Benimmregeln für Diplomaten – Claudia Roths Visite im Iran

Fünf Tage lang hat sich Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, im Iran aufgehalten. Was sie dort erreichte, ist unklar. Hiesigen Medien fiel vor allem Roths Kopftuch auf. In Teheran jedoch streiten Moderate und Hardliner immer noch über ihren Auftritt. Die Reise mag ergebnislos gewesen sei, sie war trotzdem lehrreich.
Die Auslandsreise eines Politikers muss nicht immer mit handfesten Ergebnissen enden, zumal eine in ein so kompliziertes Land wie Iran. Doch sie sollte zumindest eine Erfahrung, ein bewusstes Erlebnis sein, das sich trotz leerer Händen für den Reisenden selbst, die Daheimgebliebenen und den gesamten Politikbetrieb als lehrreich erweist.
Was Claudia Roth mit ihrem jüngsten Iran-Besuch erreicht hat, ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert. Es ist eine Protestwelle in den sozialen Medien aus unglaublich unterschiedlichen Richtungen: von deutschen Islamkritikern, die Pegida nahe stehen könnten, bis zur Frauenzeitschrift Emma, von iranischen Frauenrechtlerinnen bis zu erzkonservativen Hardlinern in Teheran. Radikale Islamkritiker beschimpfen die Grüne, weil sie sich den islamischen Vorschriften unterworfen und unter das Kopftuch hat zwingen lassen. Viele dieser Kritiker raten ihr in den sozialen Netzwerken: „Bleiben Sie bei ihren Freunden im Gottesstaat.“ Die Bildzeitung veröffentlichte ein Bild, auf dem Claudia Roth mit Kopftuch im Amtszimmer des iranischen Parlamentspräsidenten steht und herzlich lacht – wie wir es von ihr gewohnt sind. Die Bildzeitung fragt: „Frau Roth, was wollten Sie bei diesem Judenhasser?“ Iranische Frauenrechtsaktivistinnen bezeichnen Roths Auftritt in Teheran als eine Ohrfeige für jene Frauen, die sich in- und außerhalb des Iran den Kleidervorschriften der Islamischen Republik widersetzen. Die Zeitschrift Emma argumentiert ähnlich und veröffentlicht einen langen offenen Brief einer Gruppe iranischer Frauen im Ausland.
Roths Fragen

Claudia Roth beim Treffen mit dem Reformpolitiker M. Reza Aref
Claudia Roth beim Treffen mit dem Reformpolitiker M. Reza Aref

Für die Radikalen im Iran ist Roths Kopfbedeckung verständlicherweise kein Problem, obwohl manche iranische Webseiten bemängelten, das Kopftuch der deutschen Politikerin habe zu locker gesessen. Die Anti-Roth-Kampagne in jenen iranischen Medien, die den Revolutionsgarden und dem Geheimdienst nahe stehen, hat einen anderen Grund. Die Bundestagsvizepräsidentin hat es nämlich gewagt, bei ihrem Treffen mit Schahindocht Molawerdi, Vizepräsidentin und Frauenbeauftragte der iranischen Regierung, einige heikle Fragen zu stellen. Etwa, was die Regierung für die Sicherheit von Frauen in der Öffentlichkeit unternehme, wie sie weitere Säureattacken verhindern wolle und was aus jenen verhafteten Frauen geworden sei, die gegen diese Attacken protestiert hatten. Claudia Roth war offiziell auf Einladung des Reformpolitikers Mohmmad Reza Aref im Iran und hat bei ihrem ersten Treffen ihren Gastgeber gefragt, ob man hoffen dürfe, dass die nächsten Parlamentswahlen frei sein könnten. Sehr diplomatisch forderte sie bei diesem Treffen auch die Aufhebung des Hausarrests gegen Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi, die beiden Präsidentschaftskandidaten von 2009, sowie Mussawis Ehefrau Zahra Rahnavard.
Kritik wird nicht hingenommen
Als Auszüge aus diesen beiden Unterhaltungen in reformorientierten Zeitungen und Webseiten veröffentlicht wurden, brach bei den Hardlinern ein Sturm der Entrüstung aus, der immer noch andauert. „Wo bleibt denn unsere Unabhängigkeit?“, titelte Fars News. Die Abgeordnete Fatima Alia fragte, warum die Regierung Frau Roth nach ihrer Einmischung in interne Angelegenheiten nicht umgehend ausgewiesen habe, und die Tageszeitung Kayhan, die journalistische Bastion der Radikalen, stellte den Roth-Besuch in eine Reihe mit den Karikaturen von Charlie Hebdo – beide seien „beschämend“ und „beleidigend“.
Trotz dieser schweren Geschütze darf man diese Visite nicht überbewerten. Nur eine winzige Minderheit in Teheran erfuhr von dem Besuch und dessen Folgen. Die überwiegende Mehrheit der Iraner weiß nicht, wer Claudia Roth ist, was sie gesagt hat und ob ihre Intervention m Iran überhaupt etwas bewirkt.
Grenzen der Diplomatie
Das Treffen von Catherine Ashton (li.) mit der Menschenrechtlerin Narges Mohammadi (re.) und Gohar Eschghi (2. v. re.) in Teheran hatte hohe Wellen geschlagen
Das Treffen von Catherine Ashton (li.) mit der Menschenrechtlerin Narges Mohammadi (re.) und Gohar Eschghi (2. v. re.) in Teheran hatte hohe Wellen geschlagen

Es ist also nicht die öffentliche Wirkung des Besuches, die den Geheimdienst und die Revolutionsgarden auf den Plan gerufen hat, sondern die rote Linie, die Roth nach Meinung der Mächtigen im Iran überschritten hat. Gezogen wurde diese Linie im März vergangenen Jahres nach einem Besuch von Catherine Ashton, der ehemaligen EU-Außenbeauftragten, im Iran. Ashton hatte sich am internationalen Frauentag in der österreichischen Botschaft in Teheran mit sechs Frauenrechtlerinnen getroffen. Zu ihnen gehörten die Anwältin und Menschenrechtlerin Narges Mohammadi, die mehrfach verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde, sowie Gohar Eschghi, deren Sohn Sattar Beheschti in der Haft ums Leben kam. Dieses Treffen, das mit dem iranischen Außenministerium nicht koordiniert war, schlug damals hohe Wellen. Der moderate Präsident Hassan Rouhani hatte seine erste ernsthafte Krise. Die Regierung geriet so massiv unter Beschuss der Hardliner, dass die Sprecherin des Außenministerium öffentlich und wiederholt versprach, künftig würden ausländische Besucher nur genau das tun, was vorher mit ihnen festgelegt worden und mit den Sicherheitsbehörden abgestimmt sei.
Claudia Roth hielt sich bei ihrem Besuch an diesen Plan und traf sich nur mit den vorher festgelegten GesprächspartnerInnen. Als Narges Mohammadi versuchte, Roth in ihrem Hotel aufzusuchen, wurde sie verhaftet und erst nach langen Verhören freigelassen.
Warum halte sich das Außenministerium nicht an das, was nach dem „Eklat mit Frau Ashton“ verabredet wurde, fragte die Webseite Tasnim den Vorsitzenden der Kommission für Nationale Sicherheit im Parlament, Alaadin Boroujerdi. Seit dem Vorfall mit Ashton werde mit jedem ausländischen Diplomaten, der den Iran besuchen wolle, „genau festgelegt, wie er sich hier zu benehmen hat“, antwortete Boroujerdi und fügte hinzu, leider habe sich Frau Roth nicht an Vereinbarungen gehalten, die vorher in der iranischen Botschaft in Berlin getroffen worden waren.
In der Botschaft hätten lediglich protokollarische Gespräche für die Reisevorbereitung stattgefunden, von „Benimmregeln“ könne überhaupt keine Rede sein: „Ich lasse mir doch nicht den Mund verbieten“, sagt dazu Claudia Roth gegenüber Transparency for Iran.
Diplomatische Protokolle oder genaue Benimmregel für Iran-Besucher? Es wäre müßig, herausfinden zu wollen, was in der iranischen Botschaft vor dieser Reise genau passiert ist. Doch Claudia Roths Reise in den Iran ist allen Widrigkeiten zum Trotz sehr lehrreich, für sie selbst, für die Daheimgebliebenen und für alle DiplomatInnen, die in den Iran reisen wollen. Sie kann von ihrer Visite in Teheran viel erzählen. Ihre Erzählung könnte die Überschrift tragen: „Die Grenzen der iranischen Dialogfähigkeit.“
ALI SADRZADEH