Die „Aprilfrau“ wieder in Haft

Die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohamadi sitzt seit Anfang Mai wieder in Haft. Die Frauenrechtlerin Mansoureh Shojaie schreibt über ihre kämpferische Freundin, die nach Angaben ihrer Familie in der Einzelhaft von Lähmung bedroht ist.
Sie hätten einen Haftbefehl vorgezeigt, berichten Augenzeugen. Zehn Beamte eines der zahlreichen iranischen Sicherheitsorgane sollen es gewesen sein. Zehn bewaffnete Männer und Frauen, um Narges Mohamadi*, die gesundheitlich angeschlagene Mutter von zwei fünfjährigen Kindern, zu verhaften.
Ich denke zurück. Als wäre sie immer dabei gewesen, als kannte ich sie schon immer. Doch eigentlich kam sie nach und nach zum Vorschein. Erst setzte sie ihren Namen unter die kritischen offenen Briefe an PolitikerInnen. Dann folgten Kundgebungen, politische Forderungen und wieder offene Briefe mit ihrer Unterschrift. Als Menschenrechtsaktivistin und Frauenrechtlerin wurde sie immer präsenter in der zivilen Gesellschaft des Iran. Und dann ihre präzisen Analysen sozialer Ereignisse!
Ihr Ehemann Taghi Rahmani war längst bevor sie heirateten als Oppositioneller und Menschenrechtsaktivist bekannt. Dafür hat er 15 Jahre im Gefängnis verbracht. Nach ihrer Eheschließung setzen sich Mohamadi und Rahmani gemeinsam gegen die Missachtung der Menschenrechte im Iran ein. So etwas geht auf Kosten des Familienlebens. Narges wurde mehrfach verhaftet. Etwa im April 2012 wegen „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ und „Aktivitäten gegen den Staat“. Zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde sie bald wegen akuter Krankheit auf Kaution freigelassen: Ein Teil ihres Körpers war gelähmt.

Das Treffen von Catherine Ashton (li.) mit der Menschenrechtlerin Narges Mohammadi (re.) und Gohar Eschghi (2. v. re.) in Teheran hatte hohe Wellen geschlagen
Das Treffen von Catherine Ashton (li.) mit der Menschenrechtlerin Narges Mohammadi (re.) und Gohar Eschghi (2. v. re.) in Teheran hatte hohe Wellen geschlagen

„Vier Stunden nach der Freilassung brachten wir sie in eine Nervenklinik“, berichtete Taghi Rahmani. Sie hatte eine Art Epilepsie, die zur Lähmung der Muskulatur führte. „Die Ursachen der Krankheit konnten die Ärzte nicht herausfinden. Sie vermuteten aber, sie sei durch die Nervenbelastung und den Aufenthalt in engen Räumen hervorgerufen worden“, sagte Rahmani damals. „Vor ihrer Haft war sie doch kerngesund.“
Durch Langzeitbehandlung erlangte sie ihre Gesundheit weitgehend zurück. Mit ihren Zwillingen lebte sie in Teheran. Bis zu diesem 5. Mai. Sie wurde verhaftet, um den Rest der sechs Jahre abzusetzen, sagt die Gefängnisbehörde.
Nicht fliehen wollen
Als ihr Mann Ende 2012 wieder wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet werden sollte, floh er ins Ausland. Seitdem lebt er im Pariser Exil. Auf die Frage, warum Narges nicht mitgekommen war, antwortete er: „Sie wollte nicht: mit der Begründung, eine tiefe Verbundenheit zum Iran zu fühlen. Sie hat beschlossen, im Iran zu bleiben und Widerstand zu leisten. Von ihr habe ich viel gelernt.“
Während ihres gemeinsamen Lebens habe seine Frau nie große Erwartungen an ihn gestellt, sagt Taghi Rahmani: „Sie stellte keine Bedingungen für unser Zusammenleben, auch nicht, was meine Aktivitäten betraf. Ich tat das Gleiche ihr gegenüber. Wir meisterten unsere Meinungsverschiedenheiten kurz mit einem Gespräch.“
„Sie war voller Lebenskraft, die ihr immer noch eigen ist“, erinnert sich Taghi Rahmani an die erste Begegnung mit Narges: „Es war an der Universität von Ghazwin. Sie studierte dort Physik, während ich in der Unibibliothek ein freies Geschichtsseminar leitete. Als ich mit ihrer Mutter über unsere Heiratspläne sprach, stellte die sich vehement dagegen; denn ich war politisch aktiv und sie hatte Angst um das Leben ihrer Tochter. Ich wusste, dass einige ihrer politisch aktiven Verwandten verhaftet und hingerichtet worden waren. Es war 1999 und im Iran regierten die Reformer. Ich beteuerte, es werde im Iran gewiss keine politischen Verhaftungen und Hinrichtungen mehr geben. Leider kam es anders, als ich glaubte: Ich wurde schon während der Regierungszeit der Reformer verhaftet.“
Narges Mohammadi und ihre beiden Kinder
Narges Mohammadi und ihre beiden Kinder

Es geschah, was die Mutter der „Aprilfrau“ geahnt hatte. Die Aprilfrau – diesen Namen gab ihr ihr Ehemann: „Nicht nur weil sie im April geboren ist. Sie ist rebellisch, wie das Aprilwetter im Iran. Und sie wurde einige Male im April verhaftet.“
Besonders schwer soll Narges 2012 gelitten haben, als sie in den Trakt der Drogendealerinnen im Gefängnis von Zanjan verlegt wurde. „Sogar regierungsnahe Ärzte bestätigten, dass sich ihr Gesundheitszustand durch unerträgliche Haftbedingungen verschlechterte“, sagt Taghi Rahmani. Er kennt „aus eigener Erfahrung die psychische Belastung, der ein politischer Gefangener ausgesetzt ist: Verzweiflung, Enttäuschung und Jähzorn, die man nur mit Liebe überwinden kann.“ Er weiß aber auch von „Widerstandsgeist, Lebenskraft und Organisationstalent“ seiner Frau. Es tröstet ihn die Überzeugung, „sie werde alles überstehen, ohne sich aufzugeben – und dass sie sich selbst und die Lage unter Kontrolle hat.“
Und die Zwillinge?
„Sie mussten immer wieder die Trennung von der Mutter hinnehmen. Sie wurden entweder bei meiner Mutter und Schwester oder bei der Schwester und Tante von Narges untergebracht“, so Rahmani. So sind viele Kinder, deren Eltern in den vergangenen Jahrzehnten für Freiheit und Menschenrechte im Iran gekämpft haben, aufgewachsen. „Vielleicht werden sie eines Tages uns, Narges und mich, fragen, was wir uns denn bei ihrer Zeugung vorgestellt hatten?“, fragt Rahmani sich.
Seine Antwort? „Dass wir uns dieses leidvolle Leben nicht gewünscht haben, sondern einfach unsere Menschenwürde und freie Meinung verteidigen wollten. Vielleicht werden sie auch so denken wie wir. Dann werden sie Verständnis haben für unsere Denkweise und sie fortsetzen“, hofft er.
  MANSOUREH SHOJAEE
Übersetzt und überarbeitet von Omid Shadiwar
* Narges Mohamadi, geboren 1972, ist Vizepräsidentin des „Vereins zur Verteidigung der Menschenrechte“ im Iran. 2009 erhielt sie für ihren Einsatz für Menschenrechte im Iran den internationalen Alexander-Langer-Preis. 2012 wurde sie zu elf Jahren Haft verurteilt. In der Revision bekam sie sechs Jahre Haftstrafe auf Bewährung. Am 8. März 2014 traf sie Catherine Ashton, die damalige EU-Außenbeauftragte, in der österreichischen Botschaft in Teheran, woraufhin sie erneut in Haft kam. Im Januar 2015, als Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, den Iran besuchte, suchte Narges Mohamadi sie im Hotel auf – und wurde erneut verhaftet.
** Taghi Rahmani, geboren 1959, ist Journalist und Unterstützer der Reformbewegung im Iran. Er erhielt 2006 den Hellman-Hammet-Preis von Human Rights Watch.