15 Frauen befeuern Debatte um Schleierzwang im Iran

Seit Anfang November belebt ein Foto die Diskussion um den Schleierzwang im Iran: Es zeigt fünfzehn junge Frauen, die vor dem Eingang der Universität Teheran stehen – vierzehn von ihnen ohne Kopftuch. Eine „Straftat“, die einmal mehr zutage fördert, was in der Islamischen Republik seit Jahren unter der Oberfläche gärt.

Von Mina Tehrani

Das Foto sei nicht echt, behaupten die einen; es zeige ausländische Studentinnen, keine Iranerinnen, sagen die anderen. Fünfzehn junge Frauen, wohl den Abschluss ihres Studiums feiernd, stehen in der Revolutionsstraße vor dem Eingang der Teheraner Universität. Vierzehn von ihnen tragen kein Kopftuch. Wer die Frauen sind, wer das Foto aufgenommen und wer es veröffentlicht hat, ist bisher ebensowenig bekannt wie der Grund für diese Aktion.

Liberale Regimegegner*innen feiern das Foto als mutigen Akt der iranischen Frauen, die in den vergangenen 42 Jahren Widerstand gegen den Schleierzwang geleistet haben. Manche romantisieren das im Internet viral verbreitete Foto: „Der Wind weht in ihren bunten Haaren. Wenn das Bild verblasster und älter wäre, könnte es sich um ein Bild aus Erinnerungsstücken von Studierenden im Iran der 1970er Jahre handeln“, beschrieb etwa BBC Persian das Foto. Andere wiederum beschimpfen die Uni-Absolventinnen auf das Schlimmste. Es gibt aber auch „mildere“ Kritik: „Die Frauen auf dem Foto bieten sich wie Sklavinnen auf dem Sklavenmarkt an, doch die Zeit des Sklavenhandels ist vorbei“, kommentiert der als Kommandant der iranischen Cyber-Armee bekannte Moslem Moin.

Viele regimetreue Internet-Aktivist*innen wundern sich darüber, dass die Regierung – bisher – nichts gegen die „Gesetzesbrecherinnen“ unternommen hat. Entschleierung wird in der Islamischen Republik als Straftat geahndet. Die Moralpolizei verhaftet und schikaniert sogar Frauen, die ihre Kopftücher nicht vorschriftsmäßig tragen.

Deshalb vermuten zahlreiche Twitter-Aktivist*innen, diese Aktion sei von der Regierung initiiert, um die polizeilichen Maßnahmen gegen die Kopftuchgegner*innen zu verschärfen. 

Eine Show als Protest gegen das Foto

Doch Protest gegen das Bild gibt es nicht nur in der digitalen Welt. Fünfzehn schwarz verhüllte Frauen mit roten Kopftüchern und Masken sangen kürzlich an gleicher Stelle vor der Teheraner Universität eine Hymne auf den Schleier und die Treue zum Islam.

Die Hymnen-Show der verschleierten Frauen:

Auch diese Aktion hat Befürworter*innen und Gegner*innen und löste eine Debatte aus, die bis heute anhält. Obwohl die Hymnen-Show von einer ultrakonservativen Organisation durchgeführt wurde, sehen andere islamische Hardliner darin ein Symbol der Spaltung der Gesellschaft in Gegner*innen und Befürworter*innen der islamischen Kleiderordnung. Das führe zur Ermutigung der Hijab-Gegner*innen, fürchten sie. Abdullah Ganji, der Chefredakteur der den Revolutionsgarden nahestehenden Zeitung Djavan, bezeichnete die Aktion als eine formalistische und oberflächliche Tat gegen „Verschwörer“, die mit unterschiedlichen Mitteln das islamische System zu schwächen versuchten.

Auch einige der Reformisten innerhalb des Regimes meldeten sich zu Wort. Sie wünschen sich die Übertragung beider Bilder auf die gesamte Gesellschaft, indem nämlich Frauen erlaubt werde, selbst über ihre Kleidung zu entscheiden. Die Zeitung Kayhan, ein Sprachrohr der Hardliner*innen um das iranische Staatsoberhaupt Ali Chamenei, kritisierte am 9. November die Reformisten, weil sie jede Gelegenheit ausnützten, um „den amerikanischen Islam“ zu forcieren.

Kopftuch als optisches Zeichen der islamischen Macht

Die Hymnen-Show und die Reaktionen darauf zeigen einmal mehr, dass auch innerhalb der jungen Islamist*innen ein Prozess des Umdenkens im Gange ist, in dem zivile Aktionen als Maßnahmen zur Verteidigung der islamischen Werte in Betracht gezogen werden. Doch Tatsache ist, dass im Iran immer noch die Revolutionäre der ersten Stunde – heute durchschnittlich 70 Jahre alt – das Sagen haben. Sie setzen weiter auf Verhaftung, Folter und sogar Mord – wie bei den Demonstrationen der vergangenen Jahre, insbesondere bei den landesweiten Protesten im November 2019, bei denen nach unterschiedlichen Angaben bis zu 1.500 Menschen getötet wurden.

In der Teheraner Revolutionsstraße unweit der Universität hatte am 27. Dezember 2017 auch eine andere Antikopftuch-Aktion ihren Anfang genommen, die unter dem Namen „Mädchen der Revolutionsstraße“ weltweit bekannt wurde. An diesem Tag stieg eine bis dahin unbekannte Frau namens Vida Movahed auf einen Stromkasten, nahm ihr weißes Kopftuch ab und hisste es wie eine Fahne. Ihre Aktion wurde von vielen Frauen nachgeahmt und entwickelte sich so zu einer Bewegung. Doch der Staat griff hart durch, verhaftete die „widerspenstigen“ Frauen und verurteilte sie zu Gefängnisstrafen.

Dennoch protestierten die Iranerinnen weiterhin in unterschiedlichen Formen gegen den Kopftuchzwang. Manche nahmen ihre Kopftücher in der U-Bahn ab und forderten andere Frauen auf, sich ebenfalls dem Zwang zu widersetzen. Andere gingen provozierend ohne Kopftuch auf die Straße. Der Staat erhöhte den Druck auf die Protestierenden. Das höchste Strafmaß wurde Saba Kord-Afshari zuteil. Die Frauenrechtsaktivistin wurde im Mai 2019 wegen mehrfacher Abnahme des Kopftuches in der Öffentlichkeit verhaftet und zu 24 Jahren Haft verurteilt. Sie sitzt derzeit im Teheraner Evin-Gefängnis ihre Strafe ab. Raheleh Ahmadi, Sabas Mutter, wurde wegen der Unterstützung ihrer Tochter bei deren Antikopftuch-Aktionen zu 31 Monaten Haft verurteilt. Auch sie sitzt seit Februar 2020 im Evin-Gefängnis – natürlich getrennt von ihrer Tochter.♦

Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Farhad Payar.

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