Neue Familienpolitik in der Islamischen Republik
Das Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei fordert die Abschaffung der Familienplanung. Er möchte die Bevölkerung des Landes verdoppeln. Auch Präsident Ahmadynedschad plädiert für mehr Kinder. Für ihn gilt das Motto: Mehr Einwohnerzahl, mehr Macht. Das könnte aber verheerende Folgen für den Iran haben.
Am 7. August plädierte das Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei in einer Rede vor hohen Entscheidungsträgern dafür, die Familienplanung und damit die Kontrolle des Bevölkerungswachstums im Iran aufzuheben. Der Iran habe Kapazitäten und Möglichkeiten für mindestens 150 Millionen Menschen, sagte Khamenei. Wenn diese Marke erreicht sei, könne man wieder über die Familienplanung reden.
Zwei Tage später kritisierte auch Khameneis Bevollmächtigter bei den Landstreitkräften, Mohamad Hadi Rezai, die Familienpolitik der letzten 20 Jahre. Diese habe dazu geführt, dass es jetzt bei den Streitkräften einen Mangel an Soldaten und Wehrdienstleistenden gebe.
Alarm in den 80er Jahren
Nach der Revolution von 1979 hatten die religiösen Führer des Landes die ersten Ansätze einer nationalen Familienplanung zunächst abgeschafft. Ihre Begründung: Familienplanung widerspreche den Lehren des Islams. Außerdem brauche das Land mehr Soldaten für den Krieg gegen den Irak.
Nach der Beendigung des Krieges fand 1988 die erste Volkszählung seit der Revolution statt. Das Ergebnis war alarmierend. Das Bevölkerungswachstum hatte die beispiellose Marke von 3,9 Prozent überschritten. Die Weltbevölkerung war in der gleichen Zeit nur um 1,9 Prozent gewachsen.
Weder die Bildungsmöglichkeiten des Landes oder seine Gesundheitsversorgung noch der Arbeitsmarkt hatten mit diesem rasanten Wachstum Schritt gehalten. Das Land drohte in einem Sumpf von Armut und Umweltzerstörung zu versinken. Mithilfe von Zahlen und Statistiken konnten iranische Bevölkerungsexperten die religiöse Führung damals davon überzeugen, dass hohe Fruchtbarkeitsraten nicht mehr im Interesse des Landes seien. Die Regierung startete deshalb eine umfassende „Lebensqualitätskampagne“. Dazu gehörten Familienplanungskurse und Gratis-Verhütungsmittel für alle. Parallel kam es zu einer drastischen Erhöhung des Bildungsniveaus junger Frauen, insbesondere in den ländlichen Gebieten.
Mit dieser Familienpolitik und auch wegen der rasanten Zunahme der Anzahl gebildeter Bürgerinnen und Bürger sank das Bevölkerungswachstum Irans von 3,9 Prozent im Jahr 1986 auf etwa 1,5 Prozent in den letzten Jahren. Nach Angaben des iranischen Zentrums für Statistik erhöhte sich die Einwohnerzahl des Landes im letzten Jahr um etwa eine Million auf damit 75 Millionen – in den ersten Jahren nach der Revolution waren es mehr als 1,6 Millionen jährlich.
10 Millionen unter der absoluten Armutsgrenze
Trotz der erfolgreichen Familienpolitik leben nacch Angaben von Adel Azar, Direktor des Zentrums für Statistik, zehn Millionen Iraner unter der absoluten und 30 Millionen unter der „relativen Armutsgrenze“.
Nach einem Bericht der Vereinten Nationen hat die Umweltzerstörung im Iran in den letzten Jahren drastische Ausmaße angenommen. Schuld daran sei vor allem das Bevölkerungswachstum. Der Leiter der Umweltbehörde, Mohammad Javad Mohammadzadeh, bestätigt, dass der Iran zu den Ländern gehört, die die größten Umweltzerstörer sind. In der letzten Woche hat der Stellvertretender Arbeitsminister, Hossein Foroozanmehr, die hohe Zahl der arbeitssuchenden Akademiker beklagt: „Jetzt stürmen die in den Achtzigerjahren Geborenen auf den Arbeitsmarkt. Das ist eine Bedrohung für uns“.
Dem Führer der islamischen Republik Ayatollah Khamenei bereiten diese Tatsachen anscheinend jedoch keine Sorgen. Auch Mahmood Ahmadynedschad lässt sich davon nicht beeinflussen. Der Präsident stempelt die jahrzehntelange praktizierte Familienplanung als „gottlosen Import“ aus dem Westen ab und fordert die Iraner auf, früher zu heiraten. Er hat mehrmals den Wunsch geäußert, Mädchen sollten mit 16 heiraten. Seit dem letzten Jahr zahlt der Staat jedem neugeborenen Kind eine Prämie – etwa 700 €. Diese Maßnahme ist allerdings unter den Machthabern auf Widerstand gestoßen.
Familienpolitik und die Armee
Laut dem ehemaligen Leiter des staatlichen Zentrums für strategische Studien, Mohammad Zaker Esfehani, sieht Ahmadynedschad in der Familienpolitik eine wichtige Komponente der Machtpolitik. Der frühere Vertraute des Präsidenten bescheinigt Ahmadynedschad die „alte Einstellung: Je größer die Einwohnerzahl eines Staates, desto größer dessen Macht.
Der Vorsitzende des regierungsnahen Zentrums für Studien der Bevölkerungsentwicklung in Asien und im Pazifikraum, Mohammad Javad Mahmoodi, vertritt eine ähnliche Meinung. Er weist darauf hin, dass Ägypten während des „arabischen Frühlings“ von Angriffen der westlichen Länder verschont geblieben sei, weil es im Gegensatz zu Bahrain und Libyen eine große Einwohnerzahl habe.
Seitdem Ayatollah Khamenei direkt und demonstrativ die gleichen Ansichten wie Ahmadynedschads vertreten hat, ist die Situation für die Verteidiger der Familienpolitik innerhalb und außerhalb der Regierung ungünstig und unsicher geworden. Doch die Diskussionen über die schlechte Wirtschaftslage, die hohe Arbeitslosigkeit, die Zunahme der Kriminalität im ganzen Land und die beispiellose Umweltzerstörung werden weitergehen. Und erfahrungsgemäß überschneiden sich diese Diskussionen irgendwann mit denen über die Bevölkerungswachstumsrate.
Farid Neshani