Kindergeschichten aus Teheran

Im Spätherbst 2015 besuchte der Hamburger Fotograf Kilian Foerster den Iran, um dort am vierten Teil seiner Fotoserie über Kinder und deren Geschichten zu arbeiten. Sein Fokus lag dabei auf Kindern in Teheran, die von Armut betroffen sind. In einem Interview mit Iran Jornal äußert sich Kilian Foerster über seine Motive und seine Beobachtungen.
Iran Journal: Herr Foerster, was ist Ihre Motivation für diese Kindergeschichten?
Kilian Foerster: Angefangen habe ich diese Arbeit mit Flüchtlingskindern aus Syrien, Irak und der Ukraine, da ich mit der medialen Kriegsberichterstattung – sowohl visuell wie auch sprachlich – immer weniger anfangen konnte und mit meiner Arbeit einmal eine andere Möglichkeit der Berichterstattung versuchen wollte.
Was hat Sie veranlasst, in den Iran zu reisen?
Einerseits hat man hierzulande aufgrund der rigiden Presse- und Medienzensur im Iran nur ein vages Bild vom Land und den Menschen dort, andererseits ist auch die westliche Berichterstattung über den Iran oftmals von Vorurteilen und Klischees bestimmt. Ich wollte mir also einen eigenen Eindruck verschaffen. Ein weiterer Grund ist, dass ich zuvor bereits mit Kindern aus den Nachbarländern Syrien und Irak gearbeitet hatte.

War das Ihre erste Reise in den Iran?
Ja.

Was hat Sie besonders beeindruckt?
Leider war ich nur zwei Wochen in Teheran und habe somit nur einen sehr kleinen Teil des Irans erlebt. Was mich in Teheran am meisten beeindruckt hat, waren die Gegensätze, denen ich in vielen Bereichen begegnete. Zum Beispiel auf der einen Seite der wahnsinnige Verkehr im Zentrum, dessen Abgase und Smog einen fast schwindelig werden lassen, und dann direkt nördlich von Teheran das Elbursgebirge mit einer absoluten Ruhe, kristallklaren Bächen und fantastischen Ausblicken. Oder die sehr beeindruckende alte, iranische Architektur, zum Beispiel der Golestanpalast, und dann die sterilen Hochhäuser der Reichen im Norden und die Armenviertel im Süden der Stadt. Oder die Zeit und Geduld, die sich IranerInnen für die Zubereitung der leckeren iranischen Küche nehmen, und dann die Hektik und Ungeduld während der Rushhour in der völlig überfüllten Metro oder im Straßenverkehr.

Sie haben das Leben im Iran als eine „schizophrene Situation“ bezeichnet. Können Sie das genauer erklären?

Kilian Foerster
Kilian Foerster

Damit meine ich den strengen Sitten- und Moralkodex der islamischen Republik Iran, dem sich in der Öffentlichkeit alle unterwerfen müssen, der aber im Privatbereich längst nicht überall Anwendung findet – mit der Folge, dass die Menschen eine Art Doppelleben führen. Niemand sollte in meinen Augen jemandem eine Religion oder Ideologie aufzwingen und das meine ich nicht nur in Bezug zum Islam. Wenn sich ein Mensch von sich aus für eine Religion entscheidet und sie ihm eine Hilfe ist, sein Leben zu leben, dann habe ich dafür Verständnis, vorausgesetzt, er akzeptiert auch die Einzigartigkeit anderer Menschen. Aber warum verbietet man zum Beispiel Frauen im Iran das Singen in der Öffentlichkeit?

Ihre Aufmerksamkeit lag auf Kindern der Unterschicht. Die Kinder der Oberschicht haben Sie von vorneherein ausgeschlossen, da sie in einer „snobistischen Blase“ leben? Was meinen Sie damit?
Es gibt eine kleine, sehr reiche Oberschicht im Iran, die im Gegensatz zur sozialen Mittel- und Unterschicht kaum von den Folgen der Wirtschaftssanktionen betroffen war oder ist. Es ist eine Illusion, dass man mit Wirtschaftssanktionen den gesamten Warenverkehr unterbinden kann; tatsächlich sind Sanktionen eine ideale Geschäftsgrundlage für Schmuggler, und jeder, der über genügend Geld verfügt, bekommt die Dinge, die er möchte. Die Kinder dieser Oberschicht besuchen internationale Schulen und können relativ problemlos im Ausland studieren, wozu Kinder aus der Mittel- und Unterschicht im Iran kaum die Möglichkeit haben. Ich möchte die Kinder aus der Oberschicht nicht beurteilen, denn sie haben sich ihre Familien nicht selbst ausgesucht, aber ihr Leben ist schon deutlich anders als das Leben der meisten Kinder im Iran.

Sie haben Kinder in einem Park in Teheran und einem Kinderhaus fotografiert. Was ist ein Kinderhaus? Was machen die Kinder dort?
Das Kinderhaus, welches ich besucht habe, ist regierungsunabhängig, wird über Spenden finanziert und lebt von der Arbeit Ehrenamtlicher. Dort bekommen die Kinder einen strukturierten Alltag, sie lernen lesen und schreiben, bekommen Hausaufgaben, musizieren, Essen zusammen und haben die Möglichkeit, eine Ausbildung im Textilbereich zu machen.

Ein Teil der interviewten Kinder stammt aus Afghanistan. Haben Sie einen Unterschied zwischen den Kindern aus Afghanistan und den iranischen Kindern feststellen können?
Sara, 10 Jahre “Mein größter Wunsch ist es, dass wir in unserer Wohnung bleiben können, weil uns der Hausbesitzer gekündigt hat. Er hat gesagt, wir müssten raus und sollten uns etwas anderes suchen. Ich habe Angst, dass wir dann kein Zuhause mehr haben. Zum Geburtstag hat mir meine Schwester ein sehr schönes Kopftuch aus Maschhad geschenkt.”© Kilian Foerster, 2015
Sara, 10 Jahre: Mein größter Wunsch ist es, dass wir in unserer Wohnung bleiben können, weil … (siehe die Bildergalerie unten)  – © Kilian Foerster

Die afghanischen Kinder sind im Gegensatz zu den iranischen Kindern eigentlich doppelt betroffen. Einmal haben sie ihr altes Zuhause verloren oder verlassen müssen, gleichzeitig erfahren sie ebenfalls die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen die iranischen Kinder und deren Eltern ausgesetzt sind. Hinzu kommt, dass die große Gastfreundschaft der Iraner, die man als Westeuropäer im Land genießt, kaum den Menschen aus Afghanistan im Iran zuteil wird.

Beim Betrachten der Fotos stellt sich das Gefühl ein, dass es sich um sehr ernste und zum Teil auch recht traurige Kinder handelt. Wie haben Sie die Kinder erlebt?
Besonders Kinder, die frühzeitig arbeiten müssen, erleben eine ganz andere Kindheit als ein Kind in Westeuropa. Wobei man in diesem Zusammenhang auch selbstkritisch sein sollte, denn wie viele Kinder gibt es in Westeuropa, die unter Einsamkeit, Mangel an Zuneigung und dem psychischen Druck der Eltern leiden?

Richtig ist, dass ein Teil der Kinder im Iran schon sehr früh erwachsen wirkt. Dass manche Kinder einen ernsten oder traurigen Eindruck vermitteln, hängt wahrscheinlich mit meiner Vorgehensweise bei der Arbeit zusammen. Zuerst hat mein Übersetzer den Kindern Fragen gestellt, direkt nach dem Gespräch habe ich dann die Aufnahmen gemacht, und zwar ohne den Kindern irgendwelche Vorgaben zu machen. Die meisten Kinder waren im Augenblick der Aufnahme wahrscheinlich immer noch mit den Fragen und ihren Antworten beschäftigt.
Viele der Kinder stellen ihr persönliches Wohlergehen unter das Wohlergehen der Familie; die Furcht, die Familie, insbesondere die Mutter, zu verlieren, ist ein wichtiges Thema. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Dass für die Kinder die Familie an erster Stelle steht, hängt mit der besonderen Rolle der Familie in der iranischen Gesellschaft zusammen. Die Familie gibt ihnen Schutz und Sicherheit, denn ein Sozialsystem wie in Deutschland gibt es im Iran nicht.

Werden die Fotos bald in einer Ausstellung oder einem Fotoband zu sehen sein?
Bislang sind keine Ausstellungen oder Publikationen geplant, da sich dafür zunächst ein Sponsor oder ein Verlag finden müsste.
Wohin geht Ihre nächste Reise?
Wahrscheinlich in ein westeuropäisches Land, lassen Sie sich überraschen.

  Interview: YASMIN KHALIFA
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Eine Auswahl der Kindergeschichten:
 

Die vollständige Fotostrecke ist auf der Webseite des Fotografen Kilian Foerster zu sehen.