Ein Jahr mit Al Qaida

Der Journalist Ehsan Mehrabi saß ein Jahr lang in einem Teheraner Gefängnis. Zu seinen Zellengenossen gehörten auch Al-Qaida-Anhänger. Die Erfahrungen dieser Zeit haben ihn gelehrt, dass man durch Dialog auch radikale Kräfte positiv beeinflussen kann.
Der iranische Informationsminister Mahmoud Alavi hat in den vergangenen Monaten die Verhaftung einiger iranischer Anhänger des „Islamischen Staates“ (IS) bekanntgegeben. Für mich, der im Gefängnis Mitinsassen aus dem Umfeld der Al-Qaida hatte, war es interessant zu wissen, ob sich die iranischen IS-Anhänger von den iranischen Al-Qaida-Anhängern unterscheiden. Auf Umwegen habe ich dann erfahren, dass sie „genau wie die Al-Qaida-Häftlinge“ seien. Das hieße also radikal, ungebildet, engstirnig, jedoch zum Teil veränderbar?
Erste Erfahrungen
„Einen Schurken umzuerziehen ist wie der Versuch, eine Walnuss auf einer Kuppel befestigen zu wollen!“, schrieb der iranische Dichter Saadi vor etwa 800 Jahren. Dieser Spruch genießt auch heute noch bei vielen IranerInnen Beliebtheit, besonders, wenn es um radikale religiöse Kräfte geht. Ähnlich dachte auch ich, bevor ich im Zug der Proteste gegen die umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 verhaftet wurde und ein Jahr lang mit unterschiedlichen Menschen, auch Al-Qaida-Anhängern, das Leben teilen musste. Doch die Erfahrungen dieser Zeit lehrten mich, dass Saadis Spruch nicht immer zutrifft.
Im August 2004 hatte der damalige iranische Informationsminister Ali Younesi die Verhaftung von iranischen Al-Qaida-Anhängern bekanntgegeben. Bis dato hatte ich keinerlei Vorstellung von ihnen. Über die Existenz von iranischen Anhängern dieser terroristischen Organisation war nur vereinzelt seitens der offiziellen Behörden berichtet worden. Nicht einmal den MenschenrechtsaktivistInnen waren diese bekannt. Als ich verhaftet und in den berühmt-berüchtigten Trakt 209 des Evin-Gefängnisses verlegt wurde, bekam ich sie zum ersten Mal zu Gesicht. Im Trakt 209 sind politische Häftlinge und Personen untergebracht, denen „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ vorgeworfen wird.

Ehsan Mehrabi: Man kann  durch ernstgemeinte Aufklärungsarbeit sogar die Extremisten, die an einen radikalen und menschenfeindlichen Islam glauben, positiv beeinflussen!
Ehsan Mehrabi: Man kann durch ernstgemeinte Aufklärungsarbeit sogar die Extremisten, die an einen radikalen und menschenfeindlichen Islam glauben, positiv beeinflussen!

Die meisten der iranischen Al-Qaida-Anhänger stammten aus den kurdischen Gebieten des Landes, ohne festen Job. Alle waren sie Sunniten, manche hatten in sunnitischen religiösen Schulen Unterricht genommen, die meisten besaßen jedoch kein Abitur. Ihre Haftdauer variierte zwischen einem Jahr und zehn Jahren. Einige hatten in Afghanistan gekämpft und waren nach ihrer Rückkehr verhaftet worden. Die anderen behaupteten, nicht am Krieg, sondern an religiösen Seminaren in Pakistan oder Irak teilgenommen zu haben. Nach einiger Zeit wurden sie in Trakt 350 verlegt, wo kritische Journalisten, Menschenrechtler und politische Aktivisten eingesperrt sind.
Kleine Veränderungen
Im Gefängnis gab es verschiedene Auffassungen über die Al-Qaida-Anhänger. Ein Teil der politischen Gefangenen war der Ansicht, dass ein Dialog mit ihnen keinen Sinn mache, da sie eine brutale und rückschrittliche Sichtweise des Islam verträten. Andere waren der Meinung, dass man sie mit einer speziellen Art des Zuredens und vor allem mit sehr guten Islamkenntnissen beeinflussen könne.
Der bekannte iranische Menschenrechtsaktivist Emadeddin Baghi, der jahrelang in der schiitisch-theologischen Hochschule in Ghom studiert und gelehrt hat, sowie Said Nurmohamadi, politischer Aktivist und Mitglied der islamischen Partei „Jebhe Mosharekat“ zum Beispiel konnten einen guten Kontakt zu den Al-Qaida-Anhängern aufbauen. Ihre Beziehung war zwischenzeitlich so eng, dass einige Mithäftlinge die beiden aus Spaß die „schiitische Al-Qaida“ nannten.
Anfangs wollten die Al-Qaida-Leute kaum Kontakt zu den schiitischen Häftlingen haben und gerieten ab und zu mit ihnen in Streit, vor allem, wenn Witze über islamische Themen gemacht wurden. Ein gängiger Witz beim Verabschieden: Wenn einer sagt, „Gott möge dich beschützen“, antwortet der andere, „Und du mögest Gott beschützen“. Das erste Mal, als die Al-Qaida-Anhänger diesen Witz hörten, regten sie sich fürchterlich auf, nannten den Witzemacher „einen Ungläubigen“ und drohten ihm mit Bestrafung. Es kam sogar zu Handgreiflichkeiten.
Politische Gefangene im Iran werden während der Untersuchungshaft gewöhnlich einzeln oder in kleinen Gruppen in geschlossenen Zellen eingesperrt. In den vergangenen Jahren wurden sie dann nach ein paar Monaten Gefangenschaft in die Abteilung 350 verlegt. Hier wurden – und werden – in 50 Quadratmeter großen Zellen in der Regel 20 bis 30 Häftlinge untergebracht. Als die Zahl der Al-Qaida-Anhänger noch nicht 30 betrug, saßen sie ihre Zeit mit politischen Gefangenen in einer Zelle ab. Alles, was in dieser Zelle passierte, wurde gern weitererzählt.
Feiern als Sünde
Nach ein paar Monaten veränderten sich die Al-Qaida-Anhänger, was die anderen Mitgefangenen sehr überraschte. Am Anfang ihrer Gefangenschaft in der Abteilung 350 mieden sie so weit es ging den Kontakt zu den anderen Gefangenen. Sie hielten Feste feiern (zum Beispiel das Neujahrsfest) für Sünde und sogar in die Hände klatschen sahen sie als „haram“ (religiös verboten) an. Nach einiger Zeit jedoch organisierten sie selbst Feierlichkeiten für entlassene Mitgefangene, sangen Lieder und klatschen dabei sogar. Daraufhin verbesserte sich ihr Verhältnis zu den Mitgefangenen. Man kann sagen, dass sie zwischenzeitlich fast keine Probleme mehr mit den schiitischen Häftlingen hatten.
Die meisten der iranischen Al-Qaida-Anhänger stammten aus den kurdischen Gebieten des Landes, ohne festen Job - Foto: asriran.com
Die meisten der iranischen Al-Qaida-Anhänger stammten aus den kurdischen Gebieten des Landes, ohne festen Job – Foto: asriran.com

Einer der Häftlinge, der zu diesen Veränderungen massiv beigetragen hat, war Mohammad Barai, Vorbeter und Lehrer einer sunnitischen Moschee in der Stadt Bukan, einer kurdischen Stadt in der iranischen Provinz West-Aserbaidschan. Er war zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Mohammad Barai wurde mit der Zeit nicht nur der religiöse Führer der Al-Qaida-Anhänger, sondern hatte auch ein gutes Verhältnis zu Emadeddin Baghi und anderen schiitischen Häftlingen. Barai fing im Gefängnis an, sein Englisch zu verbessern. Die Englischkurse wurden von den Häftlingen veranstaltet, die jahrelang in englischsprachigen Ländern gelebt hatten.
In einer dieser Klassen, die ich besuchte, war auch Mohammad Barai. Während des Kurses machten die anderen Häftlinge und ich mit ihm Scherze. Als wir die Konditionssätze mit „if“ behandelten, fragte ich ihn, was er wohl machen würde, wenn er ein Flugzeug besäße. Er zuckte mit den Achseln, die anderen antworteten scherzhaft: „Er würde das Flugzeug in einen Turm fliegen.“ Ein anderes Mal, als wir „shall“-Sätze übten, fragte ich ihn: „Shall we dance?“ (Wollen wir tanzen?). Er nahm solche Bemerkungen freundlich hin und mit der Zeit reagierten auch die Al-Qaida-Anhänger viel gelassener auf diese Scherze.
Meine einjährige Erfahrung im Gefängnis hat mich gelehrt, dass man durch ernstgemeinte Aufklärungsarbeit sogar die Extremisten, die an einen radikalen und menschenfeindlichen Islam glauben, positiv beeinflussen kann. Sie stimmt also mit der Überzeugung jener Personen überein, die zur effektiven Bekämpfung des Terrorismus nicht nur militärische Aktionen, sondern auch Aufklärungsmaßnahmen verlangen.
EHSAN MEHRABI
Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Iman Aslani