Atomdeal in Lausanne – Fact Sheets oder Shit Facts?

Am 2. April beschlossen der Iran und die Gruppe 5+1 nach zwölf Verhandlungsjahren ein vorläufiges Atomabkommen. Zum Inhalt des Abkommens gibt es unterschiedliche Aussagen. Besonders die Frage der Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran ist umstritten. Was ist wahr und was Lüge? Beobachtungen von Mehran Barati.Nicht einmal die Siegermächte des zweiten Weltkrieges benötigten zur politischen und geographischen Aufteilung der Welt so lange und intensive Verhandlungen, zumal hier nur ein einziges Land die Gegenseite der Weltmächte bildete: die Islamische Republik Iran. Das Verhandlungsergebnis kann man nach der Art seiner Verkündigung und dem zu Papier gebrachten Inhalt als Kunststück der Diplomatie bezeichnen – ein Kunststück, das wohl bewusst zu Verwirrung führen sollte. Denn in der genannten Aprilnacht erschienen zugleich vier verschiedene Versionen des gleichen Vorgangs: Zunächst erschien in Teheran, noch bevor Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der Europäischen Union, die gemeinsame Stellungnahme der Verhandlungspartner vorlas, die persische Übersetzung ihres englischen Textes. In derselben Stunde veröffentlichten die iranischen Nachrichtenagenturen einen Text, der nicht mit dem vor der Presse verlesenen Text übereinstimmte und weitergehende Informationen über die Anzahl der zu betreibenden Zentrifugen in Nataz und Fordo, über den erlaubten Grad der Urananreicherung und den Fortgang der Embargos über eine längere Periode enthielt. Diese unautorisiert von Lausanne nach Teheran gemailten Informationen stammten anscheinend von Außenminister Zarif begleitenden Übersetzern, die ihm nicht wohlgesonnen sind und die Opposition unterstützen. Im Text der gemeinsamen Erklärung waren diese Informationen nicht enthalten.
Noch in der Nacht vom 2. zum 3. April erschien in Brüssel dann beim „European External Action Sevice“ und in Teheran auf der Webseite des iranischen Außenministeriums der Originaltext “Joint Statement by EU High Representative Federica Mogherini and Iranian Foreign Minister Javad Zarif”. Die Erklärung enthielt nur allgemeine Informationen über die erzielten Ergebnisse, keine expliziten Zahlen, Fakten und Daten.
Am selben Abend erschien auf der Webseite des US-Department of State die „Media Note – Office of the Spokesperson“ unter der Überschrift “Parameters for a Joint Comprehensive Plan of Action Regarding the Islamic Republic of Iran’s Nuclear Program”. Ein Text, der bereits alle Elemente der noch in den Folgemonaten April bis Juni auszuhandelnden Einzelheiten der endgültigen Übereinkunft mit Zahlen, Daten und Fakten vorwegnahm. Diesen Text hatte US-Außenminister John Kerry als “Press Availability” noch am Verkündigungsort, der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne, am späten Abend des 2. April zusammen mit Fragen der Journalisten und seinen Antworten veröffentlicht. Der Text, der weitergehende Informationen enthielt, erschien ebenfalls auf der Webseite seines Ministeriums.

Erleichterung und Freude nach dem Atom-Deal auf den Straßen Teherans
Erleichterung und Freude nach dem Atom-Deal auf den Straßen Teherans

Nun war die Empörung groß. Der iranische Außenminister Zarif erklärte in Teheran, alles, was nicht in der gemeinsamen Stellungnahme stehe, sei ungültig. Die Außenbeauftrage der EU habe bereits ein Protestschreiben an John Kerry mit Kopie an ihn gemailt, so Zarif weiter. Anders als der iranische betonte der amerikanische Außenminister jedoch vor der Presse seines Landes, was er geschrieben habe, sei der Inhalt dessen, was man mit den Iranern ausgehandelt habe. Danach hielten Sprecher der islamischen Hardliner im iranischen Parlament der Regierung vor, alle von Revolutionsführer Ayatollah Khamanei festgelegten roten Linien seien in Lausanne überschritten worden. Dieser habe vorgegeben:
– die Anzahl der zu betreibenden Zentrifugen solle den Bedarf iranischer Atomkraftwerke decken,
– die Verhandlungen sollten in einer Runde abgeschlossen und nicht ausgedehnt werden,
– alle Embargos sollten mit dem Abschluss der Verhandlungen fallen.
Die Ausrede des iranischen Außenministers bezüglich der sich widersprechenden Informationen über das Verhandlungsergebnis lautete nun: Die Amerikaner hätten ihre “Fact Sheets” veröffentlicht, also die zusammenfassenden Notizen ihres Berichterstatters. Das iranische Außenministerium werde bald den eigenen “Fact Sheet” veröffentlichen. Es gelte aber nur der Text der gemeinsamen Erklärung.
Wurden zwei Versionen vereinbart?
In der gemeinsamen Erklärung der Gruppe 5+1 (die ständigen Mitglieder der Sicherheitsrates und Deutschland) wurden nur die Generalthemen der vereinbarten Maßnahmen beider Seiten kurz beschrieben:
– Die Kapazität, der Anreicherungsgrad und die angehäufte Uranmenge der iranischen Atomanlagen wird für eine bestimmte Periode eingeschränkt.
– Urananreicherung wird nur in der Atomanlage Natanz betrieben.
– Forschung und Entwicklung an und von Zentrifugen folgen bestimmten Auflagen.
– Die Anlage in Fordo wird ausschließlich für die physikalische Forschung und Technologie benutzt, die Urananreicherung wird dort eingestellt.
– Der Schwerwasserreaktor in Arak wird neu konzipiert. Eine Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente wird es nicht geben, ausgediente Brennelemente werden exportiert.
– Der Iran ermöglicht der Internationalen Atomagentur der UN weitergehende Kontrollen.
– Die EU hebt alle mit der Atomfrage in Verbindung stehenden wirtschaftlichen und finanziellen Embargos auf, die Vereinigten Staaten setzen die gleichen Embargos mit der Erfüllung iranischer Verpflichtungen zeitgleich aus.
– Der UN-Sicherheitsrat wird durch eine neue Resolution die vorausgegangenen Resolutionen bezüglich der ausgesprochenen Sanktionen außer Kraft setzen, für eine noch auszuhandelnde Zeit könnten bestimmte Einschränkungen aufrecht erhalten werden.
Aus amerikanischer Sicht
Atomverhandlungen in Wien (Juli 2014): Die Gespräche wurden ernsthafter geführt!
Atomverhandlungen in Wien (Juli 2014): Die Gespräche wurden ab diesem Zeitpunkt ernsthafter geführt!

In den von den Amerikanern veröffentlichen “Parameters for a Joint Comprehensive Plan of Action Regarding the Islamic Republic of Iran’s Nuclear Program” wurden wichtige Einzelheiten der erst in den Folgemonaten zu erarbeitenden Übereinkunft vorweg genommen. Diese auch in den iranischen Medien aufgezählten Einzelheiten lauten:
– Mehr als zwei Drittel der Zentrifugen des Iran zur Urananreicherung werden abgebaut. Der Iran verpflichtet sich für zehn Jahre, seinen Bestand an aktiven Zentrifugen von 19.000 auf 6.000 und später auf 5.060 zurückzufahren.
– Die etwa 1.000 Zentrifugen der fortgeschritteneren Generation 2-8 werden unter Aufsicht der IAEA für 10 Jahre eingemottet.
– In der unterirdischen Anlage in Fordo wird keine Uran-Anreicherung mehr betrieben. Die Anlage wird nur noch für die physikalisch technologische Forschung und Entwicklung genutzt. 200 Kilogramm zu 20 Prozent angereichertes Uran wurden bereits neutralisiert.
– Für eine Dauer von zehn Jahren wird die Anreicherung von Uran und die Forschung daran so eingeschränkt sein, dass der Iran ein Jahr bräuchte, um eine Atombombe zu bauen.
– 95 Prozent des bereits angereicherten Urans sollen entweder verdünnt oder außer Landes gebracht werden. Die im Lande verbleibende Uranmenge ist auf 300 Kilogramm einzuschränken.
– Der Iran erklärt sich bereit, mindestens 15 Jahre lang kein Uran über 3,67 Prozent anzureichern.
– Die Internationale Gemeinschaft unterstützt den Iran beim Bau eines modernen Schwerwasserreaktors in Arak, der kein waffenfähiges Plutonium produzieren kann.
– Auch nach Ablauf einer Zehn-Jahres-Frist sollen Forschung und Entwicklung im iranischen Nuklearprogramm nur in engen Grenzen erlaubt sein.
– Insgesamt soll das iranische Atomprogramm für einen Zeitraum von 25 Jahren strikt überwacht werden. Die Kontrolleure der IAEA sollen umfassenden Zutritt zu den Nuklearanlagen und vorgelagerten Produktionskapazitäten bekommen.
– Sobald der Iran die Auflagen des Abkommens erfüllt hat, heben die UN und die Europäische Union alle Sanktionen, die wegen des Atomprogramms gegen den Iran verhängt wurden, auf. Die Sanktionen der USA werden nach Prüfungen der IAEA ausgesetzt und nicht aufgehoben.
– Sollten die Kontrollen ergeben, dass der Iran gegen das Abkommen verstößt, können die Sanktionen jederzeit wieder in Kraft treten.
– Sanktionen, die aus anderen Gründen verhängt wurden, bleiben bestehen. Ein umfassendes Abkommen soll bis zum 30. Juni geschlossen werden.
Fortsetzung auf der Seite 2