Späte Ehrung: Internationaler Preis für die „Mothers of Khavaran“

In Südkorea wurde eine Initiative der Mütter von ermordeten politischen Gefangenen im Iran ausgezeichnet. Die Auszeichnung hat bei MenschenrechtsaktivistInnen große Resonanz erfahren. Manche vergleichen die „Mütter von Khavaran“ mit den argentinischen „Mütter der Plaza de Mayo“ und prophezeien ihnen einen ähnlichen Erfolg.

Von Ali Sadrzadeh

Üblicherweise verhilft ein Preis denjenigen, die ihn bekommen, zu Bekanntheit und Ruhm. Doch es gibt auch seltene Fälle des Gegenteils: PreisträgerInnen, die dem ihnen verliehenen Preis Geltung und Anerkennung bringen. Der Menschenrechtspreis der südkoreanischen Stadt Gwangju, der jährlich am 18. Mai an AktivistInnen aus Asien verliehen wird, ist so ein Fall. Mit den Preisträgerinnen des Jahres 2014 dürften die Stadt Gwangju und ihr Preis jedenfalls einem großen Kreis von MenschenrechtsaktivistInnen im Nahen Osten geläufig werden. Denn in diesem Jahr bekommen die iranischen „Mothers of Khavaran“ den Gwangju Menschenrechtspreis – für ihren jahrzehntelangen friedlichen Kampf für Gerechtigkeit und gegen das Vergessen und Verleugnen.
Weiß gekleidet , wie immer bei ihren Aktionen, nahmen gestern  Parvin Milani und Masoumeh Daneshmand den Preis entgegen . Milani  war aus Teheran eingereist, Daneshmand aus dem amerikanischen Exil. In ihrer Dankesrede waren die  inzwischen über 70 Jahre alten Mütter bemüht, den versöhnlichen Charakter ihrer Aktion zu betonen. „Nicht die Rache, nicht einmal die Bestrafung der Täter, sondern ausschließlich die Aufklärung der Taten ist unser Ziel“, so die Erklärung der beiden Frauen.

Dunkle Jahre der Willkür und der Angst

Rückblick: Die zweite Hälfte der Achtzigerjahre ist die dunkelste Periode der Islamischen Republik. Der achtjährige verlustreiche Krieg mit dem Irak geht zu Ende, die Regierung glaubt ihre Daseinsberechtigung nun im Inneren verteidigen zu müssen. Nach einer Fatwa des Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Khomeini werden heimlich und massenweise mehrere Tausend politische Gefangene nach kurzen Prozessen hingerichtet und ihre Leichname auf verlassenen Friedhöfen verscharrt.
Im Sommer 1988 entscheidet eine von Khomeini persönlich ernannte dreiköpfige Kommission – darin auch der jetzige Justizminister Mostafa Pourmohammadi -innerhalb von drei Wochen über die Schicksale von fast 4.000 Menschen. 3.800 Hingerichtete aus dieser Zeit sind namentlich bekannt. Die Leichen der Opfer werden an verschiedenen Orten begraben, etwa auf dem verlassenen Friedhof Khavaran, 20 Kilometer südlich von Teheran gelegen. Die Erzählungen der Überlebenden aus dieser Zeit sind grauenhafte Dokumente einer Herrschaft, die glaubte, sich alles erlauben zu können, wenn es um die Verteidigung ihrer Macht und die Vernichtung ihrer Gegner ging. Nach Zeugenaussagen dauerten Gerichtsverhandlungen oft nur wenige Minuten, die Fragen der Kommissionsmitglieder sollen sich ausschließlich darum gedreht haben, ob der Gefangene für oder gegen das Regime sei.

Die Mütter der hingerichteten politischen Gefangenen im Sommer 1988 besuchen regelmäßige die Massengräber ihrer Kinder im Khavaran-Friedhof
Die Angehörigen der hingerichteten politischen Gefangenen im Sommer 1988 besuchen regelmäßig die Massengräber ihrer Kinder im Teheraner Khavaran-Friedhof

Machtlos, aber entschlossen

Die Autorin Monireh Baradaran ist eine der prominentesten ZeugInnen dieser dunklen Jahre. „Während der Massenhinrichtungen war ich mit 45 Mädchen in einer Zelle inhaftiert. Alle wurden binnen weniger Tage hingerichtet“, erzählt Baradaran in ihrem beeindruckenden Buch „Erwachen aus dem Alptraum“, in dem sie die Erlebnisse ihrer neunjährigen Haft festgehalten hat. „In der Zelle hörten und zählten wir, die Überlebenden, die Schüsse der Erschießungskommandos“, sagt sie.
Draußen suchten währenddessen die Angehörigen nach den Gräbern der Hingerichtenen. Niemand gab ihnen eine Antwort auf ihre Frage nach dem Wo, die zu stellen bereits lebensgefährlich war. Es bedurfte eines langen und mutigen Kampfes, bis die Hinterbliebenen den Friedhof Khavaran ausfindig und zu einem Symbol machten. Baradaran, Trägerin der Carl von Ossietzky-Medaille, hat die Geschichte dieses Friedhofs auf der Webseite Bidaran festgehalten. Dort dokumentiert sie, wie schwierig es war, die Grabstätte ausfindig zu machen, mit welchen Methoden die Behörden die Spuren ihrer Taten beseitigten und wie mutig und beharrlich die Mütter der Ermordeten Widerstand leisteten.

Sinnbilder des Widerstandes

Die „Mütter von Khavaran“wurden schnell zum Symbol einer neuen Form weiblichen Widerstandes. Die trauernden Frauen tragen nicht, wie im Iran üblich, schwarze, sondern weiße Kleidung. Regelmäßig trafen und treffen sie sich auf dem Friedhof von Khavaran – ebenso regelmäßig wurde und wird der Friedhof mit Bulldozern umgepflügt. Trotzdem erhalten die Frauen mit Blumen und anderen Symbolen die Sichtbarkeit dieses Ortes, damit das Massenverbrechen nicht in Vergessenheit gerät.
Nach dieser Auszeichnung sei er sich sicher, dass die „Mothers of Khavaran“, ähnlich wie die argentinischen „Mütter der Plaza de Mayo“, einen herausragenden Platz in der iranischen Demokratiebewegung einnähmen, sagt der Kriminologe Payam Akhavan von der Universität Toronto. Akhavan war in den Jahren 2012 und 2013 Gutachter bei einem internationalen Tribunal, das die Massenhinrichtungen im Iran untersuchte. Als Vorsitzender dieses Tribunals schrieb der angesehene südafrikanische Richter Johann Kriegler in einem Brief an den iranischen Präsidenten Hassan Rouhani: „Sollten Verbrechen in diesem Ausmaß und in einem Land wie dem Iran mit seiner langen Geschichte und Zivilisation ungeklärt und ungesühnt bleiben, besteht wenig Hoffnung für Gerechtigkeit in anderen Teilen der Welt.“

© Iran Journal

Zur Startseite