Unterschlagungsaffäre schlägt hohe Wellen

Die Unterschlagung von zwei Milliarden Euro hat im Iran zu einem beispiellosen politischen und juristischen Schlagabtausch geführt. Mehrere Menschen wurden verhaftet. Ahmadinedschad und seinen Weggefährten wird vorgeworfen, die Beteiligten zu decken. Staatsoberhaupt Khamenei musste eingreifen, um die verbalen Angriffe auf den Präsidenten einzugrenzen.

Durch Manipulation von Kreditunterlagen soll eine Gruppe um die Firma „Amir Mansour Aria Investment Co.“ zwei Milliarden Euro von iranischen Banken veruntreut haben – mit einem eigenen Anfangskapital von fünfzig Millionen Toman, etwa 35.000 Euro. Die größte Unterschlagung der iranischen Geschichte soll sich nach Angaben iranischer Webseiten über einen Zeitraum von fünf Monaten hinweg ereignet haben.
Schienen anfangs nur einige Industriekonzerne und Banken in die Unterschlagung verwickelt zu sein, so ist mittlerweile eine umfassende und komplizierte politische Angelegenheit daraus geworden. Sowohl der iranische Geheimdienst wie das Parlament, die Justiz, die Zentralbank, die Regierung und insbesondere das Wirtschaftsministerium befassen sich mit den Details dieses Falles. Und alle beschuldigen sich gegenseitig der Nachlässigkeit.

Die Enthüllungen im Rahmen der Rekord-Unterschlagung führten bisher zur Entlassung von Mohammad Jahromi, dem Vorstandsvorsitzenden der Bank Saderat Iran, von Farzad Ahmadi, einem Vorstandsmitglied derselben Bank, und von einem Vorstandsmitglied einer weiteren Bank.

Diese Geldinstitute sollen laut Berichten iranischer Medien tief in die Manipulation von Kreditunterlagen und Fälschungen von Akkreditiven verwickelt gewesen sein. Um keinen Schatten des Skandals auf  Ahmadinedschads Rede vor der UN-Vollversammlung in New York fallen zu lassen, wurden die Entlassungen und Rücktritte erst einen Tag nach dessen Rückkehr veröffentlicht.

Die Regierung unter Verdacht

Sowohl die Justiz wie auch Abgeordnete und Aufsichtsbehörden beschuldigen Ahmadinedschads Regierung, Beihilfe zu der Unterschlagung sowie zu diversen weiteren Straftaten innerhalb des Banksystems geleistet zu haben. Einige konservative Nachrichtenportale veröffentlichten am 13. September 2011 einen aus dem Jahr 2010 stammenden Brief, in dem der engste Vertraute des Präsidenten, Esfandiar Rahim Mashaie, Entscheidungsträger bei Banken und in der Wirtschaft sogar auffordert, die Akteure der Unterschlagung zu unterstützen. Ahmadinedschad äußerte als Reaktion auf die Veröffentlichung des Briefes, solche Empfehlungen seien in administrativen Angelegenheiten durchaus üblich und verbreitet.

„Radikale Verfolgung“

Seit dem 15. September 2011 untersucht Mohseni Ezhei, der oberste Staatsanwalt Irans, den Fall. Er teilte kürzlich mit, dass in der Affäre bisher 22 Personen verhaftet worden seien und mehrere Personen ein Ausreise- und Handelsverbot erhalten hätten. In einem Fernsehinterview am 4. Oktober sagte Ezhei, dass nach weiteren 37 Personen gefahndet werde. Es werde im Rahmen der Ermittlungen keine Ausnahmen und keine Tabus geben. Damit stellte der Staatsanwalt sich klar gegen Ahmadinedschad, der zuvor geäußert hatte, es werde „eine rote Linie“ überschritten, wenn Verhaftungen oder Untersuchungen seine Mitarbeiter und Vertrauten in der Regierung betreffen sollten. Rückendeckung hat Ezhei von Sadegh Larijani, dem Chef der Justizbehörde, der ebenfalls bereits erklärte, dass es für die Justiz keine Tabus geben werde.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Ahmadinedschad warf der Justiz vor, dass er ihr schon vor längerer Zeit eine Namensliste von rund 300 Wirtschaftssündern übergeben habe, aber diesbezüglich nichts geschehen sei. Larijani bezeichnete diese Kritik als „unverschämt“: „Manche Herren fürchten sich offenbar“, dass das Ergebnis der Untersuchungen für sie nachteilig sein und ihre Beteiligung an dem Skandal ans Licht kommen könne, so der Leiter der Justizbehörde.

Parlamentarische Beschwerde gegen Ahmadinedschad

Im Laufe der Eskalation der Unterschlagungsaffäre forderten am 3. Oktober elf Abgeordnete mit einer Beschwerdeschrift das Parlament auf, den Fall auch auf „mögliche schmutzige Machenschaften zwischen Machthabern und Reichen“ zu untersuchen. Die Beschwerdeschrift erfolgte auf Basis interner Regelungen des Parlaments, die es Abgeordneten erlauben, sich über den Präsidenten, die Minister und Regierungschefs zu beschweren, sofern diese Straftaten begangen oder ihre Pflichten verletzt haben. Die Beschwerde hätte zu einer formalen Anfrage an Ahmadinedschad führen können. Nach einer Intervention von Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei zog das Parlament die Beschwerde jedoch am 5. Oktober zurück.

Appell zur Ausgrenzung der Krise

Khamenei  forderte zudem auch die Medien auf, Aufsehen in Bezug auf die Unterschlagungsaffäre zu vermeiden. Er sagte am 3. Oktober, einige wollten „diese Ereignisse zu Lasten der Behörden ausnutzen.“ Es seien genügend Informationen über die Unterschlagung verbreitet worden. Nun sollten die Behörden ihre Arbeit erledigen.
Einen Tag nach der Rücknahme der Beschwerde und dem aus Khameneis Appell resultierenden Schweigen der Medien verkündete Mostafa Pour-Mohammadi, Chef des iranischen Generalinspektionsbüros, die Akteure des Skandals seien eine rein wirtschaftliche Gruppe und verfügten nicht über eine politische Identität oder Intentionen gegen das Regime.
Offensichtlich haben Khameneis Bemühungen zum gewünschten Erfolg geführt. Die Angriffe von konservativen Gegnern des Präsidenten sind vorerst abgeflaut. Doch erfahrungsgemäß halten solche politischen Feuerpausen in der Islamischen Republik nicht lange – selbst wenn sie vom politischen und religiösen Führer angeordnet werden.