Angst vor Trauerfeiern für einen Pop-Sänger

Morteza Pashaie starb im November in Teheran an Krebs. Zehntausende junge Menschen versammelten sich damals zu seinen Ehren und sorgten damit für Unbehagen bei Regierenden. Nun werden ähnliche Aktionen am 40. Todestag des Popsängers erwartet.

„Werden die Gedenkfeier zum 40. Todestag von Morteza Pashaie zu Protestaktionen der westlich orientierten Jugend?“, fragte kürzlich ein anonymer Kommentator unter einem Artikel über den Tod des beliebten iranischen Popsängers auf der Nachrichtenplattform Mehrnews. Bei den Schiiten wird der 40. Todestag eines geliebten Menschen genauso zelebriert wie der Tag der Beerdigung.
Die Frage kommt einer Warnung gleich, denn die Kommentare auf der konservativen Nachrichtenplattform werden erst nach Kontrolle durch die Redaktion freigeschaltet. Das bedeutet: Entweder wurde diese Frage von den Verantwortlichen von Mehrnews selbst formuliert – oder ist sie tatsächlich von einem User gestellt worden und erscheint der Redaktion als legitim.
In Anbetracht der Ereignisse nach Pashaies Tod kann man davon ausgehen, dass auch die Sicherheitsorgane des islamischen Gottesstaates sich diese oder ähnliche Fragen stellen. Sie hatten im November die Versammlungen zu Ehren des an Krebs verstorbenen Musikers in manchen Städten gewaltsam beendet. Es hatte den Anschein, als wären sie überrascht über die unglaublich hohe Popularität des 30-jährigen Künstlers. Selbst in den „heiligen Städten“ Ghom und Mashad, die als Hochburgen erzkonservativer Geistlicher gelten, gingen Tausende Menschen auf die Straßen.

Pashaies Beisetzung musste wegen des unerwarteten Menschenandrangs um mehrere Stunden verschoben werden
Pashaies Beisetzung musste wegen des unerwarteten Menschenandrangs um mehrere Stunden verschoben werden

Die Beisetzung des Musikers am 16. November hatte um neun Uhr stattfinden sollen, doch sie musste wegen des unerwarteten Menschenandrangs auf den Abend verschoben werden. Augenzeugenberichten zufolge hatten sich mehrere Zehntausend Menschen im ganzen Land zu Ehren des Musikers versammelt. Die Teheraner Stadtverwaltung verglich sogar die Trauerzüge in der iranischen Hauptstadt mit den Demonstrationen vom Juni 2009. Damals protestierten Hunderttausende gegen den wiedergewählten Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad, dem Wahlmanipulation vorgeworfen wurde. Die Straßenproteste gingen als „Grüne Bewegung“ in die iranische Geschichte ein.
Trauer oder Protest?
War die Beliebtheit des Sängers alleiniger Auslöser der Trauermärsche? Kaum ein Sozialexperte bejaht diese Frage. Die meisten sehen die Massenversammlungen als eine Art Protest der Jugend, die von den Gesetzen und Regeln des erzkonservativen Systems „erdrückt“ würden. In einem Artikel, der von der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA veröffentlicht wurde, bezeichnet der Soziologe und Hochschuldozent Hamed Haji Heydari die Ereignisse nach dem Tod des Popsängers als Ausdruck der zunehmenden Kluft zwischen den Regierenden und der Bevölkerung. Eine ähnliche Meinung vertritt auch der Experte der Sozialwissenschaftlichen Fakultät in Teheran, Naser Fakouhi. „Die junge Generation will ihren Weg selbst bestimmen und lässt sich weder von Politikern noch von Intellektuellen der alten Generation führen“, so Fakouhi im Interview mit dem Nachrichtenportal Asre Iran. „Im Iran halten die renommierten Musikwissenschaftler die Popmusik für oberflächlich, seicht, wertlos und sogar amoralisch. Mögen diese Kenner persische und europäische klassische Musik der Popmusik vorziehen, aber der Bevölkerung können sie nicht vorschreiben, es zu tun“, so der Wissenschaftler. „Wie überall auf der Erde gilt auch hier im Iran: Man kann die Menschen nicht nach ihrem Geschmack und Lebensstil klassifizieren und bewerten.“
„Oberflächlich“ und „dumm“
Die Fans sammeln sich vor dem Krankenhaus zum letzten Geleit von Leichnam
Die Fans sammeln sich vor dem Krankenhaus zum letzten Geleit von Leichnam

Doch genau das tut sein Kollege, Yousef Abazari. Der Soziologe hält die LiebhaberInnen von Pop-Musik für „oberflächliche Menschen“, die der Banalität verfallen seien. Und die Massen, die einem „Möchtegern-Musiker“ – wie Pashaie von Abazari beurteilt wird – nachtrauerten, seien „dumm“ und bräuchten seiner Meinung nach Nachhilfe in Sachen „richtige“ Kunst.
Über Abazaris Äußerungen streiten seit dem 9. Dezember IranerInnen in aller Welt. Einige halten seine Kritik für berechtigt, jedoch seinen Ton für unangemessen. Die meisten aber bezeichnen ihn als einen „überheblichen Intellektuellen“, der sich „zu weit von den gesellschaftlichen Realitäten“ entfernt habe. Was Abazari auf jeden Fall nicht berücksichtigt: Die Reaktionen auf Pashaies Tod sind zum Teil auch ein Protest gegen das herrschende System.
„Die Menschen brachten ihre unerfüllten Wünsche, Zweifel, Unzulänglichkeiten, Sehnsüchte und Verwunderungen auf die Straßen, um sie mit traurigen Liedern zu besingen und zu beweinen“, so der Sozialwissenschaftler Naser Fakouhi. Bereits vor dem Tod des Popstars hatten sich junge Menschen tagelang vor dem Krankenhaus versammelt und dem Krebskranken „Mut zugesungen“. Die Nachricht über diese Aktion wurde über das Internet, insbesondere soziale Netzwerke, verbreitet und sorgte für eine Lawine von Solidaritätsbekundung mit dem Sänger.
Bis zu dieser Zeit hatten die meisten IranerInnen den Musiker gar nicht gekannt. Er hatte seine Karriere als Popsänger weniger als drei Jahre zuvor begonnen und nur ein einziges Album veröffentlicht. Seine Popularität war allerdings gestiegen, als seine Musik in einer Vorabendserie des iranischen Fernsehens verwendet wurde.
Jetzt warten Öffentlichkeit und Medien gespannt darauf, was die iranische Jugend am 40. Todestag des nun zum Star gewordenen Popsängers am 24. Dezember tun wird. Doch die unzufriedene iranische Jugend lässt sich bekanntlich nicht in die Karten schauen: Sie agiert bei Protestaktionen überraschend und blitzschnell.
Die der Revolutionsgarde nahestehende Nachrichtenagentur Fars hat am Sonntag den Onkel des verstorbenen Musikers mit den Worten zitiert, Pashaies Familie habe beschlossen, die Gedenkfeier am Mittwoch nur auf dem Friedhof – und nicht wie üblich in einer Moschee – abzuhalten. Man habe den Verlauf der Veranstaltung mit den Sicherheitsbehörden besprochen. Die Gerüchte, die Gedenkfeier sei verboten worden, seien haltlos, ließ Fars wissen. „Wegen des kalten Wetters“ werde die Familie aber nicht länger als eine Stunde des Verstorbenen gedenken.
Laut dem staatlichen Wetteramt soll die Höchsttemperatur in Teheran am Mittwoch sieben Grad Celsius betragen.
  SEPEHR LORESTANI
Übersetzt aus dem Persischen und überarbeitet von Said Shabahang