Der Enkel und der Königsmacher – Debatte um Khameneis Nachfolge

Ende Februar stehen im Iran zwei Wahlen an: die des Parlaments und die des sogenannten Expertenrats. Dieser Rat wird für acht Jahre gewählt und hat nur eine Aufgabe: den künftigen Revolutionsführer auszusuchen. Das wird er in der kommenden Amtsperiode höchstwahrscheinlich müssen. Denn der 76-jährige Khamenei ist offenbar schwer krank.
Am Anfang war es nur ein einziger Satz: „Sollte etwas geschehen, ist alles vorbereitet: Es gibt auch eine Liste.“ Dieser Satz ist seit einer Woche in der Welt und wird seitdem auf fast allen iranischen Webseiten täglich wiederholt und kommentiert. Hunderte Artikel wurden bereits über diese wenigen Wörter und ihren Autor verfasst. Und alle stellen dieselbe Frage: Warum dieser Satz, warum gerade jetzt, und wer steht auf der Liste?
Außenstehende mögen sich über den Wirbel um diesen einen Satz wundern. Doch die Aufregung ist mehr als verständlich. Denn es geht um nicht weniger als um den Nachfolger des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei, also des mächtigsten Mannes im Iran. Der Wirbel ist auch aus anderen Gründen nachvollziehbar: Urheber und Zeitpunkt der Aussage sowie der Gesundheitszustand des Revolutionsführers öffnen viel Raum für Spekulationen.
Entmachtet, aber weiterhin einflussreich

Ayatollah Hashemi Rafsanjani (r.) und Seyyed Hassan Khomeini (l.) im Bild
Ayatollah Hashemi Rafsanjani (r.) und Seyyed Hassan Khomeini (l.) im Bild

Der Satz stammt nämlich von Ayatollah Haschemi Rafsandjani, der grauen Eminenz – manche sagen gar: des Königsmachers – der islamischen Republik. Denn es war nachweislich Rafsandjani, der vor 26 Jahren den eigentlich chancenlosen Khamenei gegen mächtige Rivalen und viele Widerstände durchsetzte. Es war ein historisches Meisterstück, über dessen Urheber viele damals witzelten, es sei ihm „egal, wer unter mir der Führer ist“.
Doch die Zeiten haben sich geändert, die Machtverhältnisse im Iran sind umgekrempelt. Khamenei ist inzwischen weit aus dem Schatten seines einstigen Gönners herausgetreten. Er ist heute wahrlich der erste Mann im Staat. Doch über seinen Nachfolger hat Rafsandjani immer noch, wenn auch nicht mehr wie früher das entscheidende, so doch ein wichtiges Wort mitzureden. Das gehört zu den Besonderheiten und Merkwürdigkeiten der Islamischen Republik. Wieso kann ein weitgehend entmachteter 83-jähriger Greis, dessen Kinder stets mit einem Bein im Gefängnis stehen oder in Schauprozessen zu langen Haftstrafen verurteilt werden, in einer derart schicksalhaften Frage eine so wichtige Rolle spielen?
Die eine hat die irdische Macht, der andere ist gut vernetzt
Will man die Kompliziertheit und Einzigartigkeit des iranischen Machtapparates einigermaßen verstehen, bietet sich die Person Rafsandjani als ideales Studienobjekt an. Während Khameneis Macht rein irdischer Natur ist, entzieht sich Rafsandjanis Einfluss dem ersten Blick.
Der Revolutionsführer befehligt Revolutionsgarden und paramilitärische Verbänden, kontrolliert die zahlreichen Geheimdienste, bestimmt den Chef der Justiz und des staatlichen Propagandaapparates. Sein Haus, von dem aus alle diese Institutionen geführt werden, beherbergt praktisch eine Gegenregierung, die viel einflussreicher ist als die von Präsident Hassan Rouhani. Kommen wichtige ausländische Besucher nach Teheran wie neulich der russische Präsident, gehen sie zuerst zum Revolutionsführer, dann zu Vertretern der offiziellen Regierung.
Rafsandjanis Autorität dagegen ist modern und traditionell zugleich. Er ist bestens vernetzt und genießt unter einflussreichen Geistlichen hohes Ansehen. Diese Kombination versteht er meisterhaft taktisch einzusetzen. Das beste Beispiel ist der Zeitpunkt, an dem er seinen spektakulären Satz in die Welt setzte: genau an dem Tag, an dem die Registrierung der Kandidaten für die Wahl des Expertenrats begann.
Seyyed Hassan Khomeini bei der Registrierung als Kandidat für die Expertenratswahlen im Februar 2016
Seyyed Hassan Khomeini bei der Registrierung als Kandidat für die Expertenratswahlen im Februar 2016

Der allwissende Enkel
Dieser Rat wird für acht Jahre gewählt und hat nur die Aufgabe, am Tag X einen neuen Revolutionsführer zu wählen. So gesehen ist er das höchste Verfassungsorgan der Islamischen Republik. Rafsandjani will nicht nur selbst für diesen Rat kandidieren. Der gewiefte Taktiker hat auch die Kandidatur von Hassan Khomeini vorangetrieben. Der Enkel des Republikgründers Ayatollah Ruhollah Khamenei ist erst 43 Jahre alt, doch Rafasandjani bezeichnet ihn bereits als „Quelle der Nachahmung“ und „Allwissenden“. Ein einmaliger Vorgang: denn nur in sehr hohem Alter und auf der höchsten Stufe der Gelehrsamkeit wird ein schiitischer Geistlicher so tituliert.
Khomeinis Enkel lehrt in der heiligen Stadt Qom. Er hat gute Beziehung zu den alten Ayatollahs und gilt zugleich als modern und reformorientiert. Es gibt nicht wenige, die meinen, er habe das Zeug, dem 76 Jahre alten und offenbar an Krebs erkrankten Khamenei zu folgen. Als er am vergangenen Freitag, begleitet von seinen beiden Brüdern und einem Pulk von Journalisten, das iranische Innenministerium betrat, um seine Kandidatur zu registrieren, waren alle gespannt, was er vorhat, wo er steht.
Doch Khomeini gab sich diplomatisch und sagte nur wenige Sätze: Er trete als Unabhängiger an und wolle für die Einheit sorgen, die das Land momentan so nötig habe. Mehr war von ihm nicht zu erfahren, deshalb hielten sich auch die Angriffe der Radikalen auf ihn am nächsten Tag in Grenzen.
Wer letztlich zu den 86 Mitgliedern des Expertenrates gehören wird, hängt davon ab, ob seine Eignung vorher vom so genannten Wächterrat bestätigt wird. In diesem Gremium sitzen ausschließlich Radikale, doch sie werden sich kaum trauen, die Eignung des Enkels des Republikgründers zu bezweifeln. Doch dabei, welcher Kleriker wirklich künftig an der Spitze der iranischen Macht stehen wird, haben nicht zuletzt auch die omnipotenten Revolutionsgarden ein wichtiges, wenn nicht sogar das letzte Wort mitzureden.
ALI SADRZADEH