Schwieriger als das Atomabkommen: ein Statut für Bürgerrechte

Die 66-jährige Anwältin Jahangir aus Pakistan referierte dabei auch über Menschen- und Bürgerrechte im Iran: nicht theoretisch und abstrakt, sondern konkret und mit Beispielen. Wie unermesslich die Kluft zwischen Teheran und New York ist, ließ sich am Beispiel dieser beiden Pressekonferenzen erahnen. Frau Jahangir kam schon in ihrem ersten Satz zur Sache: Die lebensbedrohliche Gesundheitssituation acht politischer Gefangener* im Iran hätte sie alarmiert. Diese Gefangenen, alle gewaltlose MenschenrechtsaktivistInnen, verbüßten mehrjährige Haftstrafen und befänden sich nun seit mehreren Wochen in einem Hungerstreik.

Die Sonderberichterstatterin verlas zunächst die acht Namen und erklärte, alle diese jungen Männer und Frauen seien allein wegen ihrer sozialen Aktivitäten seit Jahren inhaftiert. Nun verweigerten sie aus Protest gegen ihre Haftbedingungen zum Teil seit Wochen die Nahrungsaufnahme. Sie bräuchten dringend medizinische Hilfe, ihre Leben seien in Gefahr. Deshalb rief Jahangir die Verantwortlichen im Iran auf, „sicherzustellen, dass diese Gefangenen Zugang zu einer Spezialklinik außerhalb des Gefängnisses erhalten“, so die UN-Sonderberichterstatterin.

Die Zivilgesellschaft lebt

Wer sind diese acht Menschen, was haben sie getan und warum spielen sie im Gefängnis mit ihren Leben? Hätte Frau Jahangir bei ihrem Pressetermin diese Fragen in allen Einzelheiten beantworten können, hätte das eine lange Erzählung ergeben über Irans omnipotente Sicherheitskräfte, parallele Geheimdienste, willkürliche Justiz und nicht zuletzt über unhaltbare Zustände in iranischen Gefängnissen.

Die Biographien dieser Menschen würde zudem zeigen, dass innerhalb der jungen Generation des Iran eine engagierte und selbstbewusste Zivilgesellschaft existiert, die Politik für sich neu buchstabiert und praktiziert. Ein beachtlicher Teil einer solchen Erzählung müsste sich zwangsläufig der Machtlosigkeit des Präsidenten widmen. Kein Wunder, dass Frau Jahangir ihren Appell nicht an Präsident Rouhani, sondern an die „Verantwortlichen“ des Landes richtete – wer sie auch sein mögen.

Ein Beispiel

Ali Shariati, vor und nach dem Hungerstreik
Ali Shariati, vor und nach dem Hungerstreik

Nur ein Beispiel, kurz und exemplarisch: Ali Schariati ist der erste Name auf der Liste jener acht Menschen, für die sich die Sonderberichterstatterin einsetzt. Die Islamische Republik war acht Jahre alt, als Schariati das Licht der Welt erblickte. Als er in die Schule kam, hatte Reformpräsident Khatami gerade die Wahl gewonnen. Schariati ist Student, als 2009 die Grüne Bewegung ihre Proteste gegen Ahmadinedschad beginnen. Er nimmt daran teil. Es folgen Folter, Verurteilung, Isolationshaft, zum ersten Mal tritt er in einen Hungerstreik und wird schließlich nach einem Jahr aus der Haft entlassen.

Der einstige junge Politaktivist ist heute ein 30-jähriger Architekt, eine in jeder Hinsicht erfahrene und reife Persönlichkeit, deren Vorbild Mahatma Gandhi ist – weshalb er im eigenen langen Hungerstreik im Gefängnis kein Problem sieht. Über Schariatis Gesundheitszustand schrieb Amnesty International am 6. Januar: „Schariati trat am 31. Oktober 2016 in den Hungerstreik. Seither hat er 20 Kilo Gewicht verloren und leidet unter starken Kopfschmerzen, Muskelschwäche, niedrigem Blutdruck, Nierenschmerzen, dem wiederholten Verlust des Bewusstseins und seit dem 5. Januar unter einer Magendarmblutung. Seit dem 5. November nimmt der gewaltlose politische Gefangene auch keine Flüssigkeit mehr zu sich.“ (Nach Informationen des Iran Journal tut er das inzwischen nach zahlreichen Bitten seiner Freunde wieder.)

Protest gegen Säureattacken auf Frauen

Die Anklage gegen den 30-Jährigen lautet: „Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“. Deshalb sitzt er seit 18 Monaten in Haft, zum Teil in völliger Isolation, und wird gemäß seinem Urteil noch weitere 40 Monate dort verbringen. Was hat Schariati getan? Das Urteil gegen ihn bezog sich ausschließlich auf seine Teilnahme an einer friedlichen Kundgebung vor dem Parlament im Jahr 2014, bei der gegen eine Serie von Säureattentaten gegen Frauen in der Stadt Esfahan und die Tatenlosigkeit der Behörden protestiert wurde.

Fragen ohne Antworten

Fortsetzung auf Seite 3