„Der Tag, an dem wir unsere Rechte bekommen, ist nah“

Die Anwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi übt deutliche Kritik am Umgang der iranischen Regierung mit den Menschenrechten der Bevölkerung des Iran. Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember äußert sie aber auch die Hoffnung auf positive Veränderungen durch die Maßnahmen der Weltgesellschaft.

TfI: Frau Ebadi, Sie haben den Iran nach den Präsidentschaftswahlen von 2009 verlassen. Wie schätzen Sie die Menschenrechtslage heute ein?


Shirin Ebadi: Die Lage verschlechtert sich von Tag zu Tag. Nicht umsonst hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (HRC) einen Sonderberichterstatter für den Iran eingesetzt. Der Iran hat diesem Berichterstatter, Ahmed Shaheed, zwar bislang noch keine Einreiseerlaubnis erteilt. Aber Shaheed hat in Zusammenarbeit mit Exil-Iranern zwei Berichte veröffentlicht, die Besorgnis über Menschenrechtsverletzungen im Iran äußern. Ich würde die Menschenrechtslage im Iran als katastrophal beschreiben.
Was sind die wichtigsten Menschenrechtsverletzungen und welche Gruppe ist am stärksten betroffen? Studenten, Frauen, religiöse Minderheiten?
Die Regierung vernachlässigt die Rechte aller Gesellschaftsschichten. Die iranische Regierung beachtet nicht einmal ihre eigenen Gesetze. Die Mehrheit der der Festnahmen nach den Präsidentschaftswahlen von 2009 ist gesetzeswidrig. Dabei hat das Regime das Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt. Kürzlich wurde die britische Botschaft gestürmt, obwohl die iranische Regierung dem Wiener Übereinkommen beigetreten ist.
Zurzeit sitzen einige Ihrer Kollegen wie Nasrin Sotoudeh, Mohammad Seyfzadeh und Abdolfatah Soltani im Gefängnis. Wie interpretieren Sie diese Verhaftungen und den Druck auf die Anwälte?

Nasrin Sotoodeh in Handschellen bei der Gerichtsverhandlung - Foto: www.kaleme.com
Nasrin Sotoodeh in Handschellen bei der Gerichtsverhandlung - Foto: www.kaleme.com

Es gibt weitere Anwälte, die im Gefängnis sind. Javid Houtan Kian, der Anwalt der zur Steinigung verurteilten Sakineh Ashtiani, wurde zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Er sitzt schwer krank im Gefängnis von Täbriz. Ähnlich geht es Ghasem Shole Saadi, Anwalt und ehemaliger Abgeordneter. Seit Juni 2009 wurden etwa 47 Anwälte vorgeladen. Manche wurden verurteilt, andere haben kein endgültiges Urteil bekommen, wie Mohammad Ali  Dadkhah (Anwalt des zum Christentum konvertierten Yousef Nadarkhani – Anm. d. Red.), der in erster Instanz zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde, aber derzeit auf Kaution frei ist. Einige wurden wie Shadi Sadr oder Mohmmad Mostafaee durch Verfolgung und Druck durch die Sicherheitskräfte gezwungen, das Land zu verlassen. Die freie Meinungsäußerung für Anwälte wurde stark eingeschränkt. Während der Gerichtsverfahren etwa hatten die Anwälte keine Freiheit, ihre Mandanten zu verteidigen, da sie alle politische Angeklagte waren.
Haben die internationalen Anerkennungen und Auszeichnungen für die Anwälte dazu geführt, dass mehr Druck auf sie ausgeübt wird?

Nein! Internationale Auszeichnungen sind nicht der Grund für ihre Verhaftungen. Sie waren vorher schon verfolgt und in ihrer Freiheit eingeschränkt. Ich nenne als Beispiel Abdolfatah Soltani, der wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte bereits drei Gefängnisaufenthalte über sich ergehen lassen musste. Allerdings muss ich erwähnen: Nachdem er den Nürnberger Menschenrechtspreises erhalten hatte, kam ein neuer Anklagepunkt auf ihn zu – illegaler Gelderwerb.
Mohammad Javad Laridschani, Sekretär des iranischen Menschenrechtsrats, hat zum Fall Soltani kürzlich gesagt, Grund für seine Verhaftung seien „Aktivitäten, die mit Terrorismus zu tun haben“.
Abdolfatah Soltani, erhielt 2009 den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis. Foto:www.hra-news.org
Abdolfatah Soltani, erhielt 2009 den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis. Foto:www.hra-news.org.

Mohammad Javad Larijani arbeitet in einer Abteilung, die der Justiz angegliedert ist. Sein Bruder ist Chef der iranischen Justiz, aber das ist kein Grund, willkürlich jemanden zu beschuldigen. Seine Vorwürfe sind das beste Beispiele für Verleumdung und deshalb hat Herr Soltani ihn auch verklagt. Soltani wird vorgeworfen, dass er ein Mitglied der verbotenen Organisation Volksmujahedin vor Gericht verteidigt hat.

Ist die Reaktion der Weltöffentlichkeit auf die Menschenrechtslage im Iran angemessen?
Ja! Bisher wurde die internationale Aufmerksamkeit auf die Kernenergie gelenkt. Die Frage der Menschenrechte geriet in Vergessenheit. Jetzt behandelt man diese Frage parallel zur Frage der Kernenergie. Vielversprechend sind auch die Sanktionen gegen diejenigen, die das Volk unterdrückt haben. Das iranische Volk begrüßt solche zielgerichteten Sanktionen, weil sie nicht das Volk treffen.
Haben Sie auch etwas für die unter Hausarrest stehenden Widersacher der Regierung Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karroubi unternommen?
Im Fall von Mussavi und Karroubi habe ich mehrere Briefe an Navi Pillay, die Hochkommissarin der Vereinten Nationen (UNO), und den Menschenrechtsrat der UNO geschrieben. Außerdem habe ich mit dem Sonderberichterstatter der UNO, Shaheed, korrespondiert und habe ihn sogar für ein persönliches Gespräch besucht. Der Hausarrest dieser Leute ist gesetzeswidrig.
Was ist Ihre Botschaft an die iranische Zivilgesellschaft zum internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember?

Die iranische Zivilgesellschaft soll wissen, dass die Welt die Stimme des Volkes gehört hat. Beweis dafür sind die gezielten Sanktionen gegen die Verantwortlichen der Ermordungen und der Unterdrückung und die Einsetzung des UN-Sonderberichterstatters. Seid hoffnungsvoll, denn der Tag, an dem wir unsere Rechte bekommen, ist nah.
Und welche Botschaft haben Sie an die Weltgemeinschaft?
Dass sie den Menschenrechten mehr Aufmerksamkeit schenken soll als der Kernenergie. Undemokratische Regierungen sind für den Frieden gefährlicher als hochentwickelte Waffen.
Interview: Mahindokht Mesbah