Die Rekonstruktion des politischen Gleichgewichts

Die Zusammensetzung des iranischen Parlaments hat sich im Vergleich zur Ära der Präsidentschaft Ahmadinedschads grundlegend verändert. Die Reformisten der Khatami-Zeit haben sich während des Wahlkampfs kaum als Reformer zu erkennen gegeben, die Haupttrennungslinie zwischen den Kandidaten und Listen war kaum programmatisch definiert. Die Unterschiede bestanden eher im Grad der Gegnerschaft zur oder der Unterstützung der Regierung Rouhanis. Die Wahlliste der Reformer war eine Liste der Unterstützer Rouhanis. Sie enthielt auch Politiker aus der Gruppe der Fundamentalisten, die jetzt als „moderat“ bezeichnet wurden. Realistischerweise können wir sagen, im kommenden iranischen Parlament wird es mehrheitlich nur noch „Moderate“ geben und keine als Reformer firmierende Gruppe. Das ist der Preis, den die Reformer für ihre Rückkehr in die Legislative zahlen.
Schon in den beiden Jahren nach Rouhanis Wahl kritisierten nicht wenige Reformer die „Grüne Bewegung“ des Jahres 2009 als „radikal“. Sie wollten aus den gemachten „Fehlern“ lernen und ihre Taktik und Strategie entsprechend ändern. Dies haben sie realisiert, indem sie in ihren Wahllisten nicht mehr als Reformisten zu erkennen waren. Ihre Taktik bestand darin, die exponierten extremistischen Fundamentalisten am Zugang zur Legislative und zum „Expertenrat“ zu verhindern. Dieser alle acht Jahre gewählte Rat wurde zeitgleich mit der Legislative gewählt. Im künftigen iranischen Parlament, das erst ab dem 28. Mai 2016 amtieren wird, sieht die Verteilung der 290 Sitze wie folgt aus: Reformer und Moderate haben 95 Sitze, Konservative 103, Moderat-Konservative vier Sitze, Unabhängige 14, religiöse Minderheiten fünf Sitze. Zu wählen sind in dem bevorstehenden zweiten Wahlgang noch 69 Sitze. Es ist anzunehmen, dass mindestens die Hälfte davon an „Reformer“ gehen wird. So ist jetzt schon davon auszugehen, dass die Regierung Rouhani eine ausreichende Mehrheit für die Durchsetzung ihres Wirtschaftsprogramms haben wird.

In der unterirdischen Urananreicherungsanlage in Fordu sind etwa 3.000 Zentrifugen neuerer Generation installiert - Foto: qomefarda.ir
Der Atomkonflikt hat das Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins geführt

In der Außenpolitik hat das iranische Parlament bis jetzt keine besondere Rolle gespielt. Die Linie der Außen- und Sicherheitspolitik, etwa die Politik gegenüber Syrien, dem Irak und dem Libanon, Palästina, Israel und den USA, wurde bis jetzt vom „Revolutionsführer“, der Revolutionsgarde und den Sicherheitsorganen des Landes bestimmt. Rouhani wird mit der neuen Parlamentsmehrheit etwas mehr wagen, zumal seine neuen „moderat-konservativen“ Verbündeten in die Zukunft blicken und nach dem Zerfall wichtiger Länder in der Region die dominierende Position des Iran als Regionalmacht gesichert sehen.
In der Frage der Menschenrechte und politischen Freiheiten ist keine besondere Veränderung zu erwarten. Eine moderatere Presse- und Informationspolitik wäre denkbar, zumal sich das politische System nach dem Atomdeal mit dem Westen sicherer fühlt. Sollte in der Machtstruktur der Islamischen Republik tatsächlich eine weltgewandtere Gruppe von moderaten Konservativen entstanden sein, könnte auch beim Problem der inneren Sicherheit eine weichere Gangart möglich werden. Besonders hartnäckige Gegner der Verständigung mit dem Westen und der kulturellen Öffnung des Iran wurden nicht wiedergewählt. Noch vor acht Jahren hätte der „Revolutionsführer“ in einem solchen Fall die Wahlen für ungültig erklären lassen. Hat sich tatsächlich etwas im Kräftegleichgewicht des islamischen Systems geändert, dass der Revolutionsführer die Abwahl seiner Hauptverbündeten duldet? Der mächtige und konservative Parlamentspräsident Ali Larijani sagte nach Wahlen: „Die Zirkulation der Kräfte möge verheißungsvoll sein.“
Wahlergebnis regionaler Machtanspruch
Die Wahlbeteiligung im Iran wurde vom Innenminister mit 62 Prozent angegeben. Das ist für iranische Verhältnisse ordentlich, zumal den besonders kritischen Städtern keine dezidierten Reformer zur Wahl standen. Aber in Zeiten des sukzessiven Untergangs der regionalen Ordnung und der Verwüstung Syriens, des Irak, Libyens und Jemens wird von den Machtträgern allein die Tatsache einer so hohen Wahlbeteiligung als Bestätigung der internationalen Position des Iran als stabile Ordnungsmacht der Region gewertet.
Der im Bündnis mit Reformern und Moderaten stehende Parlamentspräsident Ali Larijani, ein noch einflussreicher gewordenes Mitglied des einflussreichen Larijani-Klans, erklärte diesbezüglich, diese Präsenz des Wahlvolkes verstärke das Gewicht Irans auf der internationalen Bühne und bewirke eine neue Deutung seiner Stellung in der Region. Angesichts der allgegenwärtigen Sicherheitskrise zeuge die Wahlbeteiligung von Stabilität und Sicherheit im Iran und potenziere dessen Rolle als solche gewährende Regionalmacht. Nach der nuklearen Einigung zeige sie „allen Ländern der Welt“, dass die Ordnung der Islamischen Republik sich starken Rückhalts im Volke erfreue, so Larijani: „Jetzt sollten die politischen Bedingungen in Richtung Konvergenz und Synergie geführt werden, damit die Anstrengungen unseres Volks zu einem neuen Potential werden können.“
Vor diesem Hintergrund können wir von einer neuen Ära der Politik in der Islamischen Republik ausgehen. In diese Richtung weist auch das Ergebnis der Wahlen des „Expertenrats“, der die Aufgabe hat, den „obersten religiösen Führer“ des Landes zu wählen und seine Arbeit zu beaufsichtigen. Von den 88 Sitzen dieses Rates sollen, trotz massiver Ablehnung der Kandidatur von Reformern durch den Wächterrat, 59 Sitze an die „Moderaten“ gegangen sein. Das alles wird bei der außenpolitischen Umorientierung des Landes eine Rolle spielen, nicht jedoch in Sachen Menschen- und Bürgerrechte. Kleinere „Freiheiten“ für Frauen, Jugendliche und Kulturschaffende sind dabei nicht ausgeschlossen.
    MEHRAN BARATI*
*Dr. Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran. Er ist regelmäßiger unabhängiger Analyst auf BBC Persian und VOA (Voice of America) Persian und gilt als Experte für internationale Beziehungen.
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