Deutschsprachige Literatur im Iran

Die deutsche Literatur genießt im Iran eine enorme Beliebtheit. Welche Autor*innen mehr gelesen werden und welchen Einfluss die deutsche Literatur auf das literarische Schaffen im Iran hat, beschreibt der Literaturübersetzer und Schriftsteller Mahmoud Hosseini Zad*.
„Einen dicken Roman von Thomas Mann“ wollte ein bekannter iranischer Verleger haben, als ich ihn Anfang der 80er Jahre zusammen mit einem Kollegen besuchte. Wir beide arbeiteten an einem großen Übersetzungsprojekt, das nach der islamischen Revolution 1979 und zu Beginn des Iran-Irak-Kriegs unterbrochen worden war – weil Bertolt Brecht nun auf der schwarzen Liste stand. Unser Projekt war nämlich die Übersetzung von Brechts Gesamtwerk. Der Verleger hatte uns eingeladen, weil er ein neues Projekt besprechen wollte: einen dicken Roman von Thomas Mann!
Beliebte Klassiker
Fragte man, und das vor nicht allzu langer Zeit, einen iranischen Verleger, der fremdsprachige Literatur im Programm hat, ob er sich für deutsche bzw. deutschsprachige Literatur interessiere, kam stets die begeisterte Antwort: „Ja, gern. Wenn Sie Goethe, Kafka, Mann, Hesse, Böll, Grass, Brecht … übersetzen!“ Als ich nach einer langen Pause vor etwa fünfzehn Jahren wieder anfing, deutsche Literatur zu übersetzen und mich auf die deutsche Gegenwartsliteratur konzentrierte, wurde ich oft in kritischem Ton angesprochen: „Judith Hermann? Ingo Schulze? Warum nicht … ?“ Und wieder wurden die bekannten Namen aufgezählt.
Doch mittlerweile hat sich das Bild geändert. Zwar fragen iranische Verleger immer noch gern nach Robert Musil, Thomas Mann, Heinrich Böll, Günter Grass.  Aber auch Judith Hermann, Ingo Schulze, Peter Stamm, Julia Franck sind ihnen nun bekannt: weil diese auch den iranischen Lesern nicht mehr unbekannt sind und sich ihre Werke gut verkaufen.
Erste Bibliographie
Der Weg der ersten Versuche, den deutschsprachigen Raum mit der persischen und den persischsprachigen mit der deutschen Literatur bekannt zu machen, lief nicht geradeaus. Er überquerte andere Länder und flog über Brücken, die andere schon gebaut hatten.

Damian von Hermann Hesse in persischer Sprache, übersetzt von Khosro Rezai
„Damian“ von Hermann Hesse in persischer Sprache, übersetzt von Khosro Rezai

„Die deutsche Literatur in Iran – von den Anfängen bis zur Gegenwart“ ist eine Bibliographie der Übersetzungen aus der deutschen Literatur ins Persische, die S.S. Firuzabadi 2004 beim Payamkhawar Verlag in Teheran herausgegeben hat.
Hier wird als die älteste persische Übersetzung aus der deutschen Literatur Felix Dahns „Ein Kampf um Rom“ genannt: 1921 übersetzt von Yamin-al Dowleh Enscha und Ebrahim Neshat. Es gibt wenig Informationen über die Übersetzer, aber angeblich beherrschten sie das Französische. 1924 übersetzte Nassrollah Falsafi Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ ebenfalls aus dem Französischen. In den 1950er Jahren gehörte Stefan Zweig zu den beliebten Autoren im Iran, auch er wurde den Iranern über das Französische und das Englische vorgestellt.
Trotz der langjährigen guten Beziehungen zwischen dem Iran und Deutschland in den Bereichen Politik und Wirtschaft hielten sich die kulturellen Beziehungen in Grenzen. In der genannten Bibliographie, die einen Zeitraum von etwa 84 Jahren umfasst, werden lediglich 381 literarische Werke aufgezählt, die aus der deutschen Literatur ins Persische übertragen wurden. Aber das hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Deutsche Literatur ist gefragt und wird gelesen.
530 Titel in drei Jahren
Für den vorliegenden Beitrag bat ich Khaneh Ketab (Das Haus des Buches – www.ketab.ir), mir eine Liste der Übersetzungen aus dem Deutschen ins Persische zu schicken, und zwar für den Zeitraum 2015 bis 2018. Diese Liste, die ich per Internet bekam, umfasst 530 Titel, Erstauflagen und Bücher aus unterschiedlichen Bereichen: Politik, Gesellschaft, Geschichte, Philosophie, Kinder- und Jugendliteratur, Handwerk, Kunst, Belletristik…
Übersetzt werden zwar immer noch seit Jahren im Iran bekannte Namen wie Brecht, Kafka, Hegel, Hesse, Heidegger, Schopenhauer, Goethe, Rilke, Fried, Böll, Freud …, aber auch weniger bekannte und für den iranischen Leser neue Namen: Josef Roth, Bernhard Schlink, Ilja Trojanov, Arno Geiger, Daniel Kehlmann, Doris Dörrie, Robert Walser, Hans Ulrich Obrist … – ein Erfolg!
Copyrights- und Qualitätsproblem
Fortsetzung auf Seite 2