Kontroverse um ein Fußballspiel

Aufregung um ein WM-Qualifikationsspiel: Während einige iranische Fußballfans sich über den Kapitän der koreanischen Fußballnationalmannschaft ärgern, zeigen sich andere über die Forderung erbost, beim Qualifikationsspiel Trauer zu tragen. Für Unmut sorgt auch die angebliche Auspeitschung iranischer Schulkinder durch ihren Schuldirektor. Ein Webwatch.


Iran gegen Südkorea: Es sollte das Duell zweier asiatischer Fußballriesen werden, bei dem sich der Gastgeber im heimischen Azadi-Stadion in Teheran durch einen Treffer des Russland-Legionärs Sardar Azmoun verdient mit 1:0 durchsetzte. Doch wie oft, wenn diese Rivalen aufeinandertreffen, stand der Sport nicht im Vordergrund: Wenige Tage vor der Partie sorgte der koreanische Mannschaftskapitän Koo Ja-cheol mit einer unglücklichen Aussage für Aufregung.

Kritik an koreanischem Kapitän
“Teheran ist keine normale Stadt für mich, ich habe da Angst“, sagte Koo, der auch für den Bundesligisten FC Augsburg spielt, der deutschen Boulevardzeitung Bild. “Die Stadt ist alt, die Menschen wirken unfreundlich auf mich. Alle Häuser oder Wohnungen sind vergittert, keine Ahnung, warum. Ich habe schon auf der ganzen Welt gespielt, aber so etwas wie in dem Stadion habe ich noch nie erlebt“, so Koo: “Es ist mit 100.000 Leuten immer ausverkauft. Das letzte Mal haben wir 0:1 verloren. Trotzdem bewarfen uns die Zuschauer nach Abpfiff mit Wasserbechern und anderen Gegenständen. Wir mussten aus dem Stadion flüchten“, so der Koreaner. 
Seitdem gibt es eine Lavine der Kritik von Seiten der iranischen Internet-User. “Ich kann mich gut daran erinnern, wie die koreanischen Fans 2013 die iranischen Spieler mit allen möglichen Gegenständen beworfen haben, als diese in Seoul die Qualifikation für die WM feierten“, schreibt Persianllstars im Diskussionsforum der populären iranischen Fußballwebsite PFDC. Koo wolle eindeutig provozieren, schreibt ein anderer User mit dem Pseudonym Persianking: „So viele andere Spieler auf der Welt haben schon die Atmosphäre Teherans und des Stadions gelobt.“ Ähnlich äußert sich Omids: „Das letzte Mal, als wir in Korea zu Gast waren, haben sie uns mit Wasserflaschen beworfen. Nun sind wir auf einmal die Bösen?“ Die Äußerungen des koreanischen Kapitäns seien eine „Frechheit“, schreibt Bardia auf der Facebookseite Iranian Footballnews. „Warum er die Stadt Teheran und unsere Fans so negativ darstellt, kann ich nicht verstehen. Dabei sind wir doch bekannt für unsere Gastfreundlichkeit“, so der Iraner.
Andere üben Selbstkritik: Man dürfe sich nicht wundern, wenn AusländerInnen ein schlechtes Bild vom Iran hätten, “wenn alle paar Jahre wütende Mobs von Landsleuten irgendwelche Botschaften und Konsulate attackieren“, schreibt PFDC-User Nader25. „Die Wahrheit ist, dass unsere Fans sich tatsächlich in der Vergangenheit das ein oder andere Mal daneben benommen haben. Wenn wir wollen, dass unsere Gäste uns respektieren und loben, müssen wir ihnen einen Grund dafür geben. Was der Koreaner da sagt, ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Seine Aussagen über die Stadt Teheran hätte er sich aber ruhig verkneifen können“, schreibt Ali auf der Facebookseite Iran Football Magazine.
Spiel kollidierte mit Tasu’a
Für noch mehr Unruhe unter iranischen Fußballfans sorgte im Vorfeld des wichtigen WM-Qualifikationsspiels der Vorstoß des iranischen Fußballsverbands, das Spiel auf einen anderen Tag zu verlegen. Der Grund: Das Spiel kollidierte mit der Tasu’a, der Nacht vor Aschura, an dem schiitische Gläubige seit Jahrhunderten den Märtyrertod von Imam Hussein betrauern. Zahlreiche iranische Kleriker und Amtsträger befürchteten, dass ein Sieg des Iran Jubelfeiern an einem „Trauertag“ zufolge haben könnte. Als die Verlegung des Spiels vom asiatischen Fußballverband abgelehnt wurde, wurden iranische Fans aufgefordert, in Schwarz ins Stadion zu kommen, um das Spiel in eine große Tasu’a-Prozession zu verwandeln. Am vergangenen Freitag lobte der einflussreiche Ayatollah Ahmad Khatami beim Teheraner Freitagsgebet das „lobenswerte“ Verhalten der iranischen Fußballfans im Stadion. Sie hätten Trauerlieder gesungen, statt den Sieg zu feiern.

Vor dem Stadion haben Gläubige die Zuschauer mit religiösen Flyern auf das Trauerfest Ashura hingewiesen
Vor dem Stadion haben Gläubige die Zuschauer mit religiösen Flyern auf das Trauerfest Ashura hingewiesen

Viele iranische Web-UserInnen sehen darin eine Vermischung von Religion und Sport: „Die Religion sollte bei einem Fußballspiel keine Rolle spielen“, schreibt Damoun auf Iranian Footballnews. Wenn ich Fußballer wäre und an diesem Tag ein Tor schießen würde, würde ich Jubeln wie immer, weil es mich nicht interessiert, was das Regime von mir denkt“, so der Fan. „Gebt den Religiösen endlich mal ein Hirn“, schreibt Elias. „Lächerlich und traurig. So etwas macht mich aggressiv“, wütet auch der User Hossein. „Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll“, schreibt PFDC-User Mr.Click. Der iranische Fußball erweise den Fußballern einen „Bärendienst“, indem er auf die Forderungen der konservativen Geistlichkeit eingehe, so Shahdmehr auf der Facebook-Plattform von Radiozamaneh. „Wenn wir dieses Spiel verloren hätten, dann nur, weil im Vorfeld der Fokus auf Religion und nicht auf Sport gelegt wurde“, schreibt er weiter. 
Kritisch kommentieren zahlreiche iranische Internet-NutzerInnen auch, dass tatsächlich viele Iraner schwarzgekleidet zum Spiel kamen. So schreibt Sajjad: „Schade, dass sich die Menschen trotz der nunmehr 37-jährigen Erfahrung mit den Schakalen der Islamischen Republik immer noch für deren Erhalt instrumentalisieren lassen.“ Ein anderer Radiozamaneh-User schreibt: „Anstatt sich im Stadion zu amüsieren, zogen diese Menschen es vor, dort zu trauern. Das sagt viel aus über den Zustand unserer Nation.“ Auf Iran Football Magazine schreibt ein anderer User: „Es ist befremdlich zu sehen, dass bei einem Spiel der Nationalmannschaft Menschen schwarze Fahnen schwenken, statt die Farben des eigenen Landes hochzuhalten. Tasu’a war dieses Jahr wahrlich ein Tag der Trauer für mich und für viele andere, die den Iran lieben.“
Andere Web-User wiederum bewerten die religiöse Atmosphäre im Stadion aus einem anderen Blickwinkel: „Der Blick auf die Zuschauerränge hat die koreanischen Fußballer sicherlich erschauern lassen. Dass wir das Spiel gewonnen haben, hatte viel mit der besonderen Stimmung im Stadion zu tun“, schreibt Farbod auf der Facebookseite von BBC Persian. „Die Koreaner haben sich bestimmt vor Angst in die Hosen gemacht“, amüsiert sich auch Shahram. Es sei keineswegs so gewesen, dass Menschen im Stadion ernsthaft getrauert hätten, entgegnet DW Farsi-Besucher Amir jenen Stimmen, die schwarztragende Stadionbesucher kritisch bewerten. Die schwarze Kleidung sei „als Zeichen des Respekts gegenüber den Gefühlen der frommen IranerInnen“ zu verstehen, meint er.
„Wir müssen eben akzeptieren, dass ein Teil der Bevölkerung des Iran gläubig ist. Dass der Iran eine Islamische Republik geworden ist, ist kein Zufall. Aber das heißt nicht, dass jeder, der schwarzgekleidet ins Stadion gegangen ist, ein religiöser Fanatiker ist. Letztere sind sicherlich zuhause geblieben und haben das Spiel erst gar nicht verfolgt“, schreibt Narges auf DW Farsi.
Peitschenhiebe und Verweis für Schulkinder
Die Schülerinnen schildern vor der Kamera ihr Martyrium
Screen shot: Die Schülerinnen schildern vor der Kamera ihr Martyrium

Für einen handfesten Skandal sorgte in der vergangenen Woche die Meldung über die angebliche körperliche Bestrafung iranischer Kinder an einer Schule in der Provinz Kerman. Laut Aussagen zweier Schulkinder sollen diese vom Schuldirektor mit jeweils acht Peitschenhieben und einem Schulverweis bestraft worden sein, weil sie die zu Beginn des Schuljahres geforderten 7,50 Euro Schulgeld nicht mitgebracht hätten. Der Inhalt eines im Internet veröffentlichten Videos, das die Kinder bei der Schilderung ihres Martyriums zeigt, wurde von dem beschuldigten Direktor und der örtlichen Schulbehörde dementiert.
Doch für viele iranische Web-User steht fest: Die Aussagen der Schulkinder entsprechen der Wahrheit und müssen Konsequenzen haben. „An einer staatlichen Schule wird entgegen dem Gesetz für den Schulbesuch Geld verlangt, und wenn dieses nicht gezahlt wird, werden die SchülerInnen ausgepeitscht? Das ist eine Katastrophe und ein Armutszeugnis für unser Bildungssystem. In jedem zivilisierten Land müsste der Bildungsminister in einem solchen Fall zurücktreten“, kommentiert ein anonymer Besucher der Webseite Tabnak einen Nachrichtenbeitrag. „Unfassbar, dass im Iran heute Kinder ausgepeitscht werden, nur weil sie kein Geld haben“, schreibt Mitra.
Dass im Iran Eltern und LehrerInnen Kinder wegen schlechter Noten schlügen, sei kein Geheimnis, schreibt ein anonymer Besucher der Nachrichtenseite Radio Farda. „Aber dass Kinder wegen Armut geschlagen werden, ist mir ehrlich gesagt neu.“ Der Vorfall sei sicher „kein Eizellfall“, meint Ali zu wissen. Bestätigt wird er durch Raihaneh: „So etwas passiert nicht nur in der Provinz, sondern auch in Teheran. Meinem eigenen Kind haben sie an der Schule mit Schulverweis gedroht, wenn wir keine Gebühren zahlten. Was die Kinder in dem Video äußern ist leider die Wahrheit,“ schreibt  die Iranerin auf der Webseite Bartarinha.
„Diese Meldung ist für mich nur sehr schwer zu verdauen“, zeigt sich auch Paria fassungslos. „Ich hoffe nur, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und die Öffentlichkeit darüber informiert wird,“ schreibt die Iranerin auf dem Nachrichtenportal Farda News. „Dass iranische Politiker und Verantwortliche behaupten, die Geschichte sei erfunden, wundert mich nicht. Ein Dementi ist natürlich viel bequemer als Schuldige zur Verantwortung zu ziehen“, schreibt Alborz auf der Webseite Bartarinha.
„Die Misshandlung und Bestrafung jener, die unter Armut leiden, ist im Iran  allgegenwärtig. Aber ihr feinen Herrn Kleriker und Politiker, die ihr den ganzen Reichtum des Iran unter euch aufgeteilt habt, möchtet ja von der Wahrheit nichts wissen. Wenn ihr an Gott glaubt, solltet ihr aufhören, die Wahrheit zu verschleiern, und euch stattdessen bemühen, das Recht durchzusetzen“, so ein wütender Besucher der Nachrichtenseite VOA Farsi.

  JASHAR ERFANIAN