles ist sehr auf den Fußball, auf die Tradition der Vereine, auf die derzeitige Leistung bezogen. Es wird eigentlich nur über Sport und Fußball diskutiert.
Wenn in letzter Zeit ausländische Berater im Iran waren, waren das hauptsächlich Deutsche. Warum ist das so? Was haben sie, was Trainer aus England, Spanien oder Italien nicht haben?
Im Iran gibt es grundsätzlich eine große Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit, aber das gilt Deutschen gegenüber noch einmal ganz besonders. Das ist sehr auffällig. Das macht das Leben hier auch sehr angenehm, das ist klar. Hinzu kommt sicherlich, dass, obwohl Spanien oder Italien auch große Fußballligen haben, der deutsche Fußball in den letzten Jahren sehr an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Und es wird im Iran einfach geschätzt, wie systematisch in Deutschland in allen Bereichen gearbeitet wird. Da will man sich das Knowhow einkaufen.
Esteghlal wird mit Vereinen wie Barcelona oder Real Madrid verglichen. Der Verein hat viele gute Spieler eingekauft. Trotzdem hat die Mannschaft es bislang in Asien nicht weit gebracht. Wie werden Sie das ändern?
Wir haben sehr gute Chancen, weil wir eine sehr gute Mannschaft haben. Der Präsident hat gute Transferpolitik gemacht. Und wir haben ja noch etwas Zeit, bis die Champions League im Januar startet. Ich versuche, der Mannschaft klarzumachen, dass wir an vielen Stellschrauben arbeiten müssen, wenn wir auf der Asienebene was erreichen wollen. Die taktische Organisation muss viel besser werden, und auch die physische Spielweise muss eine andere werden. Ich hoffe, dass ich genug Zeit habe, da einiges zu verändern. Das ist ganz klar mein Ziel.
Interview: Bamdad Esmaili