„Wir wollen nicht Alleinherrscher sein“

Die Islamische Republik Iran hat sich von ihrer Doktrin, die Alleinherrschaft in der Region anzustreben, verabschiedet. Das könne eine sinnvolle Perspektive des dauerhaften Friedens in der Region eröffnen, schreibt Prof. Mohssen Massarrat in seinem Gastbeitrag für Iran Journal.

Der Schlagabtausch zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dem iranischen Außenminister Javad Zarif auf der 54. Münchener Sicherheitskonferenz fand große mediale Resonanz. Manche Zeitungen stilisierten ihn sogar zu dem Ereignis dieser international viel beachteten Tagung. Während in der Berichterstattung den gegenseitigen Attacken der Kontrahenten großer Raum gegeben wurde, übersahen die Medien die eigentlich wichtige Botschaft des iranischen Außenministers. Sie lautete: „Wir wollen eine starke Region. Was wir nicht wollen, ist, Alleinherrscher in der Region zu sein.“
Diese Ansage stellt eine richtungsweisende Kehrtwende von der bisher gültigen Doktrin des Irans dar, die erste Macht, also „Alleinherrschaft“, in der Region anzustreben. Seit der Ankündigung dieses Ziels im 25-Jahre-Perspektivplan 1996-2021 (nach dem iranischen Kalender 1375-1400) unter Präsident Ali Akbar Hashemi Rafsanjani entstanden bei den iranischen Nachbarstaaten tiefe Verunsicherung und großes Misstrauen gegenüber dem Iran, dem Land also, das wegen seiner territorialen Größe, seiner Bevölkerungszahl und seiner Ressourcen ohnehin eine Großmacht darstellt. Mit diesen gänzlich überflüssigen Alleinherrschaftsambitionen lieferte der Iran den USA und deren militär-industriellem Komplex den handfesten Grund, Irans arabische Nachbarländer zur Aufrüstung zu animieren.
Das Wettrüsten in der Region wurde seit langem geschürt
Das Wettrüsten im Mittleren und Nahen Osten, das seit Mitte der 1970er Jahre andauernd angestachelt und auf eine immer höhere Stufe gehoben wird, stellt bei näherem Hinsehen die Wurzel sämtlicher Konflikte und Kriegsverbrechen dar, die seit beinahe vier Dekaden in dieser Region stattgefunden haben. Es begann mit den sprunghaft steigenden Ölpreisen in den Jahren 1973/74 und den daraus hervorgegangenen Devisenungleichgewichten.

Saudi-Arabien kauft auch moderne chinesische Waffen wie Dong-Feng-Raketen (Foto)
Saudi-Arabien kauft auch moderne chinesische Waffen wie Dong-Feng-Raketen (Foto)

 
Für das neu entstandene Problem der Devisenüberschüsse der größten OPEC-Staaten Iran, Saudi-Arabien, Irak und den anderen Ölstaaten einerseits und der Devisendefizite des Westens andererseits erfand man rasch die Lösung „Öl gegen Waffen“. Diese „Lösung“ sollte sich als ein äußerst lukratives Geschäft für die westliche Rüstungsindustrie erweisen, aber gleichzeitig auch als ein höchst kriegsträchtiges Mittel für den Mittleren Osten – mit über 2 Millionen Todesopfern, Hunderttausenden Kriegsflüchtlingen und mehreren Tausenden Milliarden US-Dollar an Sachschäden.
Zuallererst rüsteten die USA ab 1975 das Schah-Regime im Iran – ihr wichtigster Verbündeter jener Zeit- mit den modernsten Waffen aus und machten es zur stärksten Militärmacht am Persischen Golf. Während Irans Rüstungsausgaben von 1975 bis 1980 von 2.053 auf 6.229 Milliarden Dollar um mehr als das Dreifache anstiegen, erhöhte der Irak seine Rüstungsausgaben im selben Zeitraum von 0.324 auf 2.080 Milliarden Dollar – also um mehr als das Sechsfache.
Revolution und Krieg
Dieses erste Wettrüsten erschütterte die inneren und äußeren Machtverhältnisse in der Region. 1979 wurde das Regime des Schah durch die Islamische Revolution gestürzt und dessen ihm ergebene Armee zerschlagen. Iraks Diktator Saddam Hussein nutzte das entstandene Machtvakuum und besetzte in einem Blitzkrieg 1981 die südiranische Ölregion. Der iranisch-irakische Rüstungswettlauf in den 1970er Jahren hat damit nicht nur den ersten acht Jahre andauernden Golfkrieg ausgelöst, sondern auch zwei weitere Golfkriege 1991 und 2003 mit verursacht, die schließlich zum Sturz des irakischen Diktators führten. Auch die sich anschließende Rüstungseskalation und das iranische Atomprogramm sowie die Entstehung des „Islamischen Staates“ resultierten aus den vorausgegangenen blutigen Kriegsgeschehen im Mittleren Osten.
Dank US-Präsident Barack Obama und den iranischen Reformkräften konnte zwar mit dem Atomabkommen ein erster wichtiger Schritt gegen die laufende Rüstungseskalation unternommen werden. Gleichzeitig rüstete Obama jedoch Saudi-Arabien mit dem Verweis auf die militärische Überlegenheit des Iran seit 2011 militärisch massiv auf und machte dieses Land zum viertgrößten Waffenimporteur und dem Land mit den höchsten Militärausgaben der Welt. Nach Angaben von SIPRI sind die Militärausgaben Saudi-Arabiens von 29.5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2011 auf 80 Milliarden US-Dollar 2015 gestiegen.
Eine solche Aufrüstung in so kurzer Zeit hat es in der Geschichte des Landes noch nie gegeben. Donald Trump setzte die Rüstungspolitik seines Vorgängers fort und entfachte mit dem neuen 100 Milliarden umfassenden Rüstungsdeal mit Riad im Mai 2017 einen neuen Rüstungswettlauf, der den zwischen Iran und Irak von vor über 30 Jahren bei weitem in den Schatten stellt. Das enthält das Potential, einen neuen Flächenbrand zu entfachen, der den Mittleren Osten für Jahrzehnte zurückwerfen und den bestehenden Kreislauf Öl und Blut gegen Waffen bis in die nächsten Jahrzehnte verlängern würde. Trump hat zudem auch das Atomabkommen radikal in Frage gestellt und den drei europäischen Staaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland eine Frist bis zum 12. Mai 2018 gesetzt, das Abkommen mit dem Iran grundlegend zu modifizieren.
Trumps Forderungen
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