Sicherheitskräfte in Dauereinsatz

Zum Internationalen Frauentag am 8. März hatten sowohl Frauenorganisationen als auch die ‎Grüne Bewegung in Iran zu Demonstrationen aufgerufen. Zum vierten Mal in vier Wochen ‎musste die Regierung mit massiver Mobilisierung aller Kräfte die Kontrolle der Straßen in ‎Teheran verteidigen. ‎
Die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi hatte unter anderen die iranischen Frauen dazu ‎aufgerufen, für die Verteidigung ihrer Rechte auf die Straße zu gehen. Auch die Grüne ‎Bewegung kündigte Proteste gegen die Inhaftierung der Oppositionsführer Mussawi und ‎Karroubi an. ‎
Bahman schreibt in Google Reader, dass die Straßen von Sicherheitskräften und Basidj-‎Milizionären erneut gesäumt waren: „Die Autofahrer, auch unser Taxifahrer und die Insassen ‎schimpften alle nur. Die Leute schauten ihnen direkt ins Gesicht und schüttelten mit dem ‎Kopf; aber sie taten so, als sähen sie es nicht. Auf den Plätzen waren mehr Polizisten als ‎Fußgänger.“‎
Die Sicherheitskräfte sind auf diese Weise schon seit Wochen in Dauereinsatz – Berichte über ‎die Rekrutierung minderjähriger Knaben, die mit Schlagwaffen aller Art ausgerüstet werden, ‎häufen sich.‎
‎„Entlang der ganzen Strecke war nichts von Menschenansammlungen zu sehen, ich dachte, es ‎wird niemand kommen. Wir spekulierten, ob die Demo abgesagt wurde. Bis wir die Enghelab-‎Straße erreichten und eine beachtliche Menschenmenge vorfanden, die ständig wuchs“ ‎beschreibt Bahman seine Eindrücke. ‎
Was er mit beachtlicher Menge meint, fundiert er: „Ich bin am Samstag die gleiche Strecke ‎schon mal gefahren, um einen Vergleich zu haben. Und kann mit Sicherheit behaupten, dass ‎die Menge auf den Bürgersteigen heute nicht zufällig da war.“‎
Für viele ist eine große Anzahl von Sicherheitskräften ein Zeichen dafür, dass dort etwas ‎geschieht; das zieht weitere Demonstranten und Schaulustige an: „Je mehr Bewaffnete das ‎Weitergehen zu verhindern versuchten, umso mehr Menschen drängten sich dort hin. Die ‎Leute standen herum, scheinbar unabsichtlich. ‎
Als jemand plötzlich ‚Ya Hossein‘ rief, und die Menge ihm gleich mit ‚Mir Hossein‘ ‎antwortete, schlugen die ersten Tränengasgranaten ein. Einige rannten weg, andere aber ‎banden sich in aller Ruhe Tücher vor den Mund und gingen langsam die Straße hoch. Als ‎würden sie auf die nächste Gelegenheit warten, [um zu skandieren]. So gegen 18 Uhr 30 bin ‎ich wieder ins Taxi gestiegen. ‎
Im Taxi fluchten alle. Als ein junger Mann auf dem Vordersitz erfuhr, dass auf der Enghelab-‎Straße etwas los ist, stieg er sofort mit Freude und Begeisterung aus und ging auf die andere ‎Boulevardseite, um dahin zu fahren. Ich betone: mit Freude und Begeisterung.“‎
 
Das massive Aufgebot an Polizei- und Sicherheitskräften von dem Augenzeugen immer ‎wieder berichten, ist auf diesem Video wunderbar dokumentiert. Es gibt kaum ‎Straßenkreuzungen und Plätze, die nicht von Schutzmännern – mit oder ohne Uniform und Motorrad – gesäumt sind. (Das Video ist von den Protesten zum ‎Weltfrauentag am 08.03.2011 in Teheran, Vali Asr)
Mahbube hat weder Tränengas noch Demonstranten gesehen, dafür aber „so viele ‎Sondereinsatzkräfte, wie noch nie in meinem Leben. So gegen 20 Uhr auf dem Tohid-Platz ‎lag ein Gasgeruch in der Luft, und auf der Kreuzung lagen viele Glassplitter herum, ich bin ‎aber nicht sicher, was passiert war.“ ‎

„In der Uni-Gegend waren sehr viele tiefverschleierte Frauen in Meterabstand aufgestellt, ‎auch um den Lale-Park herum“, schreibt sie weiter. Der Laleh-Park ist seit den Unruhen im ‎Sommer 2009 ein Ort von Trauer und Protest geworden. Die Mütter der bei den Unruhen ‎getöteten versammeln sich dort wöchentlich. Auseinandersetzungen mit der Polizei sind an ‎der Tagesordnung. Auch diese „Trauenden Mütter“ hatten zu Demonstrationen am Frauentag ‎aufgerufen.‎
Mahbube hatte mit vielen Freunden telefoniert, um zu erfahren, was in den anderen ‎Stadtteilen los ist. Häufig hatte sie enttäuschte Stimmen im Hörer, bis sie in der Gegend von ‎der Enghelab-Straße fündig wurde. „Es war eine unglaubliche Menge anwesend, aber alle ‎gingen schweigsam und vorsichtig auf dem Trottoir, denn vermutlich sind auch viele Zivile in ‎der Menge gewesen.“ ‎
„Im Taxi hörten wir die Verkehrsnachrichten. Die Sprecherin sagte, dass heute viele Menschen ‎unterwegs seien, um ihre Neujahrseinkäufe zu erledigen, deshalb gäbe es ein sehr hohes ‎Verkehrsaufkommen in der Stadt, und bat die Menschen mit dem ständigen Hupen ‎aufzuhören. Wir mussten darüber sehr lachen.“
Mit dem Hupen zeigen viele Autofahrer ihre ‎Solidarität mit den Demonstranten. Menschen, die sich nicht direkt an den Demonstrationen ‎beteiligen wollen, fahren häufig die angekündigten Marschrouten entlang, verursachen Staus ‎und behindern damit eine schnelle Verlegung der Einsatzkräfte. Deshalb sind Anti-Aufruhr-‎Sondereinheiten häufig mit Motorrädern unterwegs. ‎
Mojgan bestätigt diese Eindrücke und ergänzt, dass die Teilnahme von Frauen besonders hoch ‎war. „Sie waren in kleinen Grüppchen unterwegs, alle möglichen Aufmachungen, Alter und ‎soziale Schichten. Gegen halb sechs habe ich gesehen, wie sie fünf oder sechs Jungen ‎verhaftet und in ein weißes Gebäude in der Nähe, das sie wohl zu einer Haftanstalt ‎umfunktioniert hatten, brachten. ‎
Ab dem Vali Asr-Platz bis Vanak und vom Enghelab- bis zum Azadi- Platz war kein ‎Vorankommen, die Straßen waren komplett dicht, und die Fahrer hupten wie verrückt und ‎zeigten das V. Uniformierte patroullierten die Strecken auf Motorrädern in Gruppen zu vierzig ‎oder fünfzig.“ Es ist fraglich, wie lange die Regierung diesen Ausnahmezustand ‎aufrechterhalten kann. Aus Mangel an Kräftenachschub wurden bereits Beamte und Kinder ‎aus ärmeren Schichten mit Aussicht auf Bonuszahlungen rekrutiert. ‎

Ali resümiert zynisch auf seiner Facebook-Seite: „Heute war ein großer Tag für die iranische ‎Frauenbewegung. Nie zuvor wurde dieser Tag so glorreich begangen: Zehntausende ‎Stiefelträger haben die Straßen gefüllt, und die laute Stimme des Volkes ersetzt: ‚Wir wollen ‎Freiheit und Gleichheit, ohne Gewalt. Wir wollen eine Welt, in der nicht Knüppel und ‎Unterdrückung herrschen, sondern Friede, Liebe und Freiheit‘“.‎