Öko-Katastrophe verhindern

Der Urmia-See, der größte Binnensee Irans, ist dabei, vollständig auszutrocknen.  Parlamentarier und Menschenrechtler  versuchen, die Verantwortlichen zu Gegenmaßnahmen zu bewegen. Doch die Regierung reagiert mit Gummigeschossen und Verhaftungen. Interview mit einem  Augenzeugen.
Seit 1995 sinkt der Wasserspiegel  des Urmia-Sees im Nordwesten Irans stetig. Die Konzentration von Salzen im größten Binnensee Irans beträgt normalerweise 180 Gramm pro Liter, doch laut Experten sind inzwischen 350 Gramm erreicht. Das ist für viele Bewohner des Sees tödlich.
Diese Entwicklung führte letzte Woche zu ungewöhnlichen Reaktionen. 22 Parlamentsabgeordnete forderten in einem offenen Brief von der Regierung, einen Plan zur Rettung des drittgrößten Salzsees der Erde zu entwickeln. Umweltaktivisten riefen zu Demonstrationen auf, und Tausende  Menschen in Täbris, Urmia und Miyane gingen auf die Straßen. Die Regierung reagierte mit Gummigeschossen und Verhaftungen.
Die harte Reaktion der Regierung sorgte international für Unmut. Die Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Claudia Roth, forderte in einer Erklärung die Freilassung der Inhaftierten. Roth weiter: „Wir fordern die iranische Regierung auf, Experten internationaler Umweltorganisationen ins Land zu lassen und alle Informationen und Kenntnisse über den Stand der Dinge im Einzugsgebiet des Sees und über das Wasserregime der Region auf den Tisch zu legen.“
Über die Situation des Sees und die Aktionen in der iranischen Provinz Aserbaidschan sprachen wir mit dem im Iran lebenden Bürgerrechtler Akbar Pashai.
TFI: Wie ist die gegenwärtige Situation am Urmia -See?




Urmia-See heute
Urmia-See heute




Akbar Pashai: Von der ursprünglichen Fläche von etwa 5.700 Quadratkilometern sind inzwischen 2.700 trockene Salzwüste.  Das Grundwasser wird immer salziger, so dass viele Dörfer in der Umgebung des Sees inzwischen menschenleer sind. Das vollständige Austrocknen des Sees wird 10 Milliarden Tonnen Salz hinterlassen, das in Form von Salzstürmen die Heimat von 15 Millionen Aserbaidschanern bedrohen wird. Bereits jetzt ist die durchschnittliche Lufttemperatur in der Gegend um den See um 2-3 Grad Celsius angestiegen. Das führt wiederum dazu, dass immer mehr Seewasser verdampft. Laut Umweltexperten wird der See unter diesen Umständen in drei Jahren endgültig sterben.
Wie ist es zu dieser Situation gekommen?
Meiner Meinung nach hat menschliches Handeln am meisten zu dieser Situation beigetragen:  Der ungezügelte Verbrauch des Grundwassers und dessen Transport in die nördlichen Regionen des Landes und die zahlreichen Staudämme, die den Zufluss der vielen Flüsse verhinderten.  Allein am Aji-Chai- Fluss wurden 32 Staudämme gebaut, so dass am Ende kein Wasser mehr übrig blieb, das in den See fließen konnte. Die Staudämme, die zur Stromerzeugung und zur Bewässerung in der Landwirtschaft gebaut wurden, führten zu einer Verringerung der südlichen und nördlichen Wassertiefe von ehemals 16 bis 22 Meter auf nur noch 5 Meter. Der Bau einer 50 Kilometer langen Brücke hatte zur Folge, dass der natürliche Wasserfluss unterbrochen wird sowie der südliche und der nördliche Bereich des Sees voneinander abgeschnitten sind.
Am 27. August fanden in den Städten Urmia und Täbris Demonstrationen von Bevölkerung und Umweltaktivisten statt. Was waren die Hauptforderungen der Demonstranten?
Urmia see 1978
Urmia see 1978

Die Politik der Trockenlegung des Urmia-Sees, die zuletzt deutlich wurde, als das Parlament einen Eilantrag zur Rettung des Sees ablehnte, bestärkte die Umwelt- und Bürgerrechtsaktivsten darin, die Menschen als Antwort auf diese Politik zu einer friedlichen Demonstration zu bewegen. Viele Aserbaidschaner (die Bewohner des iranischen Teils von Aserbaidschan, A. d. R.) denken, dass die Regierung den Urmia-See mit Absicht vernichtet. Dabei beziehen sie sich auf eine Rede des Parlamentsvertreters der Städte Farsan und Bojnurd, der sagte: ‚Die Aserbaidschaner können, wenn der Urmia-See zugrunde geht, in andere Regionen ziehen.’  Es hat den Anschein, dass die Politik der Regierung in Bezug auf Aserbaidschan immer mehr auf ethnischer Diskriminierung basiert. Die Demonstranten forderten genau genommen die Rettung und den Schutz des Urmia-Sees.
Und wie hat die iranische Regierung darauf reagiert? Ist sie auf die Forderungen eingegangen?
Obwohl das iranische Grundgesetz friedliches Demonstrieren ausdrücklich erlaubt, begegnet die Regierung allen Demonstrationen, die sie nicht selbst einberufen hat oder die nicht regierungsfreundlich sind, mit Argwohn. Solche Demonstrationen werden dann als ‚Einflussnahme aus dem Ausland’ gebrandmarkt. Daher wurden vor der Demonstration in Täbris mehr als 30 aserbaidschanische Aktivisten verhaftet und an einen unbekannten Ort gebracht. Der Demonstration in Urmia, an der mehr als 15.000 Menschen teilnahmen, begegneten Polizeikräfte gewalttätig mit Plastikgeschossen, Tränengas und Schlagstöcken. Obwohl die Menschen nur für das Überleben des Urmia-Sees demonstrierten,  griffen die Sicherheitskräfte die Menschen an und schlugen sie zusammen. Etwa 300 Menschen wurden verhaftet, viele weitere verletzt. Es gibt sogar Berichte, wonach drei Menschen gestorben sind.