„Die Teheraner Börse arbeitet nicht finanziell, sondern politisch“

Die 1967 gegründete Teheraner Börse soll das Wirtschaftswachstum des Iran fördern, Investitionen kanalisieren und die bessere Nutzung der Ersparnisse von Iranern erreichen. Doch bis jetzt vermochten die Börsenfunktionäre nicht das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Nach Meinung von Experten liegt das u. a. auch daran, dass Behörden, Regierungsorganisationen und semi-öffentliche Institutionen die Börse dominieren. TFI sprach mit Hassan Mansour, Professor an der Hochschule für Handel und Wirtschaft in Paris, über die Teheraner Börse.
TFI: Herr Mansour, was unterscheidet die Börse in Teheran von anderen Börsen?
Hassan Mansour: Die Börse ist im Iran ein relativ junges Phänomen. Sie wurde 1967 mit geringem Kapital gegründet und es fehlt ihr immer noch an Know-How. Derzeit sind an der Teheraner Börse etwa 330 Unternehmen gelistet. Das registrierte Gesamtkapital beträgt zwischen 70 und 100 Milliarden Dollar. Diese Summen sind aber abhängig von den Wechselkursen von Tuman und Dollar. Der tägliche Aktienhandel an der iranischen Börse beträgt rund 40 Millionen Dollar. Das ist im Vergleich mit den Weltbörsen mit mehreren hundert Milliarden Dollar pro Tag sehr spärlich. In der heutigen Zeit ist die Rolle der globalen Börsen stärker als die der Zentralbanken. Das Gewicht der Aktien ist weltweit gestiegen. Daher beobachten die Zentralbanken und die Regierungen die Reaktionen der Märkte auf ihre Entscheidungen. Im Iran dagegen funktionieren diese Mechanismen nicht; anstelle ökonomischer führen politische Faktoren zu Marktschwankungen.
Was sind solche politischen Faktoren?

Hassan Mansour
Hassan Mansour

Die Wirtschaft des Iran ist keine freie Wirtschaft. Mehr als 70 Prozent davon werden von der Regierung oder ihr nahestehenden Organisationen kontrolliert und verwaltet. Dies trifft auch auf die iranische Börse zu: Dort sind vor allem Regierungsorganisationen und Staatsunternehmen aktiv. Die Telekommunikationsgesellschaft, die staatliche Petrochemie, die Eisen- und Kupferminen oder staatliche Banken sind an der Börse gelistet. Und ihre Bewertung erfolgt selbstverständlich den Vorgaben der Regierung entsprechend und nicht nach den internationalen anerkannten Standards, die sich an Gewinnen und Verlusten orientieren.
Bedeutet dies, dass Irans Börse keine Gemeinsamkeiten mit der internationalen Börsenwelt hat?
Doch. Iraner können dort investieren und Aktien kaufen. Aber die Entscheidungen über den Aktienmarkt sind politisch und administrativ, nicht ökonomisch oder finanziell. Börsen sind Bewertungs- und Preisgestaltungsinstrumente für Investitionen und Unternehmen. Sie  können auf der Basis von Marktzinssätzen die Erträge eines Unternehmens in zehn Jahren prognostizieren. Im Iran dagegen wird der Zinssatz nicht nach Maßgabe des Marktgeschehens festgelegt, sondern auf Gutdünken durch die Regierung.
Für wen ist die Teheraner Börse unter diesen Umständen attraktiv? Wer sind die Börsianer?
"Die Teheraner Börse ist gut für mächtige und reiche Leute, die mit Regierungsmitgliedern befreundet sind".
"Die Teheraner Börse ist gut für mächtige und reiche Leute, die mit Regierungsmitgliedern befreundet sind".

Im Iran gibt es einige Gründe, an der Börse zu spekulieren. Etwa für mächtige und reiche Leute, die mit Regierungsmitgliedern befreundet sind: Sie können geheime Informationen oder vertrauliche Entscheidungen der Regierung erhalten und anhand dieser dann Investitionsentscheidungen treffen. Die Telekommunikationsgesellschaft mit ihrem enormen Kapital ist bereits unter der Kontrolle der Revolutionsgarde. Die hat direkten Zugang zu vertraulichen Informationen des Unternehmens und kann die Börse beeinflussen. An globalen Börsen würde das als illegaler „Insiderhandel“ mit strafrechtlichen Konsequenzen geahndet werden.
Was für Auswirkungen hat die Börse auf Irans Wirtschaft?
Nicht viele! Auch wenn die Menschen in der modernen Welt eher in Aktien investieren: Kulturell und traditionell bedingt legen die Iraner ihr Geld bevorzugt in Gold, Devisen oder Immobilien an. Sie wissen aus Erfahrung, dass Investitionen in Immobilien ein geringeres Risiko beinhalten und höhere Gewinne erzielen. In anderen Ländern ist das freie Kapital enorm und die Börse ist dort ein Instrument für die Sammlung dieses Kapitals. So kann es quasi als „soziales Kapital“ der Industrie und den Unternehmen dienen. Im Iran würden die Menschen ihr Geld lieber auf die Bank legen, um hohe Zinsen zu erhalten. Doch die 18prozentigen Zinsen der Banken gleichen die 26prozentige Inflationsrate des Landes gar nicht aus. Daher investieren viele in Gold, Devisen und Immobilien.
Interview: Mahindokht Mesbah