Verkäuferinnen im Teheraner Untergrund

Fortsetzung auf Seite 2
Um Gottes Willen, nein! Dabei bin ich ehrlich gesagt momentan gar nicht so unzufrieden. Das Einzige, wovor ich Angst habe, ist, dass mich eines Tages meine Schwiegermutter oder ein Bekannter hier sehen. Deswegen trage ich die Maske.
Wie würde deine Schwiegermutter reagieren, wenn sie dich hier sehen würde?
Ach, lass das. Ich will gar nicht daran denken.
Von anderen Verkäuferinnen höre ich, dass man in diesem Job täglich durchschnittlich 300.000 Tuman (75 Euro) verdienen kann. Ein Einkommen, das die Lebensverhältnisse der Verkäuferinnen verbessert, sie dafür aber Gefahren wie Stress oder Depression aussetzt. Dies beweist eine wissenschaftliche Studie, die 2014 an der soziologischen Fakultät der Teheraner Universität durchgeführt wurde. Demnach sind Menschen vor allem wegen mangelnder Ausbildung oder fehlenden Abschlusses im Straßenverkauf tätig. Familiäre Probleme wie Scheidung oder Drogensucht sind andere Ursachen.
28. Juli 2016: U-Bahn-Linie 4, Teheran
Für die PendlerInnen ist sie ein bekanntes Gesicht. Sie ist eine der alteingesessenen U-Bahnhändlerinnen und ändert regelmäßig ihr Sortiment. Heute ist kein guter Tag für sie. Ihre Ware findet keine InteressentInnen. Sie setzt sich in der Station auf eine Bank, legt ihre Handtasche auf den Boden und nimmt ihre Gebetskette. Sie schließt die Augen und fängt an Gebete zu flüstern.
Bist du schon lange dabei?
Seit zehn Jahren bereits.
Du verdienst deinen Lebensunterhalt seit zehn Jahren durch Verkaufen in der U-Bahn?
Ja, so ist das Leben, mein Engelchen. Mein Leben war gar nicht so hart. Ich war 15 Jahre beim Amt für Telekommunikation angestellt. Alles lief sehr gut. Plötzlich wurden unsere Verträge nicht mehr verlängert. Ich habe 27 Tage ohne Lohn gearbeitet, dann wurde ich gekündigt. Ich hatte ein Kind und jede Menge Verantwortung.
Kannst du mit diesem Job deinen Verantwortungen gerecht werden? 
Durch die Arbeit in der U-Bahn bin ich krank geworden, meine Leber, mein Herz, mein Magen. Aber ich habe keine andere Wahl. Als ich anfing, war ich noch so jung und fit, dass niemand glauben konnte, dass ich ein Kind habe. Dieser Job ist hart.
Belastet dich das Verhalten der Fahrgäste?
Sie gucken uns schief an, machen sich über unsere Kleidung lustig, die Art, wie wir reden. Beim Verkaufen schaue ich keinem direkt in die Augen. Weil ich mich schäme. Sogar nach zehn Jahren schäme ich mich noch.
Dein Stolz leidet bei diesem Job?
(Sie bricht in Tränen aus) Von morgens bis abends arbeite ich hier. Und auf dem Rückweg nach Hause kann ich meine Tränen nicht zurückhalten. Ich frage dann Gott: Ist das wirklich mein Schicksal? Ist das mein Leben?
Andere Verkäuferinnen versammeln sich um uns. Voller Mitgefühl schütteln sie ihre Köpfe. Sie lässt ihre Gebetskette in ihre Handtasche gleiten und packt ihren Beutel, um den nächsten Zug nicht zu verpassen. Schnell verschwindet sie in der Menschenmenge und geht an die Arbeit zurück, wegen der sie sich schämt.
 
31. Juli 2016: U-Bahn-Linie 1, Teheran

"Beim Verkaufen schaue ich keinem direkt in die Augen. Weil ich mich schäme."
„Beim Verkaufen schaue ich keinem direkt in die Augen. Weil ich mich schäme.“

Während sie im Waggon auf und ab geht und die Qualität der von ihr angebotenen Kopftücher preist, wird das Logo des Markenherstellers Nike auf ihren Socken sichtbar. Die blaue Farbe des Logos passt perfekt zum Blau ihres Kopftuchs. Ihre Haare sind blond gefärbt, ihr Makeup ist aufwändig. Mädchenhaft antwortet sie auf die Fragen der InteressentInnen. Sie macht ihre Sache gut. Zwischen zwei Stationen verkauft sie drei Kopftücher für 15.000 Tuman (knapp 4 Euro) pro Stück. Als der Zug anhält, nimmt sie ihren Koffer und flucht leise.
Bist du eine Anfängerin? Du siehst nicht wie eine Verkäuferin aus.
Ich bin keine Anfängerin, aber komme nicht regelmäßig in die U-Bahn zum Arbeiten. Nur, wenn ich Geld brauche.
Bist du verheiratet?
Nein, ich lebe bei meiner Familie.
Lebt dein Vater noch?
Ja, er ist pensionierter Beamter.
Darf ich fragen, wozu du das Geld brauchst?
Ich will meine Nase operieren lassen.
Nur dazu?
Was soll das heißen? Denkst du, dass so eine Schönheitsoperation wenig Geld kostet? Ich will zwei bis drei Monate arbeiten, um die Operation bezahlen zu können. Gestatten Sie es mir, zu arbeiten, Frau Reporterin?
Sie nimmt den nächsten Zug. Immer am selben Ort zu arbeiten, schadet dem Geschäft.
Ich spreche mit anderen Verkäuferinnen, die aus verschiedenen Gründen im Untergrund der Hauptstadt gelandet sind. Eine hat einen drogenabhängigen Ehemann, eine andere wurde von einer Schneiderei entlassen, die Dritte sorgt für ihre Kinder, während ihr Ehemann im Gefängnis sitzt.
Laut Fahime Firouzfar, der Chefin des Spezialkomitees der Teheraner Stadtverwaltung für die Unterstützung alleinerziehender Mütter und allein verdienender Frauen, soll U-Bahnverkäuferinnen, die auf diese Arbeit angewiesen sind und bestimmte Kriterien erfüllen, künftig Hilfe zuteil werden. Und vor einiger Zeit hat die Teheraner U-Bahn beschlossen, die Tätigkeit der VerkäuferInnen zu regulieren. Um sie zu unterstützen, sollen ihnen 102 Verkaufsstände in den Metrostationen zur Verfügung gestellt werden.
SOHEYLA SEDDIGHI
Aus dem Persischen übertragen und überarbeitet von Iman Aslani