Der Schriftfälscher von Isfahan

In seinem neuen Roman nimmt uns Amir Hassan Cheheltan mit auf eine abenteuerliche Reise in das Isfahan des 18. Jahrhunderts, das von afghanischen Feinden belagert wird. Inmitten von Elend und Hunger dient die Kunst der Kalligraphie dem Romanhelden nicht nur zur Beschaffung dringend benötigter Nahrungsmittel. Sie steht auch symbolhaft für die Freiheit des Geistes.

Niemals wird Allahyar, der Enkel des Kalligraphen von Isfahan, die Schönschrift so vollkommen beherrschen wie sein Großvater. Der Großvater, dessen Ruhm über ganz Persien verbreitet ist, gilt gewissermaßen als schreibender Derwisch, als poetischer Sufi unter den Kalligraphen.
Wenn er die Gedichte Rumis in Schönschrift kopiert – einen der größten Dichter persischer Sprache aus dem 13. Jahrhundert –, treibt er in Wahrheit „ein Liebesspiel mit Buchstaben und Worten“. Seine Schrift ist „die Braut unter den Schönschriften“. Allahyar, der seinem Lehrmeister über die Schulter zusieht und viel von ihm lernt, bringt es zwar später nicht zur gleichen Meisterschaft, doch er setzt den Kampf des Großvaters gegen die kunst- und sinnenfeindliche Geistlichkeit nach dessen Tod beherzt fort.

Schriftfälscher aus Not

In Isfahan, der ehemals prächtigen Hauptstadt der Safawiden, ist das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen, das Leid der Bevölkerung ist unermesslich. Schwach und hilflos sehen die Herrschenden der Belagerung durch die sunnitischen Afghanen zu. Allahyar wird zum Schriftfälscher aus Not, um sich und seiner schutzlosen Geliebten das Überleben zu sichern. Listig imitiert er die Meisterwerke seines Großvaters und tauscht sie ein gegen begehrte Naturalien wie Mehl und Datteln, die während der großen Hungersnot schier unbezahlbar sind.
Doch ein anderer Plan führt ihn direkt bis in den Palast des obersten Geistlichen, dem er ein kalligraphisches Meisterwerk eines anderen, streng gläubigen persischen Dichters verspricht. Eigentlich aber hat er die Absicht den Geistlichen zu töten. Die Szene, in der Allahyar dem „Obermolla“ gegenübertritt – dem Todfeind seines Großvaters – gehört zu den spannendsten Kapiteln des Romans.

Amir Hassan Cheheltan
Amir Hassan Cheheltan

Die Handlung des Romans reicht jedoch über das Thema der Kalligraphie hinaus, indem Cheheltan auch europäische Geschichte ins Geschehen mit hinein verwebt. So ist Allahyar schon äußerlich von den Menschen seiner Umgebung unterschieden, er ist „ein Bastard mit blauen Augen und goldblondem Haar“ inmitten dunkelhaariger, braunäugiger Menschen, wofür er selbst bis zu seinem 18. Geburtstag keine Erklärung hat. Warum er nicht in seinem Elternhaus, sondern bei den Großeltern aufwuchs, weiß er bis kurz vor dem Tod des Großvaters ebenso wenig, wie er etwas von der Identität seiner Mutter ahnt.

Der verbotene Teppich der Begierde

Das Verschweigen hat seinen Grund: Ein Künstler hat das Porträt von Allahyars Mutter in einem geheimnisvollen Teppich verewigt, über dessen Existenz zwar viele Gerüchte kursieren, von dessen Verbleib aber niemand Genaueres zu wissen scheint. Das verführerische Bild der „Fränkin“ gilt als anrüchig – war sie doch eine Mätresse des „Sonnenkönigs“ Ludwigs des XIV., die zusammen mit einer Gesandtschaft des Hofes nach Persien kam. Auf dieser Reise traf sie auf Allahyars zukünftigen Vater, mit dem sie eine kurze, folgenreiche Liebschaft hatte.
Diese so märchenhaft klingende Genealogie des Helden wird im Vorwort des Romans sogar noch bekräftigt. Für die rätselhafte „Fränkin“ hat es in der tatsächlichen Geschichte ein reales Vorbild gegeben: Marie Petit, eine Kurtisane des Königs, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit einer französischen Delegation an den persischen Hof entsandt worden war. In diesem Vorwort berichtet uns der Autor auch über einen geheimnisvollen Manuskriptfund, zu dem er anlässlich einer Trauerfeier im Familienkreis gekommen sei. Er habe auf diesem Weg erst erfahren, dass es in seinem eigenen Stammbaum eine Französin gegeben habe. Das Manuskript wiederum, das er bei den Unterlagen seines Vaters gefunden habe, sei eben jener Roman über den Kalligraphen von Isfahan.

Zwischen Realität und Fiktion

Mit dieser Rahmensetzung bedient sich Cheheltan eines Tricks, der aus vielen Beispielen der Literaturgeschichte bekannt ist. Ein Spiel mit Realität und Fiktion, das es ihm ermöglicht, Orient und Okzident meisterhaft in Verbindung zu setzen, was seinem episodenreichen, komplexen Roman einen breiteren thematischen Horizont verleiht.

Der „Meydan Naghsh-Jahan“ (Naghsh-Jahan-Platz ) in Isfahan, auch Imam-Platz und Schah-Platz genannt, gehört zu den schönsten Plätzen des Iran. Er wurde zwischen 1598 und 1629 gebaut. Er ist fünf Mal größer als Piazza San Marco in Venedig.
„Meydan Naghsh-Jahan“ (Naghsh-Jahan-Platz ) in Isfahan, auch Imam-Platz und Schah-Platz genannt, gehört zu den schönsten Plätzen des Iran.

Für Allahyar bedeutet seine „unordentliche“ Herkunft aus dem Kurtisanen- und Spielermilieu (die „Fränkin“ betrieb angeblich ein Spielcasino in Paris), dass er seine Wurzeln auch außerhalb des „Mollareichs“ finden muss. Die freiheitlichen Bestrebungen seines Großvaters werden für ihn zur Überlebensquelle, umso mehr als er den verbotenen Teppich der Fränkin in dessen eigenem Schrank findet.
Während Hunger und Verderben in der Stadt so mächtig sind, dass die Bewohner anfangen die Blätter von den Bäumen zur reißen, um sie zu essen, ja dass sie selbst kleine Kinder entführen, um sie zu verspeisen (Cheheltan spart nicht mit grausigen Details), wandelt Allahyar durch dieses Chaos wie durch einen Albtraum. Doch seine Außenseiterrolle als Erbe des Kalligraphen verleiht ihm immer wieder neue Kräfte, so dass er weiter bis zum Ende der Belagerung um jeden überlebensnotwendigen Sack Mehl feilschen kann, um daraus heimlich Brot zu backen.

Odyssee eines verzweifelten Einzelkämpfers

Der Roman ist eine grandios komponierte und sinnlich erzählte Odyssee eines verzweifelten Einzelkämpfers, der jedoch nie den Mut verliert und der auch immer wieder auf Mitmenschen trifft, die noch die Kraft und Bereitschaft haben ihm in der Not beizustehen.
Kurt Scharf, von dem die hervorragende Übersetzung stammt, liefert in einem instruktiven Nachwort (dem sich ein ausführliches Glossar anschließt) historische Hintergründe, vor allem was die damalige Feindschaft zwischen den schiitischen und sunnitischen Glaubensrichtungen betrifft.
Cheheltan selbst erklärte kürzlich bei einer Lesung aus dem Roman in Berlin, dass er wenig Hoffnung für eine baldige Veröffentlichung im Iran habe, da darin die Macht der Religion allzu kritisch dargestellt werde. Es bleibt nur die Hoffnung, dass bei den derzeitigen Fortschritten im Verhältnis zwischen Iran und dem Westen in absehbarer Zeit auch ein so kunstvoller und lesenswerter historischer Roman im Original publiziert werden kann.♦

   VOLKER KAMINSKI

© Qantara.de 2016*

Amir Hassan Cheheltan: „Der Kalligraph von Isfahan“, Aus dem Persischen von Kurt Scharf, C.H. Beck Verlag, München 2015, 347 Seiten, ISBN 978-3-406-68345-9

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